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Wiederaufbau des Irak

 
     
 
Die Amerikaner haben das Privileg, Fehler zu begehen, die reparabel sind. Diese Erkenntnis des Alexis de Toqueville ist von der Geschichte oft bestätigt worden. Was aber passiert, wenn die Reparaturarbeiten ausbleiben und im Gegenteil auf einen groben Klotz noch ein herber Keil gesetzt wird? Dann herrscht Ratlosigkeit und wird Emotionen freier Lauf gelassen. So sieht es aus nach der Erklärung von Präsident Bush in Sachen Aufträge für den Wiederaufbau im Irak. Die Europäer sind konsterniert, der Graben zwischen der Alten und der Neuen Welt ist wieder tiefer geworden.

Aber auch in Amerika selbst ist man konsterniert. Die konservative Zeitung Wall Street Journal, die ansonsten streng zwischen Kommentar und Bericht unterscheidet, beginnt ihren Bericht auf der ersten Seite mit Begriffen wie "Provokation" und "Verletzungen". Man versteht nicht recht, warum das Weiße Haus sich öffentlich zu dieser Frage äußerte. Und es schwingt eine derbe Kritik an den politisch-handwerklichen Fähigkeiten der Regierung Bush mit, wenn das Blatt schreibt, daß man es wohl nicht lassen kann, auf den Europäern herumzutrampeln. So, als ob man bei einem Laster rückfällig
geworden wäre.

In der Tat ist das Verhalten des Pentagons und des Weißen Hauses alles andere als diplomatisch. Man kann nicht eine Pressemitteilung ins Internet stellen, in der die Staaten, die gegen den Krieg im Irak waren, von Aufträgen für den Wiederaufbau ausgeschlossen werden, und einen Tag später in Paris und Berlin anrufen, um zu fragen, ob man gewillt ist, dem Irak die Schulden zu erlassen. Das sind diplomatische Demütigungen. Roosevelt soll einmal gesagt haben, nichts geschieht in der Politik zufällig. Wenn das stimmt, dann sind diese Demütigungen Absicht. Denn der Protest auf die Internet-Note war laut, und es bestand keine Notwendigkeit, sie noch einmal öffentlich zu bestärken. Das um so weniger, als man ein paar Tage später den ehemaligen Außenminister James Baker nach Europa schicken will, um über den Schuldenerlaß zu verhandeln.

Nun kann es sein, daß Bush seine Erklärung - der amerikanische Steuerzahler erwarte, daß der Einsatz von Geld und Leben im Irak jetzt wirtschaftlich honoriert werde - aus emotionalen Gründen, sozusagen aus dem Bauch heraus, abgegeben hat. Der Ärger über die deutsche und französische Haltung sitzt tief. Amerika war zunächst von Schröder, dann vom französischen Außenminister de Villepin geradezu beschimpft und beleidigt worden. Auch das war so nicht nötig, und man hat diese Verletzungen in Washington nicht vergessen. Nun kommt die Retourkutsche. Die "alten" Europäer sollen für ihre Überheblichkeit bluten. Hinzu kommt die wachsende Feindseligkeit in Deutschland und Frankreich ge- genüber Amerika. Schröder und de Villepin haben diesen Geist aus der Flasche gelassen, und jetzt gelingt es nicht mehr, ihn wiedereinzufangen, und die Bemühungen dazu sind auch recht spärlich. Auch das wird in Amerika genau beobachtet. Sicher, man könnte sich wünschen, daß die hohe Politik sich weniger kindisch verhielte und die diplomatischen Porzellanläden mal in Ruhe ließe. Aber sie sind so, in Paris, Berlin und Washington. Von diplomatischer Größe jedenfalls kann auf keiner Seite des Atlantiks die Rede sein.

Wer kehrt nun die Scherben auf? James Baker wird in den kommenden Tagen verhandeln. Die Kompromißlinie ist bereits vorgezeichnet. Kanada, das sich ebenfalls kritisch über den Krieg im Irak ausließ, aber sich im nachhinein dann doch an den Kosten des Wiederaufbaus beteiligte, wurde vom Pentagon zunächst ausgeschlossen, jetzt aber doch in die Liste der Länder aufgenommen, die Aufträge bekommen sollen. Ähnlich wird es mit Deutschland sein. Wenn Berlin dem Irak Schulden erläßt - das Geld ist für die nächsten Jahre sowieso verloren -, kann es mit Subaufträgen rechnen, und die machen in ihrer Summe mehr aus als die Großaufträge. Bundeskanzler Schröder wird jeder Lösung zu-stimmen. Er weiß, daß der Aufschwung hierzulande von Amerika abhängt und eine anhaltende trans-

atlantische Verstimmung sich auch auf die Konjunktur auswirken könnte. Schwieriger dürfte es mit Frankreich werden. Aber de Villepin ist nicht allein. Präsident Chirac und Premier Raffarin arbeiten im stillen bereits an einer Aussöhnung.

Hinter dem emotional geprägten Streit verbirgt sich allerdings auch ein tiefgehender Dissens über die Haltung zum radikalen Islam. Für Amerika ist das der Feind des 21. Jahrhunderts. Für die Europäer sind die Grenzen zwischen radikalem und moderatem Islam nicht so klar. Man glaubt immer noch, das sei nur eine Frage der islamistischen Aufklärung, ähnlich, wie es beim Christentum vom Mittelalter zur Neuzeit war. Aber abgesehen davon, daß die freie Welt nicht Jahrhunderte Zeit hat, um auf diese Aufklärung zu warten, sind in der islamischen Welt auch nur wenig Anzeichen dafür zu sehen. Im Gegenteil, gerade in Europa wächst der radikale Islam und mit ihm auch der Antisemitismus. Auf diesen Zusammenhang hinzuweisen ist politisch nicht korrekt. Im jüdisch geprägten Amerika dagegen werden solche Geistesströmungen mißtrauisch wahrgenommen, vielleicht auch überbewertet. Amerika ist heute religiöser als Europa. In dieser menschlichen Tiefendimension lebt man sich auseinander. Das ist, jenseits von Bagdad, die eigentliche Gefahr für das transatlantische Verhältnis. Der Wiederaufbau-Streit ist nur ein Symptom.

Viel zu tun: Die Streitereien um die Frage, wer beim Wiederaufbau wie helfen darf, sind vor allem aus humanitären Gründen zu verurteilen.
 
     
     
 
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