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Tornibonga

 
     
 
Nach dem Krieg zogen wir eines Tages nach Süddeutschland. Weil es mir nicht schwergefallen war, die Sprache, selbst das Platt in Niedersachsen zu verstehen, hatte ich überhaupt keine Bedenken, mit dem schwäbischen Dialekt klarzukommen. Aber weit gefehlt, es war gerade so, als ob jemand Suaheli mit mir sprach. Teils aus Neugierde, teils aus Wissensdurst wurde ich eines Tages gefragt, wo ich denn herkäme. Ich nahm an, daß man mich das fragte, denn ich konnte es ja nicht verstehen. Mit einem fragenden Blick gab ich dann kund, daß ich nichts verstanden hätte. Nun, die Frage an mich wurde wiederholt, aber ich hatte wieder nichts erfaßt. Also fragte ich zum dritten Mal. Die Antworten waren böhmische Dörfer für mich, und so fabulierte ich auf gut Glück etwas mit ja, ja und Ostdeutschland und nickte fleißig mit dem Kopf. Das waren zu Beginn meine erschreckendsten Erlebnisse.

Im Metzgerladen, im Konsum, beim Bäcker lernte ich dann durch Zeigen den Tonfall und die Sprache kennen. Da gab es Bratbiere, das waren Mostbirnen, Grombiere waren Kartoffeln. Weckla und Weckmehl waren Semmel, und der Kudderoimer war schlicht der Mülleimer. Damals gebrauchte man teilweise auch noch den Bottschamper, welches der Nachttopf war. Und siehe da, nach ungefähr acht Wochen war es, als ob mir die Ohren aufgehen würden. Dabei verstanden die Leute meine hochdeutsch
e Sprache auch nicht immer und mußten nachfragen. Als meine schulpflichtige Tochter aber zu schwäbeln anfing und ich sagte, daß sie doch nicht gerade jetzt, wo sie in die Schule komme, damit anfangen müsse, erklärte sie mir völlig ernsthaft, sie müsse schwäbisch schwätzen, weil die Kinder sie sonst nicht verstehen würden. Da konnte man wenig machen.

Der Umzug, das Neue, die Arbeit hatten mir dann sehr starke Rückenschmerzen eingebracht und ich sprach mit meiner schwäbischen Nachbarin darüber. Sie gab mir allerlei gute Ratschläge, von denen ich ihr sagen mußte, daß ich das schon alles ausprobiert hätte, ohne Erfolg. Ja, sagte sie dann ganz knitz: "Waret Sie schon in Tornibonga?" Ich horchte verständnislos auf. Jetzt hatte ich doch erst aus Ostdeutschland fliehen müssen, war in Niedersachsen schon zweimal umgezogen, wie sollte ich da Lust und vor allem Geld haben, um nach Tornibonga zu fahren? Tornibonga, keine Ahnung, wo das überhaupt lag, mußte ja irgendwo bei den Schwarzen in Afrika liegen. So verneinte ich etwas verwirrt und ertappte mich bei dem Gedanken, daß ich in der Schule wohl nicht gut aufgepaßt hätte.

"Tornibonga koa ich Ihne nur empfähle", sagte meine Nachbarin wieder, "wenn Sie da zu rickkomme, send Se wie neu. Alles funktioniert wieder." Nun war ich doch neugierig geworden und fragte schließlich, wie man da hinkommt. "Na", meinte Frau Breitmeier etwas mitleidig, das wären doch nur zwei Straßen weiter, beim Roten Kreuz. Warum nicht, dachte ich, warum nicht das Rote Kreuz als Auskunft für fremde Länder? Ein Reisebüro hatte mein Städtchen damals noch nicht. Innerlich lächelte ich über meine Schwäbischkenntnisse. Also, auf zum Roten Kreuz, dort würde ich bestimmt etwas über das Land Tornibonga erfahren.

Die Eingangstür war wenig einladend, und es hing nur ein winziger Zettel daran, auf dem stand, daß die Turnübungen vorübergehend wegen Krankheit der Gymnastiklehrerin ausfallen würden. Ich stand ratlos davor, der Inhalt ging mich ja nichts an. Eine Vorübergehende meinte dann, "Schad, daß jetz vorleifig keine Tornibonga mehr stattfinde däte, denn die Frau Schäufele, die Gymnastiklehrerin, hätt sich den Haxe broche." - "Ja, schade", sagte ich dankend.

Was hatte eigentlich auf dem kleinen Zettel gestanden? Turnübungen, o ja, jetzt begriff ich, daß Tornibonga wirklich gleich zwei Straßen weiter liegen und man wirklich wieder ganz gesund daraus zurückkommen kann. Schade, daß sich Frau Schäufele den Fuß gebrochen hatte und zur Zeit keine Tornibonga machen konnte.

 
     
     
 
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