A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Wie eine Königin begraben

 
     
 
Portugal – wer den Namen nennt, der empfindet dabei nicht selten die Vorstellung von etwas Exotischem fernab am westlichsten Zipfel des europäischen Halbkontinents. Gedanken an Reichtum und Armut zugleich kommen auf, Sonne und der Atlantik schaffen ihre Assoziationen, doch alles das ist letztlich weit entfernt von den Herzen der Mitteleuropäer, die oft nur wissen, daß Portugal auch ein Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft ist.

Der deutsche Dichter Reinhold Schneider bildete einst eine der wenigen Ausnahmen, indem er Bemerkenswertes über das ferne Land am Atlantik schrieb. In einer Erzählung mit dem Titel "Die Leiden des Camoes", die er dem wohl bekanntesten portugiesischen Dichter der Renaissancezeit widmete, hat Schneider die portugiesische Mentalität aus dem Gegensatz heraus glänzend beschrieben, während Spanien die glasklare Tiefe und gleichzeitige Kantigkeit eines Diamanten besitze, sei portugiesisches Denken immer ein wenig über dem Boden und in einen liebenswerten Nebelschleier gehüllt.

In der Tat ist es die Konfrontation des schmalen Landstreifens im äußersten Westen der iberischen Halbinsel mit der unendlich scheinenden Weite des atlantischen Ozeans, die für die Portugiesen mehr oder weniger immer auch Auseinandersetzung mit dem Unendlichen und der Endlichkeit der Dinge bedeutet. Solches verursacht offensichtlich ein bestimmtes Gefühl des Sich-fügen-Müssens, das sich in dem portugiesischen Wort "saudade" manifestiert. Bemerkenswert ist, daß diese Vokabel zu den wenigen Wörtern der romanischen Sprachen gehört, die schier unübersetzbar zu sein scheinen. Es geht um ein Gefühl, das sich mit weit mehr als nur einem Wort vermittelt sehen will.

Das wissen die Portugiesen und haben sich deshalb seit Jahrhunderten der entsprechenden musikalischen Ausdrucksweise bedient. Am deutlichsten machen dies die "Fados" genannten Lieder, denen das lateinische Schicksalswort "fatum" zugrunde liegt und die von je einem Sänger oder einer Sängerin, begleitet von zwei Gitarren, gesungen werden. Vor allem die Hauptstadt Lissabon gilt seit dem Wiederaufleben des "Fado" im 19. Jahrhundert anhand alter Wurzeln als Zentrum des vibrierenden und mehr als nur eine Form des Weltschmerzes bedeutenden Gesangs, der zu einem Identifikationssymbol der Portugiesen schlechthin zu werden vermochte.

Der "Fado" bedeutet in der einstigen römischen Provinz Lusitanien ungeachtet der von Intellektueller Seite oft vorgebrachten schroffen Ablehnung ein einendes Ferment. Nicht zuletzt ist der "Fado" auch ein Lied, dem die Liebenden nicht nur in Portugal mit Andacht und oft auch mit Verzückung lauschen.

So war es denn auch mit Amalia Rodrigues, deren mit unvergleichlicher Stimme vorgetragener "Fado"-Gesang über viele Jahrzehnte hinweg geradezu zu einem Erkennungszeichen Portugals im In- und Ausland geworden war. Sie sang ihre Lieder von Liebe und Tod, von Mächtigen und Armen, von Dingen des Alltags und gab allen diesen Gesängen ein Stück der portugiesischen Volkseele mit.

Wenn es hieß: "Amalia canta", Amalia singt, dann herrschte Ruhe, um den gewaltigen Eindruck der Stimme einer schönen Frau ganz erfassen zu können. Selbst politischer Streit setzte dann kurzzeitig aus, um nur der Sängerin Raum für die faszinierende Poesie des "Fados" zu überlassen. Sie formulierte mit ihrem Gesang in fast unerreichter Art in allem jenes portugiesische Wort "a minha terra", meine Erde, das dem ansonsten einzigartig
en deutschen Wort Heimat am nächsten kommt.

