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Schatten der Vergangenheit: Wehner - die dunkle Ikone

 
     
 
Herbert Wehner - 14 Jahre lang Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, 15 Jahre lang stellvertretender Parteichef, drei Jahre lang Minister für gesamtdeutsche Fragen - prägte, wie heute noch das Lexikon sagt, "entscheidend das politische Leben Deutschlands nach 1945". Er wurde mit Ehrungen überschüttet, in der Partei liebevoll "Onkel Herbert" genannt, galt als "Zuchtmeister der SPD", womit deutlich wurde, daß er ihren Kurs und ihren Charakter wesentlich mitgeprägt hatte.

1990 starb er. Zehn Jahre später gab die Deutsche Post eine Sondermarke mit Wehners Portrait heraus. 23 Millionen Stück wurden von ihr verbreitet - wem sonst widerfährt eine solche Ehrung? So wurde Wehner zu einem der führenden historischen Köpfe der Bundesrepublik, zu einer Ikone der Linken, an der jede Kritik und jeder Verdacht abprallte.

Bis in diesen Tagen durch einen Fernsehfilm und durch Vorabveröffentlichung
en in meinungsbildenden Presseorganen bekannt wurde, daß Herbert Wehner, der seine Emigrationsjahre in Moskau verbrachte, dort unzweifelhaft einer der eifrigsten Denunzianten seiner kommunistischen Genossen gegenüber dem sowjetischen Geheimdienst NKWD war und zahlreiche deutsche Kommunisten, die wie er in der UdSSR Zuflucht gesucht hatten, durch seine Spitzeltätigkeit den Tod fanden.

Das alles war in Ansätzen längst bekannt. Mit Recht weist der Spiegel darauf hin, daß er bereits im Januar 1994 enthüllt habe, Wehner habe in den 30er Jahren eine aktive Rolle bei den blutigen Parteisäuberungen gespielt, mit denen Josef Stalin die internationalen kommunistischen Organisationen überzog. Auch aus anderen Veröffentlichungen war Weh- ners dubioses Verhalten bekannt geworden. Aber die deutsche Öffentlichkeit reagierte darauf nicht. Viel wichtiger schien, daß Wehner einer der entschiedensten "Antifaschisten" war. Das gilt in der Bundesrepublik als Freibrief, seitdem sich ihre Meinungsbildner von der Grundidee gelöst haben, den Totalitarismus insgesamt abzulehnen, gleichgültig aus welcher politischen Richtung er stammt. Es wurde und wird nicht danach gefragt, für welche politischen Ziele jemand eintrat oder eintritt, sondern nur noch danach, ob er "gegen den Faschismus" war oder ist.

Wehner war seit 1927 Mitglied der KPD und stieg schnell auf. Zwei Jahre später wurde der strebsame Genosse Sekretär der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Im sächsischen Landtag saß er in den Jahren 1930/31. Anschließend wurde der junge Funktionär enger Mitarbeiter des Vorsitzenden der KPD, des (intellektuell beschränkten, aber als Symbolfigur geeigneten) Arbeiters Ernst Thälmann, der sich durch bedingungslose Treue zu Stalin auszeichnete.

Nachdem die NSDAP Regierungspartei geworden war, arbeitete Wehner bis 1935 für die verbotene KPD in der Illegalität, danach im westlichen Ausland. 1937 ging er nach Moskau und war dort für die Kommunistische Internationale (Komintern) tätig.

