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Vom Erfolg verwöhnte Union phantasiert

 
     
 
Die Union fühlt sich siegessicher, wie schon einmal vor zwei Jahren. Sie fühlt sich so sicher, daß sie wieder mit sich selbst streitet. Diesmal nicht über die berühmte K-Frage, sondern über die K-Frage der Zukunft: Wie geht es weiter mit den Krankenkassen? Eigentlich steht es im Moment nicht schlecht um sie. Sie schreiben wieder schwarze Zahlen. Eine Milliarde Euro Überschuß haben sie im letzten Quartal erspart. Den Kassen geht es gut, das wurde auch auf dem Berliner Kongreß zu Medizin und Gesundheit vermerkt, und schon glaubt man in der Unionsspitze, am eigenen neuen Krankenkassenkonzept herumfeilen zu müssen. Im Grundsatz soll es zwar dabei bleiben, daß alle Bürger den gleichen Beitrag zahlen und der Sozialausgleich über Steuergelder erfolgt. Damit sollen die Gesundheits- von den Lohnkosten entkoppelt werden. Doch die Gesundheitsprämie, auch Kopfpauschale genannt, soll 180 Euro statt wie bisher vorgesehen 200 Euro pro Monat betragen. Der bisher geplante Zusatzbeitrag von 20 Euro, der die Krankenkassen gegen Risiken der alternden Gesellschaft schützen sollte, entfalle.

Die Blindheit angesichts der demographischen Verwerfungen ist beängstigend und geht mittel- und langfristig auf Kosten der Patient
en. Die Kritik des Gesundheitsexperten Seehofer an den neuen Plänen aus dem Hause Merkel ist berechtigt. Die Patienten zahlen die Zeche und bei diesen auch nicht alle, sondern die Ärmsten, vor allem die Mütter. Gerade bei diesen wird die Blindheit besonders deutlich, denn diese sind es, die den rasanten demographischen Absturz abfedern.

Sie werden auf anderen Wegen dann doch zur Kasse gebeten. So sind beispielsweise Mutter-Kind-Kuren um rund ein Drittel gesunken. Die Kassen weigern sich, die vollen Kosten zu übernehmen. Da Mütter mit Kindern zu der ersten Kategorie der Armen in diesem Land gehören, müssen sie auf die Kur verzichten - und weiter Raubbau an ihrer Gesundheit betreiben. Währenddessen singt die Politik hochgemut das Lied von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Was für eine Heuchelei!

Die vielbeschworene Vereinbarkeit wird heute de facto immer auf Kosten der Frau verwirklicht. Die Frau trägt zu mehr als 90 Prozent die Doppelbelastung von Familienarbeit und Erwerbsarbeit. Wer sie mit dem Modegeplärr von der modernen Frau aus dem Haus lockt und dann nicht mehr bereit ist, für die Regeneration ihrer Gesundheit Sorge zu tragen, der handelt nicht nur verantwortungslos gegenüber diesen Frauen, sondern auch gegenüber ihren Kindern und damit gegenüber der Zukunft. Hier hätten die Politikerinnen aller Parteien mal Grund, einer herzlosen, männerbestimmten und blind sparwütigen Funktionärswelt den Kampf anzusagen. So aber lassen sie Zehntausende von Frauen, die wegen der Doppelbelastung eine Kur bräuchten, im Stich und verschieben damit die Kosten nur auf später. Denn diese Frauen werden irgendwann zusammenbrechen, oder ihre Kinder werden vernachlässigt mit Folgen, die man auch schon kennt und deren Kosten auch weit über eine Kur hinausgehen.

Ein zweites Beispiel für die Kurzsichtigkeit der Politik ist die Forschung. Die Kassen sparen Milliarden, die Pharmaindustrie auch. Allerdings spart die Industrie durch günstigere Produktion und Forschung im Ausland. Vor 15 Jahren noch war die deutsche Pharmaindustrie Weltspitze. Man sprach von Deutschland als der größten Apotheke der Welt. Heute führen andere Länder das Ranking der Pharmaindustrie an, vorwiegend Amerikaner, danach Schweden, Schweizer und mittlerweile haben sich auch die Franzosen (Stichwort Sanofi) nach vorne geschoben. Deutschland bewegt sich jetzt irgendwo im Mittelfeld. Die Kosten für die Forschung sind im Ausland eben sehr viel preiswerter. Dort entstehen dann natürlich auch die Arbeitsplätze. Deutschland bleibt nur noch als Markt interessant, denn eine alternde Gesellschaft braucht mehr Medikamente. Da werden die Kassenfunktionäre und ihre Ministerin sich noch wundern.

Gleiche Misere bei Ärzten und Pflegepersonal. Überall fehlt es. Genügend gibt es nur noch bei den Ärzteserien im Fernsehen. Die Wirklichkeit heißt: Flucht ins Ausland oder in die Wirtschaft. Sparen allein nützt nichts. Die Gesundheit wird künftig noch teurer, was not tut, sind Umschichtungen der Beträge in die Zukunft, in die Mütter, in die Forschung, in die Arbeitsplätze. Das wären Investitionen in den Menschen und nicht in den Weg zum staatlichen Gesundheitssystem. So spart man sich nur tot.

Aber wie soll man es den Funktionären in Kassen und Parteien beibringen? Für sie gilt, was Alex-ander und Margarete Mitscherlich in ihrem Buch mit dem bezeichnenden Titel "Die Unfähigkeit zu trauern" unter dem Kapitel Vorurteil schreiben: "Vorurteile sind ein verblüffendes Phänomen. Wer von ihnen sicher gedeckt ist, lebt oft angenehm, denn er weiß mühelos über Dinge Bescheid, von denen er wenig versteht." Dasselbe gilt offenbar für den Zusammenhang zwischen Kassen und Demographie, und das nicht nur in der rot-grünen Regierung.

 
     
     
 
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