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Was dem Mittelstand fehlt

 
     
 
Die mittelständische Wirtschaft wartet seit langem auf den immer wieder von der Bundesregierung prognostizierten Aufschwung. Das von der rotgrünen Koalition gepflegte Prinzip Hoffnung, mit dem die Fakten und Daten über- beziehungsweise verdeckt werden sollen, hat immer wieder zu einer Schönung der Entwicklung geführt.

Stimmung und Lage sind im Mittelstand gleichermaßen schlecht. Von Aufschwung kann beim besten Willen nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Die Bestellungen
und die Umsätze in den Betrieben des selbständigen Mittelstandes gehen eher weiter zurück. Der Kostendruck nimmt dagegen weiter zu, so daß die Ertragslage in den meisten Firmen wirklich katastrophal ist und viele Betriebe in die Knie zwingt. 37.000 Pleiten im vergangenen Jahr sind dafür traurige Beispiele - nicht gerechnet viele hunderttausend selbständige Existenzen, die ohne Insolvenzverfahren aufgeben mußten. 2003 wird die Zahl der Insolvenzen auf deutlich über 40.000 steigen; dies bedeutet eine weitere schwere Erosion des Mittelstandes.

Daß damit viele hunderttausend Arbeits- und Ausbildungsplätze wegfallen, ist die bittere wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenz dieser negativen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dabei muß beachtet werden, daß der mittelständische Unternehmer stärker als die großen Konzerne binnenmarktorientiert arbeitet. Aber selbst bei einer allmählichen Aufhellung der Weltkonjunktur nach dem Ende des Irak-Krieges ist für Deutschland im laufenden Jahr eher mit einer Stagnation denn mit einem Aufschwung zu rechnen.

Das heißt aus der Sicht des Mittelstands: kein Wachstum - Zurückhaltung bei Konsumenten und Investoren - anhaltend schlechte Zahlungsmoral, zum Teil auch der öffentlichen Hände - weiterer Druck auf die Ertragsmargen, mit vielfach roten Zahlen - immer geringere Selbst- und auch Fremdfinanzierungsleistungen - weitere Zunahme der Existenzbedrohung und Existenzvernichtung mit schweren Folgen für den Arbeitsmarkt, denn zwei Drittel aller Beschäftigten haben noch ihren Arbeitsplatz im Mittelstand.

Deutschland wird wirtschaftlich die "rote Laterne" behalten und damit auch im internationalen Vergleich einen "Abstiegsplatz" einnehmen, wenn nicht die längst überfälligen Reformen sofort erfolgen. Die von Bundeskanzler Schröder in seiner "Agenda 2010" angekündigten Mini-Reformen, die keineswegs für die Rückgewinnung einer echten Dynamik unserer Volkswirtschaft ausreichen, weisen zwar in die richtige Richtung, aber die Umsetzung droht an linken Kräften in der SPD und bei den Grünen sowie vor allem an den Gewerkschaften und anderen Lobbygruppen zu scheitern. Den Worten müssen endlich Taten folgen. Zudem muß sich bei uns die alte Erkenntnis wieder durchsetzen: Nur wenn es der Wirtschaft - und hier vor allem dem selbständigen Mittelstand - gutgeht, wird es auch dem Staat und der Gesellschaft insgesamt wieder besser gehen.

Die wichtigsten Weichenstellungen, die dringend erforderlich sind, müssen auf folgenden Feldern erfolgen:

• Die direkten Steuern müssen sowohl für Arbeitnehmer als auch für mittelständische Unternehmer spürbar abgesenkt werden. Dazu müssen der Steuerfreibetrag deutlich erhöht und der Eingangssteuersatz verringert sowie der Tarifverlauf bei der Einkommensteuer nachhaltig abgeflacht werden. Steuerlich werden die selbständigen Personengesellschaften nachweislich gegenüber den Kapitalgesellschaften wesentlich schlechter gestellt. Diese Wettbewerbsverzerrung durch die Steuerpolitik muß vollständig beseitigt werden. Der Mittelstand beklagt, daß die Senkung direkter Steuern stets durch die Erhöhung indirekter Steuern überkompensiert wird. Deshalb warne ich vor einer weiteren Erhöhung der Ökosteuer ebenso wie vor einem Drehen an der Mehrwertsteuerschraube. Die immer wieder aufflackernde Diskussion über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer ist ebenso unsinnig wie schädlich.

• Der Vorschlag des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, die Subventionen linear abzubauen, ist zu begrüßen. Der Mittelstand fordert eine Reduzierung aller Subventionen um jährlich fünf Prozent, und dies über einen Zeitraum von zehn Jahren; dies würde als Ergebnis eine Halbierung der Subventionen bis zum Jahr 2012 bringen - und damit finanzielle Spielräume in den öffentlichen Haushalten.

• Mit großer Sorge nehme ich zur Kenntnis, daß sowohl in der Renten- als auch in der Kranken- und Pflegeversicherung weitere Beitragserhöhungen drohen. Die Sozialversicherungsabgabenquote hat in- zwischen die Marke von 42 Prozent überschritten. Sie muß deutlich abgesenkt werden, auf 35, besser noch auf 30 Prozent.

