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Schritte in der Dunkelheit

 
     
 
Emil gehörte nun wirklich nicht zu der großen Gauner-Aristokratie. Er war halt nur ein kleiner Fisch und suchte deshalb seine Beute auch nur in kleinen trüben Gewässern. Mal ein Handtaschendiebstahl, mal ein Wochenendhaus-Einbruch, wo ihm aber in den seltensten Fällen etwas Brauchbares in die Hände fiel. Aber geschnappt wurde er bisher noch nie.

Es war noch stockfinster, als Emil an einer einsamen Vorstadtstraße stand und von einem richtigen Coup vor sich hin träumte. Endlich mal ein großes Ding drehen, um aus dem Schatten eines Hopplahoppganoven herauszuspringen. Er hatte es einfach satt, immer nur von der Hand in den Mund zu leben. Ginge es nach seinem Geldbeutel, hätten sämtliche Monate um mindestens ein halbes Dutzend Tage gekürzt werden müssen. Aber was soll halt schon bei einem durchschnittlichen Acht-Stunden-Arbeitstag herauskommen?

Plötzlich hörte er schwere Schritte, Schritte, die in der Dunkelheit näher kamen. Schnell verschwand Emil Rauder im Schutz einer hohen Hecke. Dem werde ich mal in die Brieftasche spitzeln, dachte sich Emil und streifte den Schlagring über die Finger. Sorgfältig zog er die Wollhandschuhe drüber. Als die fremde Gestalt zwei Schritte an ihm vorbei war, sprang er aus seinem dunklen Versteck hervor, ein kräftiger Schlag und der Mann sackte lautlos zusammen. Sofort beugte sich Emil über den reglosen Körper und begann hastig alle Taschen zu durchwühlen.

Da wurde er auch schon vom Scheinwerferkegel eines Autos erfaßt. Mit quietschenden Reifen hielt der Wagen neben ihm und der Fahrer sprang heraus. "He, was ist passiert?" - "Schnell, der Mann ist überfallen worden! Er röchelte etwas von einem hageren Kerl mit einem weißen Golf. Der ist gerade um die Kurve abgehauen! Verfolgen Sie ihn und verständigen Sie Polizei und Krankenwagen! Nun machen Sie schon - hauen Sie endlich ab!" Mit aufheulendem Motor raste der Wagen davon.

Erleichtert atmete Emil auf. Trotz der empfindlichen Kühle standen ihm einige Schweißperlen auf der Stirn. Verstohlen blickte er sich um. Das war verdammt knapp! Schnell noch die restlichen Taschen durchwühlen, dann aber nichts wie weg von hier, beschloß er nervös. Doch dafür war es bereits zu spät, denn ein anderer Wagen hielt schon neben ihm. Ein hochgewachsener Mann stieg aus. "Was machen Sie denn da?" - "Der Mann ist überfallen worden", japste Emil. "Polizei und Krankenwagen sind bereits verständigt!" - "Gehen Sie mal zur Seite. Ich bin Arzt und will nach dem Verletzten sehen!"

Der Arzt kniete sich zu der reglosen Gestalt nieder. Nach kurzer Zeit stand er auf und schüttelte den Kopf. "Hier kommt jede Hilfe zu spät. Ich kann nichts mehr für ihn tun. Der Mann ist tot!" Emil traf es wie ein Hieb. Ungläubig starrte er zu Boden. "Tot? Sie, Sie meinen, der ist richtig, der ist ...?"

Der Arzt nickte und breitete die Hände zu einer hilflosen Geste aus. Ehe Emil begreifen konnte, trafen auch schon Polizei und Krankenwagen ein. "Sie haben also den Mann gefunden?" Kommissar König ging auf Emil zu. "Ja", gab der Befragte zaghaft zurück. "Haben Sie etwas bemerkt, oder haben Sie Feststellungen machen können? Jede Kleinigkeit kann von großer Bedeutung sein!" - "Ich kam von dort", zeigte Emil mit dem Kopf nach links. "Ich sah noch gerade ein Auto davonbrausen, und sah auch schon den Mann da am Boden liegen. Ich beugte mich über ihn. Der Mann keuchte was von nem hageren Kerl mit nem weißen Golf und von Überfall. Dann flüsterte er, ich glaube es war als L und zwei zu deuten. Womöglich wollte er mir das Kennzeichen
mitteilen. Dann kam der Herr dort vorbei. Den habe ich sofort auf die Verfolgung geschickt und gebeten, Polizei und Krankenwagen zu verständigen", bastelte sich Emil sein Alibi zurecht. Der Kommissar drehte sich um. "Und ist Ihnen an dem weißen Golf etwas aufgefallen?" - "Ich habe den Wagen doch nur ganz flüchtig gesehen. Ich konnte doch überhaupt nicht ahnen, daß, nun ja ..." - "Gut", murmelte Kommissar König. "Gehen Sie bitte rüber in den Bereitschaftswagen und hinterlassen Sie Ihre Personalien. Dann können Sie nach Hause gehen."

Emil war überzeugt, dem Kommissar eine glaubhafte Story geliefert zu haben. Drei Tage später klingelte es an Emils Wohnungstür. "Sie, Herr Kommissar, Sie hier?" fragte Emil überrascht. "Ja, es geht immer noch um den Mord da in der Vorortstraße! Darf ich eintreten?" - "Haben Sie schon Erkenntnisse, Herr Kommissar? Ich meine zum Beispiel diesen weißen Golf ..." - "Nein, aber es gibt da noch eine kleine Ungereimtheit."

Emil führte Kommissar König und seinen Begleiter in das Wohnzimmer. "Aber was ich wußte, habe ich doch bereits alles zu Protokoll gegeben!" Kommissar König kniff die Augen zusammen. "Der Mann sagte also zu Ihnen, er wäre von einem Kerl, der einen weißen Golf fuhr, überfallen worden? So habe ich Sie doch verstanden. Bleiben Sie bei dieser Aussage?" - "Stimmt, Herr Kommissar, ja, genau das hat er gesagt!" - "Herr Rauder, ich muß Sie unter dringendem Mordverdacht festnehmen!" Der Assistent zückte schon die Handschellen. Emil wich entsetzt einen Schritt zurück. "Wieso? Wie ist so was möglich? Wo ich doch ..."

"Das Opfer hieß Salvatore Buccini und war italienischer Staatsbürger. Das war Ihr Pech, Herr Rauder. Gerade war er hier zu seinem Bruder auf Besuch gekommen, der vor vielen Jahren als Gastarbeiter zu uns kam und mittlerweile in unserem Land heimisch geworden ist. Sein Bruder Salvatore Buccini sprach leider noch kein einziges Wort Deutsch, nicht mal ein einziges Wort ..."
 
     
     
 
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