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Weltmacht

 
     
 
Vieles", so schrieb Wenzel Anton Graf Kaunitz, "wird nicht gewagt, weil es zu schwer scheint, vieles scheint nur darum schwer, weil es nicht gewagt wird". Der später von Maria Theresia in den Fürstenstand erhobene Politiker, bezog sich auf die seinerzeit bestehende Konstellation der europäischen Hauptmächte mit ihren listigen Allianzen und oft schrullig anmutenden Konflikten, die gleichwohl zumeist durch handfeste kaufmännische Motive ausgelöst worden waren. Preußen war damals dabei, sich erstmals deutlicher (und dauerhaft) in die Annalen der deutschen und der Weltgeschichte einzuschreiben, Amerika, die späteren USA, galten noch als bloße Wurmfortsätze der miteinander rivalisierenden Hauptmächte England und Frankreich und blieben allenfalls Geheimkämmerern und kundigen Ministern im Blick; in aller Munde war die neue Welt jedenfalls noch nicht.

Längst aber hat sich das Blatt gewendet und zur Jahreswende 1997/98 kann der ehemalige Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Carter, der polnischstämmige Zbigniew Brzezinski, in seinem schon vom Titel her aufschlußreichen Buch "Die einzige Weltmacht" (Beltz Quadriga Verlag) geradezu und ungeniert seine außenpolitisch
en Rahmenrichtlinien deklarieren: "Amerikas langjährige Rolle in Europa" stehe "auf dem Spiel", wenn dieses neue Europa nicht geopolitisch ein Teil des "euroatlantischen" Raumes bleibe. Insofern sei die "Erweiterung der Nato von entscheidender Bedeutung". Sollten diese Bemühungen aber "ins Stocken geraten, wäre das das Ende einer umfassenden amerikanischen Politik für ganz Europa".

In diesem politischen Gesamtkunstwerk Washingtons gibt es eigentlich nur zwei Unwägbarkeiten: Deutschland, das bei "einer Stagnation der europäischen Einigung" die bisher mit Fleiß und Propaganda betriebene "Selbstidentifikation mit Europa" aufgibt und seinen eigentlichen "Staatsinteressen folglich eine nationalere Handschrift" verleiht, und Rußland, das den oben beschriebenen Ausdehnungsbereich (bis zum Bug, nicht bis zum Ural oder gar bis Wladiwostok) der "euro-atlantischen Grenzen" in Frage stellt.

Bei der Handhabung der Deutschen weist er den Franzosen eine entscheidende Rolle zu. Vorab umreißt er kühl das kalkulierbare Risikoland Frankreich, das weder "stark genug" ist, "um Amerika in den geostrategischen Grundlagen seiner Europapolitik zu behindern, noch hat es das Potential, um selbst die führende Macht in Europa zu werden. Folglich kann man seine Eigenheiten und sogar Ausfälle tolerieren". Ein solcherart umrissenes Frankreich ist dann mit einem seit Jahrzehnten gehegten Vehikel gegen die Mitte der alten Welt geradezu problemlos in Stellung zu bringen: "Auf keinen Fall sollte Washington aus den Augen verlieren, daß Frankreich in Angelegenheiten, die mit der Identität Europas oder den inneren Abläufen der Nato zu tun haben, nur kurzfristig ein Gegner ist. Wichtiger noch, es sollte stets daran denken, daß Frankreich ein maßgebender Partner bei der grundlegenden Aufgabe ist, ein demokratisches Deutschland auf Dauer in Europa fest einzubinden. Darin besteht die historische Rolle der deutsch-französischen Freundschaft, und die Rolle der EU und der Nato sollte die Bedeutung dieses Verhältnisses als fester Kern Europas noch vergrößern."

Sind somit die schon bereits nach dem Ersten Weltkrieg erfolgten deutsch-französischen Ausgleichsbemühungen auf den Nenner nüchterner Funktionalität gebracht, so behält Brzezinski gleichwohl sogar bundesdeutsche Politiker im Blick. Etwa den "möglichen Nachfolger von Kanzler Kohl", Wolfgang Schäuble, der die offenbar ketzerische Meinung äußerte, daß "Deutschland während des gesamten Mittelalters ... daran beteiligt war, in Europa Ordnung zu schaffen". Brzezinski wittert hier sofort Ansprüche "unverhüllter deutscher politischer Vorherrschaft" und sieht zugleich die Basis für eine "unilateral ausgerichtete Politik gegenüber dem Osten und Westen". Er schlußfolgert daraus unmißverständlich: "Europa verlöre dann seine Funktion als eurasischer Brückenkopf für amerikanische Macht und als mögliches Sprungbrett für eine Ausdehnung des demokratischen Globalsystems in den eurasischen Kontinent hinein."

Wer will, kann aus diesen Äußerungen natürlich mühelos die Stärken der "einzigen Weltmacht" im Kampf um Europas Mitte herauslesen. Doch da es in der Politik immer auch Polarisierungen gibt, liegen auch die Schwächen dieser Planspiele offen. Insofern kann auch mit dem zweiten Teil des Satzes des eingangs zitierten Fürsten Kaunitz optimistisch ermuntert werden, auch wenn es wirklich schwer werden dürfte ...

 
 
     
     
 
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