Es gibt in Deutschland Arbeit genug; aber bei Stundenverrechnungssätzen, die knapp kalkuliert bei 35 bis 40 Euro liegen, wird Arbeit auf dem ordentlichen Arbeitsmarkt für viele unbezahlbar. Immer neue traurige Rekorde bei der Schwarzarbeit, wo der Umsatz 2003 die Marke von 350 Milliarden Euro überschreiten dürfte, sind die Folge. Diese Entwicklung führt zu gefährlichen Erosionen unseres Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftssystems. Die Ausfälle für den Fiskus und die Sozialversicherungen, die aufgrund der Schwarzarbeit entstehen, dürften - vorsichtig geschätzt - bei etwa 100 Milliarden Euro liegen.

Bei allen Sozialversicherungen sollten klare Elemente der Selbstbeteiligung und der Kostentransparenz so weit wie möglich eingeführt werden. Vor allem bei der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung müssen zudem Wege der privaten Zusatz- beziehungsweise Eigenvorsorge beschritten werden. Angesichts der dramatischen demographischen Entwicklungen drohen die solidarischen Generationenverträge bald zu kollabieren. Das Vertrauen der jüngeren Generationen zum Beispiel in die gesetzliche Rentenversicherung ist nur noch minimal.

In mittelständischen Firmen betragen die Bürokratiekosten pro Arbeitsplatz zwischen 1.500 und 2.000 Euro pro Jahr. Das ist viel zu hoch, geht zu Lasten der Ertragsmarge und trägt zudem nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Mittelstand bei. Viele Gesetze, Verordnungen, Erlasse usw. belasten und behindern den selbständigen Unternehmer in einem Maße, daß er in seiner Dynamik stark ausgebremst wird. Die Palette der Hindernisse reicht vom Baurecht über die Umweltschutzregeln bis hin zum Arbeitsrecht. Ich begrüße die entsprechende Ankündigung des Bundes- wirtschafts- und -arbeitsministers Wolfgang Clement. Doch sollte es hier nicht bei verbalen Ankündigungen bleiben. Vielmehr hoffe ich, daß hier gemeinsam mit anderen Parteien, mit der Union und FDP, deutliche Fortschritte bei der Entbürokratisierung und Deregulierung gemacht werden. Die gemeinsame Neuregelung der 400-Euro-Jobs und der geringfügigen Beschäftigung war ein erster positiver Schritt, dem viele weitere folgen sollten.

Mittlere und kleine Firmen geraten immer stärker in die Kreditklemme. Die Banken treten mit dem Hinweis auf "Basel II" auf die Kreditbremse und versuchen, nach den Milliarden-Vernichtungsaktionen in anderen großen Geschäftsbereichen, ihre Zinsspannen zu Lasten des Mittelstandes aufzubessern. Die mittelständische Wirtschaft ist heute - nach Jahren des wirtschaftli-chen Aufschwungs - eigenkapitalschwächer denn je zuvor. Nur über eine länger anhaltende Phase mit besseren betrieblichen Erträgen wird die Eigenkapitalbasis nachhaltig zu verbessern sein. Hier liegt die größte Herausforderung auch für die Politik, nämlich mit ihren Rahmenbedingungen die Eigenkapitalbildung in den Betrieben zu ermöglichen und zu fördern.

Erst an zweiter Stelle können die neuen Weichenstellungen in Richtung "Mittelstandsbank" und staatliche Kreditförderprogramme liegen. Wenn diese jedoch wirklich für den selbständigen Mittelständler wirksam hilfreich sein sollen, so müssen sie einfach in der Abwicklung gestaltet werden und sich wirklich an den betrieblichen Realitäten orientieren. Dies sind die Kernforderungen und -anliegen für die zu- künftigen Entscheidungen in der Wirtschafts-, Steuer- und Mittelstandspolitik. Gerade für den einzelnen selbständigen Unternehmer ist es von großer Bedeutung, daß er langfristig wieder Vertrauen in die Wirtschaftspolitik setzen kann, daß die Politik von Konsistenz und Kontinuität geprägt wird. Weite Teile des Mittelstandes haben diesbezüglich nach den bitteren Erfahrungen seit 1998 zwar ihre Hoffnungen auf "Rot-Grün" aufgegeben, suchen jedoch nach den klaren, eindeutigen Alternativen bei der Union und wollen exakt wissen, was die Opposition konzeptionell auf den erwähnten Feldern an Operationen vor- nehmen will.

Pleitewelle: Immer mehr kleine Geschäfte verschwinden aus dem Straßenbild.

Friedhelm Ost ist Sprecher der Bundesvereinigung mittelständischer Unternehmer. Der 61jährige Volkswirt war von 1973 bis 1985 als Redakteur und Moderator beim ZDF tätig; 1985 bis 1989 war er - im Rang eines Staatssekretärs - Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamtes.
 
     
     
 
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