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Stunde Null

 
     
 
Es ist nicht gerade vergnüglich, in diesen Tagen die deutschen Feuilletons zu lesen. Natürlich geht es um Günter Grass. Das Abwägen, wie viel Bedauern sein muß, wieviel Verständnis sein darf, will kein Ende nehmen.  Nicht alle trauen sich, bei Grass Genie von Charakter zu trennen, mit einem Schnitt. Seine Literat
ur ist geschrieben, steht im Bücherregal; alter Ruhm. Sein Anspruch, die Welt zu deuten, ist verflogen. Es ist wie mit einem ertappten Dopingsünder: Nichts zählt mehr. Natürlich geht es in der Stunde Null nach Grass um anderes als um seinen Flirt mit dem Heldentum, um seine Zeit in der Waffen-SS. Es geht jenen moralischen Rigorismus, den sich viele Zeitgenossen bei Grass ausgeliehen hatten und mit dem in der Zeit seit dem Krieg die Lebensläufe der anderen abgewertet wurden. Mit einem wie Günter Grass im Rücken waren die moralischen Logenplätze sicher.  Er hätte zu jeder Zeit die Dinge gerade stellen, dem einen oder anderen beistehen können, mit einer Lesung aus der eigenen Vita - doch Grass fand sich selbstgerecht genug. Der Selbstverrat des Nobelpreisträgers ist die eitelste Variante des Rückzugs - Grass verabschiedet sich aus dem Kartell der ewigen Rechthaber und läßt seine Gutmenschen allein. Er geht, ohne sich die Rechnung aufmachen zu lassen. Einer wie Grass spürt auf der Haut, daß zwei Generationen nach dem Krieg das enge Geviert der Meinungshoheit durchbrochen ist, es gibt neue Leitgedanken: Unser charmanter Patriotismus ist nur ein Stück davon. Es ist wieder eine Stunde Null.
 
     
     
 
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