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Vergangenheit aufhellen

 
     
 
Wer kann helfen, das Schicksal einer Ostpreußin aufzuklären?

Es gibt Briefe, die den doch schon
breitgesteckten Rahmen unserer ostdeutschen Familie einfach sprengen. Die Schicksale, die da geschildert werden, sind so ergreifend, daß man sie nicht mit wenigen Worten beschreiben kann. So wie das der Gertruda Bieliniene, die eigentlich Trude Eckendorf heißt, in Tauroggen lebt und endlich ihre deutsche Herkunft beweisen will.

Auf welch unüberwindbare Schwierigkeiten sie bisher dabei stieß, schildert ihr langer Brief, den sie diktiert hat, denn sie ist Analphabetin, weil sie nie eine Schule besuchen durfte. Aber ihr Erinnerungsvermögen selbst an Vorgänge aus der frühesten Kindheit ist groß und deshalb kann sie präzise einige Anhaltspunkte zu ihrer Herkunft geben.

Die liegt in Deutschland und mit größter Wahrscheinlichkeit in Ostdeutschland. Ihr Vater hieß nach ihren Angaben Arthur Eckendorf, die Mutter mit Vornamen Meta. Sie hatte zwei Geschwister: den Bruder Peter, der früh verstarb und an dessen Tod sie sich noch erinnern kann, und die jüngere Schwester Erna. Trude, so wollen wir sie nennen, erinnert sich , daß sie auf einem Gutshof aufwuchs. Das Haus war lang, vor der Tür gab es einen Lagerraum, der große Hof war von vielen Ställen umgeben, in der Nähe war ein Wald.

Die – wahrscheinlich – 1938 geborene Trude reiste viel mit ihrer Mutter, sogar mit einem Flugzeug, was für die damalige Zeit ungewöhnlich war. Der Vater war bei der Wehrmacht. Einmal ist er noch zurückgekommen und hat der Mutter gesagt, daß sie sich auf schlimme Zeiten vorbereiten sollte. Trude saß auf seinem Schoß, sie bekam von ihm Schokolade. Es war das letzte Mal, daß sie ihren Vater gesehen hat. Er fiel wohl in den letzten Kriegsjahren
. Da ging Trude schon zur Schule.

Dann kamen die Russen, und der Leidensweg des Kindes begann. Die Mutter mußte mit den Kindern den Hof verlassen. Sie fuhren mit einem Pferdewagen bis zu einer menschenleeren Stadt, hausten in einer Wohnung, deren kaputte Fenster die Mutter mit Decken verhängt hatte. Die Frau ging auf den Feldern arbeiten und bekam auch dort Verpflegung, Mehlbrei und Brot, das sie ihren Kindern gab. Die Suppe hat man in Helme gegossen. Dann wurde die Mutter krank und ist schließlich verhungert. Sie wurde in einem Brettersarg auf einem Friedhof begraben, wo dieser lag, weiß Trude nicht mehr.

Nach dem Tod nahm eine Tante das Kind zu sich, eine andere die Schwester. Trude wohnte längere Zeit bei ihrer Tante, die vier Kinder hatte. Das Leben war erbärmlich. Aus faulen Kartoffeln buken sie sich Kuchen, den sie mit Beeren aßen, die sie in der Dunkelheit im Wald gelesen hatten. Sie sind dann nach Litauen gegangen, wo sie getrennt wurden. Die Tante hatte Trude auf einen Gutshof zum Betteln geschickt, sie selber ging zu einem anderen Hof. An der verabredeten Stelle wartete das Kind vergebens auf die Tante. Es irrte umher und fand schließlich Obdach auf einem Hof, der alten Leuten gehörte. Sie halfen dem vollkommen verlausten und hautkranken Kind. Auf diesem Hof waren auch andere Deutsche, die ebenfalls betteln gingen. Zweimal soll die Tante auf diesem Hof gewesen sein und nach der Nichte gefragt haben, aber das Kind war wieder auf Bettelgängen.

Der alte Mann konnte deutsch, weil er bei der Wehrmacht gedient hatte. So konnte er sich mit der Tante unterhalten, die ihm Familienfotos zeigte. Auf einem waren Trudes Eltern, die Mutter in einem langen weißen Kleid mit Stickerei, auf dem Schoß den Bruder haltend, die beiden Mädchen daneben. Trudes rechte Hand war verbunden, sie hatte sich am Daumen geschnitten. Die Tante ließ weder Fotos noch andere Unterlagen zurück, sagte nur, daß Trude im Jahr 1938 geboren sei, nannte auch das Datum, aber das hatte der alte Mann sich nicht gemerkt. Es war das letzte Mal, daß Trude etwas von der Tante hörte. Sie soll nach Deutschland gegangen sein wie auch die andere Tante mit der jüngeren Schwester Erna.

Trude blieb auf dem Hof bei dem alten Mann, der auch eine Stieftochter hatte. Diese durfte die Schule besuchen, Trude nicht, so daß sie weder schreiben noch lesen lernte. Das Mädchen mußte im Haushalt helfen und durfte nicht mehr deutsch sprechen. Nach acht Jahren, also wohl in einem Alter von 15 Jahren, ging Trude nach Tauroggen als Kindermädchen.

Eine ihrer Wirtinnen arbeitete auf dem Standesamt und verhalf ihr zu gültigen Papieren. Allerdings gab sie als Geburtsjahr 1940 an, verschwieg auch den deutschen Namen des Mädchens und den der Eltern. Trude hat diese nie vergessen, hat sie noch auf einer vor kurzem stattgefundenen Gerichtssitzung angegeben, aber es fand keine Korrektur statt, weil Beweise fehlten, lediglich wurde das Geburtsjahr auf 1938 geändert.

Die Frau, die heute Rentnerin ist, in Tauroggen lebt und drei Kinder hat, versuchte immer wieder, ihre Verwandten in Deutschland zu finden, um ihre deutsche Herkunft beweisen zu können. Alle Bemühungen waren vergebens, so daß sie schließlich die Hoffnung aufgab. Erst jetzt hat sie wieder Mut geschöpft, als sie vom und den Erfolgen unserer Ostdeutschen Familie las. Es könnte also noch irgendwo ihre jüngere Schwester Erna leben, vielleicht auch eine der Tanten oder deren Kinder.

Die Namen könnten auch etwas anders lauten. Es war schwer, den einer deutsch schreibenden Person diktierten Lebenslauf mit seinen verschnörkelten Buchstaben zu entziffern. So könnte der Vorname auch "Traute" lauten, der Vorname der Mutter "Martha", statt "Meta", der Familienname "Seckendorf" oder "Ackendorf". Aber ich hoffe trotzdem, daß diese Spuren ausreichen, um endlich die Vergangenheit dieser Frau aufzuhellen, die sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich beweisen zu können, wer sie wirklich ist. Anschrift: Bieliniene Gertruda, T. Vaizganto 122a – 63, LT-5900 Taurage, Litauen/Lithuania.

 
     
     
 
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