Das war die Zeit, in der der kommunistische Terror in der UdSSR hohe Wellen schlug. Terrorismus war eines der grundsätzlichen Merkmale des roten Regimes. Der Marxismus-Leninismus war nicht durch die Mehrheitsentscheidung der "Völker der UdSSR" an die Macht gekommen, sondern hatte sich die Macht durch eine kleine, zu allem entschlossene und sich an keine Regel des menschlichen Zusammenlebens haltende brutale Gruppe von Revolutionären verschafft, die besessen war von den Lehren Marx und Engels. Diese Ideologie versprach, die Welt zu befreien von Ausbeutung und Unterdrückung, und predigte den rücksichtlosen Kampf gegen jeden und alles, was den Weg ins vermeintliche Paradies behindern könnte. Die Kommunisten gaben vor, "das Gute" zu vertreten, woraus sie die Berechtigung ableiteten, gegen alle Andersmeinenden als Vertreter des "Bösen" rück-sichtslos vorgehen zu dürfen. Wer sich nicht überzeugen ließ, der sprang über die Klinge. Das alles ist nicht neu. Der Weg des Kommunismus ist mit 80 bis 100 Millionen Toten gepflastert - und das sind Opfer, die der Bolschewismus außerhalb des Krieges verursachte. Damit kann der Kommunismus für sich beanspruchen, das Regime der Weltgeschichte gewesen zu sein, das das meiste Blut vergoß. Kommunismus und Massenmord sind nicht zu trennen.

Die Verfolgungen erstreckten sich nicht nur auf Gegner des Regimes. Immer wieder verkündeten die linken Führer, daß Verschwörer am Werk seien, die den Marsch ins Arbeiter- und Bauernparadies verhindern wollten. Sie riefen zur ständigen Wachsamkeit auf. Ob sie von der Wahnidee wirklich überzeugt waren oder ob sie die permanente Jagd auf "Verschwörer" und Andersmeinende auch in den eigenen Reihen vorantrieben, um eine permanente Atmosphäre der Angst zu erzeugen, sei dahingestellt. Die Wirkungen waren identisch. Und so bespitzelte im Kommunismus jeder seinen Nebenmann. Und wer fürchtete, selbst ins Visier des allmächtigen Geheimdienstes (in den 30er Jahren NKWD) geraten zu können, suchte nicht selten den Ausweg, andere Gesinnungsgenossen zu beschuldigen und ans Messer zu liefern.

Einer von ihnen in den Reihen der deutschen Kommunisten war Herbert Wehner. Was man bisher über sein Treiben wußte, ohne es bis in die letzte Konsequenz beweisen zu können, liegt jetzt offen zutage. Der Historiker Reinhard Müller wird im kommenden Jahr im Verlag der "Hamburger Edition" (das ist der Verlag von Jan Philipp Reemtsma) ein Buch vorlegen (Titel: "Tödliche Falle - Herbert Wehner in Moskau 1937"), in dem er mittels von ihm entdeckter sowjetischer Dokumente beweisen kann, wer alles von Herbert Wehner denunziert wurde und dann entweder bei Schauprozessen zum Tode verurteilt oder unter der Hand liquidiert worden ist.

Müller hat in großen Zügen die Tätigkeit Wehners bereits in seinem 2001 erschienenen Buch "Menschenfalle Moskau - Exil und stalinistische Verfolgung" dargelegt, doch hat seinerzeit das Buch seltsamerweise kein Aufsehen erregt. Hier erfuhr der Leser, daß Wehner seit Februar 1937 dem NKWD Spitzelberichte lieferte, in denen er nach Moskau geflohene KPDler beschuldigte, sie seien "Trotzkisten", eine fixe Idee der kommunistischen Herrschaft. Aus seiner Tätigkeit für die Komintern wußte er vieles über die Genossen.

Dieses Wissen nutzte Kommunist Wehner nun, um sie beim sowjetischen Geheimdienst anzuschwärzen. Viermal wurde er nicht etwa als Verdächtiger oder gar als Häftling in die Vernehmungszentrale kutschiert, sondern um dort ausführlich über das "Abweichlertum" oder die "trotzkistischen Bestrebungen" ehemals führender deutscher Kommunisten zu berichten.

