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Unterwegs im Nordenburger Grenzsperrgebiet - wiedergesehen und doch nicht wiedergefunden

 
     
 
Während eines Schüleraustausches zwischen Hanerau-Hademarschen un Nordenburg unternahm Marianne Hansen als erste Zivilperson mit offizieller Genehmigung de oberen Polizeibehörde eine Fahrt in das Nordenburger Grenzsperrgebiet. Selbst Russe dürfen nicht in das "Territorium". Russische Freunde hatten diese Erlaubni für sie erwirkt. Sie schildert ihre Reise in das Niemandsland, auf der Suche nach de Heldenfriedhof, dem Schützenhaus, dem Tingplatz und der Badestelle am Bruch.

In Korellen, drei Kilometer westlich von Nordenburg, ist das Hauptquartier de Grenzsoldaten. Dort im Gutshaus wohnen die Offiziere mit ihren Familien, die Soldaten in den ehemaligen Insthäusern. Wassili, seine Frau Soja (sie fungierte als Dolmetscherin und ich fuhren bis zu diesem Punkt, wo wir den "Kapitan" (Hauptmann) mit seine kleinen Tochter, begleitet von einem Soldaten mit einer Kalaschnikow und einem Funkgerä mit einer riesenhohen Antenne, die gerade noch in den VW-Bus paßte, abholten. De Offizier zeigte ein versteinertes Gesicht, so daß ich etwas beklommen war. Nun ging e über Stock und Stein. Wir fuhren immer in Richtung Nordenburg zurück, bis wir etwa zu Eingang des Friedhofs kamen.

Alles aussteigen. Die Spannung wuchs. Fotograf
ieren absolut verboten! Der Kapitan mi seinem versteinerten Gesicht ließ sich auch nicht erweichen. Als ich später weine mußte, entschuldigte er sich verlegen, daß er mich nicht fotografieren ließ "Befehl ist Befehl." Ich verstand ihn, weil ich an meinen Sohn Peter dachte, de ja auch Hauptmann ist, was ich ihm sagte. Danach schien er mir aufgeschlossener, und ei Lächeln huschte manchmal über sein Gesicht.

Der große Eichenbaum rechts vom Eingang ist gestürzt, ein alter Riese, der die Verwahrlosung nicht ertrug. Links die Leichenhalle. Nur noch ein Giebelbogen zur Stadt is zu erkennen. Kein Fundament, keine Ansätze der Hauptgänge, nichts. Zu Anfang sind nich einmal mehr Gräberreste zu erkennen. Unser Familiengrab ist, auch nach intensivster Such – die beiden Soldaten bemühen sich sichtlich, mir zu helfen – nicht zu finden Ich muß weinen. Die Suche nach der großen Pumpe ist vergeblich. Meine Augen suche verzweifelt ein winziges Fünkchen Vergangenheit, das aus meiner Kindheit in klare Erinnerung ist. Nichts! Ich darf mir Zeit nehmen. Wir haben Gummistiefel und tappe vorsichtig in Richtung Tingplatz, links vom Friedhof. Der große Zwischengang ist noch zu erahnen. Auch die beiden Eingangspfosten stehen, jedoch ohne Dachverbindung. Aber unse schöner, großer Tingplatz! Alles, aber auch alles ist mit Bäumen und Gestrüp zugewachsen. Doch die Rundungen der Treppen unten sind erkennbar. Am Heldendenkmal obe angekommen, wirkt es auf mich bombastisch, mahnend, das Monument aus Granit, die Bronzeplatte aufgebrochen. "Gedenket der Helden, die starben, damit wir leben." Bemoost und verlassen alles um mich herum. Dunkel, unheimlich. Bin ich Schliemann?

Weiter geht es zum Heldenfriedhof, links am Trümmerhaufen des Schützenhauses vorbei Ich erkenne nichts. Kurz nach dem Schützenhaus rechts der ehemalige Aufgang zu Heldenfriedhof. Heute ein riesiges, tiefes Loch. Dort sind Schießscheiben angebracht. Da Grenzmilitär benutzt es als Übungsplatz. Links der Riesenkuhle gehen wir den Berg hoch Oben angekommen, steht noch die linke Eingangspforte. Sogar das Dach ist noc unbeschädigt. Dann alles wieder Urwald. Rechts stehen, liegen, wanken noch die einzelne Gedenksteine der Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg. Das große schwarze Kreuz ist au seinem Fundament gebrochen und liegt geborsten in Farn und Gebüsch.

Der Offizier führte mich noch über eine Brücke, die wohl die Pioniere über die Aschwöne gebaut haben. Etwa da, wo unser Badeplatz war. Wir standen lange auf der Brück und ich versuchte, mich nach allen Seiten zu orientieren. Die Lärchen des Judenfriedhofe sind abgeholzt, so daß ein Suchen unmöglich für mich war. Vielleicht würde ich die Stelle beim zweiten Besuch finden. Die Aschwöne ist nur ein Rinnsal, das an der Grenz mit Eisenstäben dicht bei dicht verbarrikadiert ist. Inzwischen kamen wir wieder bis kur vor das Auto. Dort fragte mich der Offizier, sichtlich interessiert (er ist 27 Jahre) warum ich eigentlich aus Nordenburg gegangen bin. Daraufhin sprudelte aus mir alles bishe Aufgestaute heraus, und ich erzählte ihm, wie es uns als Vertriebenen unter den Sowjet ergangen ist: von den unendlichen Opfern der Alten, von Frauen und Kindern und daß die letzten Deutschen 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Ein Schatten zog über sei Gesicht und er sagte: "Das habe ich nicht gewußt."

Ja, und schon waren wir wieder in Korellen. War es ein böser Traum? Was es ein guter War es Wirklichkeit? Wenn ja, so war es unwirklich. 55 Jahre immer wieder in Erinnerung Im Wachen und im Träumen all diese Wege gegangen, durchlebt und gehofft, da Unerreichbare noch ein einziges Mal zu sehen. Wie ein Wimpernschlag die Zeit von zwe Stunden. Bin ich nun von dem Bann erlöst? Ich weiß es nicht. Doch Dankbarkeit ström Wassili und seiner Frau warm entgegen, die mit viel Mühe und Zähigkeit mir überhaup diesen offiziellen Grenzbesuch ermöglichten.

 
     
     
 
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