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Volk blamiert Volksvertreter

 
     
 
Die Bürger von Potsdam sind an die Wahlurne gerufen worden. Nicht, um ein neues Stadtparlament oder einen Bundestagsabgeordneten zu bestimmen, sondern um zu erklären, was sie sich für einen Landtagsneubau wünschen.

Und obwohl das Ergebnis dieser Abstimmung nicht verbindlich war für die Stadtoberen, beteiligten sich mehr Potsdamer daran, als bei der vergangenen Kommunalwahl (deren Ausgang im Gegensatz dazu sehr wohl verbindlich war, aber offenbar nur wenige interessiert hat).

Über 56000 Bürger oder 46,1 Prozent aller Wahlberechtigten haben ihre Stimme für eines der vorgeschlagenen Projekte
abgegeben - eine überraschend hohe Anteilnahme der Bürger am Geschehen in ihrer Stadt!

Dieses plötzliche Plebiszit ist notwendig geworden, weil es im Potsdamer Stadtparlament zuweilen zugeht wie in der israelischen Knesset: Der Versammlung in der brandenburgischen Landeshauptstadt gehören zehn Parteien an, die Stadt wird von wechselnden Mehrheiten regiert.

In diesem Durcheinander scheiterte zweimal der Antrag, das alte Stadtschloß wiederaufzubauen, um es als brandenburgisches Landesparlament zu nutzen. Und das, obwohl das Land die Kosten in Höhe von 100 Millionen Euro tragen will. Die Potsdamer Stadtverordneten haben dieses Geschenk dennoch brüsk abgelehnt. Warum, weiß keiner so recht.

Jetzt haben die Bürger das Sagen gehabt. Und sie haben sich mit einer relativen Mehrheit von 42,8 Prozent für das Schloß ausgesprochen. Dahinter rangieren das verfallene Industrieareal Speicherstadt (28,5 Prozent) und das von der PDS favorisierte Palais Barberini (12,8 Prozent) als künftiger Sitz der Volksvertretung.

Die Linke/PDS profilierte sich als Kritiker Nummer Eins eines Schloß-Wiederaufbaus. Klar: Die SED-Nachfolger wollen königliche Machtinsignien möglichst geschleift sehen. Schließlich gehörte der Abriß des Potsdamer Prachtbaus ebenso zu den Banausenstücken der roten Diktatoren wie die Sprengung des Berliner Schlosses, dessen Wiederaufbau sich ebenfalls niemand so hartnäckig widersetzt wie die heutige Linkspartei.

Doch selbst die PDS tut sich nach diesem Votum der Potsdamer Bürger schwer, ihre Anti-Schloß-Linie durchzuhalten. Schließlich war sie es doch, die die Volksbefragung durchgesetzt und damit ein gehöriges Eigentor geschossen hat.

Das Palais Barberini sei bei den Potsdamern "nicht mehrheitsfähig", stellte der Linkspartei-Chef von Potsdam Pete Heuer nach der Abstimmung resigniert fest. Eine nette Umschreibung dafür, daß weniger als jeder siebte den Vorschlag der Postkommunisten unterstützt. Und sein "Genosse Fraktionsvorsitzender" Hans-Jürgen Scharfenberg sah sogar seine eigene ablehnende Haltung zum Schloß "in Frage gestellt".

Am 31. Januar entscheidet die Stadtverordnetenversammlung erneut über das Landtags-Projekt. Eine Ecke des Potsdamer Stadtschlosses, das Fortunaportal, wurde bereits mit privaten Geldern wiederaufgebaut, als Appetitanreger sozusagen. So wie in Berlin eine Gebäudeecke der Schinkelschen Bauakademie aus Spendenmitteln neu errichtet worden ist - als in Stein gemeißelter Seufzer der Stadt, die einen Sponsoren sucht, der den restlichen Wiederaufbau auch noch bezahlt.

Bürgermeister Jann Jakobs (SPD) forderte im Handumdrehen nach Bekanntgabe des Ergebnisses: "Über dieses Votum der Potsdamer darf nicht leichtfertig hinweggegangen werden." Der Finanzminister Brandenburgs (aus dessen Säckel der Neubau bezahlt werden müßte) appellierte an das Stadtparlament, den Landtagsneubau im Schloßgewand nun doch noch zu verwirklichen.

Andernfalls müßten die Abgeordneten weitere Jahre in dem provisorisch zum Landtag umfunktionierten ehemaligen SED-Bezirkshauptquartier bleiben. Dieses Gebäude hat den Beinamen "Kreml" wegen seiner Rolle in der Honecker-Zeit.

Da selbst die SED-Nachfolger einzulenken scheinen, sieht es so aus, als käme der Bau tatsächlich zustande. Doch der Schein könnte trügen: Auch vor der letzten Abstimmung galt die Zustimmung bereits als sicher.

Vielleicht liegt hier aber auch der Grund für das überraschende Zustandekommen einer Zufallsmehrheit gegen das Schloß. Weil sich zu viele Abgeordnete der Mehrheit sicher waren, verweigerten sie aus einer Trotzhaltung heraus der Sache ihr Ja. So wie zwei Abgeordnete aus der SPD/PDS-Koalition Wowereits Wiederwahl im ersten Wahlgang zum Scheitern brachten, von denen mindestens einer gedacht haben mag, "meine eine Stimme wird die Bürgermeisterwahl schon nicht zum Platzen bringen".

Jann Jakobs muß jetzt solange die einzelnen Abgeordneten geschickt bearbeiten, bis die Mehrheit steht - egal wie gering sie letztendlich ausfällt. Mit dünnen Ergebnissen kennt sich der Bürgermeister bestens aus. Seine eigene Wahl erfolgte 2003 in einer Stichwahl gegen den PDS-Kandidaten denkbar knapp. Jakobs besiegte den PDS-Kandidaten Scharfenberg mit nur 50,1 Prozent der Stimmen.

Foto: Stadtrat schlug 100 Millionen vom Land aus: Viele Fragmente des 1960 von den Kommunisten gesprengten Potsdamer Stadtschlosses sind auf Depo
 
     
     
 
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