Müller hat festgestellt, daß die damals von Wehner verfaßten Berichte teilweise wörtlich wieder auftauchten in dem an alle NKWD-Dienststellen verschick-ten Befehl "Über die terroristische Diversions- und Spionagetätigkeit deutscher Trotzkisten, durchgeführt im Auftrag der Gestapo auf dem Territorium der UdSSR". Diese Unterlagen benutzte dann der sowjetische Geheimdienst, um die ahnungslosen Kommunisten zu verhaften und anzuklagen. Die roten Häscher schleppten sie durch qualvolle Verhöre, folterten sie, bis sie zermürbt entweder ihre "Schuld" zugaben oder um sie, wenn sie nicht "gestanden", verschwinden zu lassen. Nur wenige entkamen dem Terror.

Schon früh wurden von den Millionen-Verbrechen im westlichen Ausland Einzelheiten bekannt, so etwa in dem in Deutschland während des Krieges in riesigen Auflagen verbreiteten Erinnerungen des führenden Forstwirtschaftlers der Sowjetunion, Karl Iwanowitsch Albrecht (Titel: "Der verratene Sozialismus"), der den Säuberungen entgehen konnte, aber auch aus anderen dokumentarischen Berichten. Das ganze Ausmaß des Massenmordes allerdings erfuhr die übrige Welt erst nach dem Krieg.

Eine Auswirkung auf die Wertschätzung des Kommunismus hat das unter linken Intellektuellen kaum gehabt.

Ein Phänomen unserer Zeit: Während jedes Opfer nationalsozialistischer Gewalt zum Märtyrer wurde, bleiben die von den Kommunisten Ermordeten weitgehend unbeachtet, obgleich ihre Zahl weitaus größer ist. Leugnen kann die Millionen Toten niemand, doch werden sie allein Stalin angelastet. Dem Kommunismus wird zugute gehalten, daß er in seinem Ursprung "aufklärerisch und menschenfreundlich" gewesen sei, während der NS als von Anfang an "antiaufklärerisch und menschenverachtend" enttarnt wird. Den Linksintellektuellen sind die Opfer des Kommunismus gleichgültig; sie stören nur, weil sie die Möglichkeit geben, den Kommunismus mit seinen Morden zu belasten.

Selbst nachdem nun die Beweise für die Schuld des Herbert Wehner am Tod zahlloser Menschen auf dem Tisch liegen, tut man sich immer noch schwer, die Konsequenzen zu ziehen. So eiert der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) herum, wenn es darum geht, ob der Denunziant Herbert Wehner weiterhin würdig ist, Ehrenbürger der Hansestadt zu sein. Von Beust: Der Fall sei noch nicht endgültig geklärt. Und auch die Welt hat Bedenken, denn im Falle der Aberkennung stellte man, so der absurde Einwand, "Wehner auf die gleiche Stufe mit den einstigen Ehrenbürgern Adolf Hitler und Hermann Göring".

Die SPD hat sich bis zur Stunde zu dem für sie peinlichen Fall noch nicht geäußert. Sie warnte nur vor "voreiligen Schlüssen". Der Hamburger SPD-Fraktionschef Uwe Grund vergleicht den Fall Wehner mit - man höre und staune - Franz Josef Strauß, der sich ja schließlich auch "schwerer juristischer Vergehen schuldig gemacht" habe. Trotzdem sei "seine wichtige Rolle in Deutschland - ebenso wie die Wehners - unbestritten".

Mit dem Fall Wehner ist der "Antifaschismus"-Ideologie ein herber Schlag versetzt worden. Es genügt zur Bewertung des politischen Menschen eben nicht allein festzustellen, daß er "Antifaschist" war. Die Frage muß ergänzt werden, wofür er stand, für welche Ziele er kämpfte. Zur Zeit wird ein Mensch allein deshalb als ehrenwerter Demokrat anerkannt, weil er gegen Hitler kämpfte, obschon er dafür eintrat, diesen bloß durch Stalin und sein blutiges Regime zu ersetzen.

 

Das "Hotel Lux", heute "Hotel Zentralnaja", in Moskau: Hier harrten deutsche Exilanten ihrer Deportation durch den NKWD. War Herbert Wehner (oben auf einer Sondermarke der Deutschen Post) einer der Spitzel, die sie ans Messer lieferte
 
     
     
 
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