Jetzt ist Amalia Rodrigues 79jährig in Lissabon gestorben. In der auf einem der sieben Hügel der Stadt gelegenen Barockkirche "Basilica d’Estrela" wurde ihr Leichnam zwei Tage lang in einem Meer von Blumen aufgebahrt. Mit einem Leichenzug, der nichts anderes als der einer ungekrönten Königin war und bei dem vier Reiter aus der Nationalgarde neben dem Katafalk ritten, wurde die begnadete Sängerin als Nationalsymbol zu Grabe getragen.

In der Kirche und an den Straßenrändern von Lissabons barocker Unterstadt standen Tausende und nahmen mit den unterschiedlichsten südländischen Trauergesten Abschied von einem Idol, das Unterschiede vergessen machte und allen Bewußtsein dafür gab, daß "terra" mehr ist als alles Gezänk um politische Alltäglichkeiten.

Der Abschied von der "Fadista" war – zweifellos ungewollt auch ein Zeichen der portugiesischen Ambivalenz, denn nur wenige Tage danach entschied sich das Land erneut für die bisher schon regierende Sozialistische Partei (PS) mit ihrem Ministerpräsidenten Cuterres. Sozialisten haben, so heißt es allenthalben, mit dem von Schicksalsergebenheit geprägten "Fado" wenig im Sinn. Dennoch aber wird Amalia im Innern der Portugiesen lebendig bleiben und auch in Zukunft einen Nenner ausmachen, auf dem sich alle treffen können.

Den deutschen Betrachtern des Trauerzuges mag dabei möglicherweise aufgegangen sein, daß ihr Heimatland derzeit eine ähnliche Persönlichkeit zur Identifikation jenseits des politischen und ideologischen Gezänks kaum vorweisen kann. Es ist ihm noch ein langes Leben zu wünschen, aber wäre beispielsweise der Schriftsteller und nunmehrige Nobelpreisträger Günter Grass vorzeitig zu seinen Vätern abberufen worden, er hätte fraglos nicht die über alle politischen Grenzen und Gräben hinweggehende Zuwendung des Volkes erfahren. Das Beispiel Amalia Rodrigues zeigt, daß das Volk als Ganzes häufig andere Reaktionen offenbart als die, die aus intellektueller Sicht für angemessen gehalten werden.

Amalia Rodrigues, die aus ärmlichen Verhältnissen im Lissabonner Mauren-Stadtteil Affama stammte und 1941 ihre Karriere begann, hat einen großen Teil ihres Lebens unter der Herrschaft von Antonio Oliveira Salazar und Marcelo Caetano verbracht. Sie hat sich, wer möchte es ihr übernehmen, dem System nicht verweigert. Aber auch dabei offenbart sich eine Ambivalenz: Während die Sängerin quasi eine Visitenkarte der damaligen Zeit bei ihren zahlreichen Auslandsreisen bedeutete, behielt Amalia ihr Bewußtsein für das Volk, für die Armen und Verfolgten – und sie sang auch und vor allem für sie. Von daher sind möglicherweise Gerüchte erklärbar, wonach die "Fadista" in jener Zeit auch Spenden an die damals im Untergrund tätige KP des Landes unter Alvaro Cunhal geleitet haben soll.

Amalia Rodrigues war aber letztendlich eine unpolitische Persönlichkeit, die die Menschen in ihrem Land und anderswo mit ihrer Stimme zu Texten selbst von berühmten Dichtern insgesamt ansprechen wollte. Sie hat es deshalb zunächst als Kränkung empfunden, daß die Verantwortlichen der "Revolution der Nelken" von 1974 ihr ablehnend gegenüberstanden. Im Jahr 1976 aber schaffte sie die Rückkehr – eine Konzerthalle in Lissabon war ausverkauft. Das Volk hatte sich entgegen aller Kampagnen wieder für sie entschieden. Es wird ihr die Treue auch über den gewaltigen Trauerzug hinaus gewißlich halten.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Czernowitz - einstige deutsch-jüdische Kulturmetropole

Gastarbeiter

Halle-Saale: Das Antlitz des Bären

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv