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Wiedergutmachung für eine Unperson

 
     
 
Vor rund anderthalb Jahren wurde in einem Programmkino in Berlin der Schwarzweißfilm "Die Reise nach Tilsit" (1939) von Veit Harlan gezeigt. Das Kino war gut gefüllt, wobei nicht ganz klar war, ob das Publikum sich mehrheitlich aus Filmliebhabern oder aus Skandalsüchtigen zusammensetzte, die der Name des Regisseurs magisch angezogen hatte.

Auf ihre Kosten kamen jedenfalls nur die Filmliebhaber. Vor der berückend schönen Landschaft der Kurischen Nehrung
erlebten sie einen dramatischen Ehekonflikt zwischen Elske (Kristina Söderbaum) und Endrik (Frits von Dongen), der sich bis zu Mordplänen, Selbstmord- und Opferphantasien steigerte. Auch die sogenannte gute alte Zeit kannte ihre Abgründe!

Spürbar waren auch die politischen Umstände, unter denen der Film entstanden war. In der literarischen Vorlage von Hermann Sudermann tragen die beiden Hauptfiguren noch die litauischen Namen Ansas und Indre. Bei Sudermann ist die Ehezerstörerin eine Magd, bei Harlan mußte es eine Ausländerin aus Polen sein.

Gleichzeitig hat der Künstler Harlan sich gegen diese – vermutlich angeordnete – politische Eindeutigkeit zur Wehr gesetzt. So beweist die Polin am Ende mehr Anstand und Größe als ihr Geliebter mit dem nunmehr nordisch klingenden Namen.

Solche Gelegenheiten zur eigenen Urteilsbildung sind selten, denn Harlan gilt nach wie vor als Unperson; über seinem Werk liegt ein Bann. Ein Schicksal, das Leni Riefenstahl und – in entschärfter Form – Gustaf Gründgens mit ihm teilen.  Alle drei  waren während des "Dritten Reiches" in Deutschland geblieben und entfalteten hier enormes Schauspiel- und Regie-Talent. Ihre großen Namen stärkten eindeutig das Prestige des Regimes. Nach dem Krieg gerieten Riefenstahl und Harlan als NS-Propagandisten in Acht und Bann, während Gründgens, dem in seiner Theaterarbeit keine Konzessionen an den NS-Staat nachzuweisen waren, wenigstens als ehrloser Karrierist verbucht wurde.

Doch allmählich ändert sich der Blick. Über alle drei sind in der letzten Zeit gut recherchierte, kluge Bücher erschienen. Die Autoren sind Film- und Theaterwissenschaftler im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Ihre Ausgangspunkte sind ein wissenschaftliches Interesse am zwielichtigen Nimbus, der diese Künstler bis heute umgibt, und, mehr oder weniger deutlich, ein Unbehagen an der Eindimensionalität des gegenwärtigen kulturellen Lebens in Deutschland.

Als letzter der drei ist Veit Harlan (1899 bis 1964) an der Reihe. Bisher hatte allein der Hinweis auf seinen antisemitischen Film "Jud Süß" (1940) und auf das Durchhalteepos "Kolberg" (1945) ausgereicht, eine nüchterne Analyse seines Werks zu blockieren. Diese Blockade kommt einer kulturellen Selbstverstümmelung gleich, denn Harlans beste Filme vermitteln eine ganz subjektive künstlerische Handschrift und große technische Fertigkeiten. "Die Reise nach Tilsit", "Die Goldene Stadt" (1942), "Immensee" (1943) und "Opfergang" (1943/44) haben das deutsche Melodram begründet und wurden im In- und Ausland mit Erfolg gezeigt.

Der Filmkritiker Frank Noack, Jahrgang 1960, hat seine Harlan-Biographie untertitelt: "Des Teufels Regisseur". Diese Charakterisierung nimmt einen Satz von Harlan auf, mit dem er seinen Zwiespalt als Protegé des Propagandaministers   beschrieb: "Goebbels war der Teufel selbst,  aber der Teufel hat wenig Macht über eine Seele, die sich ihm verschließt."

Zunächst widerlegt Noack die Fama, Harlan sei ursprünglich ein erfolgloser Schauspieler gewesen, der sich frustriert ins Regiefach und in die Arme von Goebbels geflüchtet habe. In Wahrheit war er ab 1924 an renommierten Berliner Bühnen engagiert und erhielt ansprechende Kritiken. Doch der Egomane Harlan wollte unumschränkter Herr über seine Ausdrucksmittel und nicht bloß reproduzierender Künstler sein. Sein Wechsel ins Regiefach war ein folgerichtiger Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung.

Noack demontiert noch eine zweite Fama: Die Filmproduktion in Deutschland nach 1933 war nicht einfache Erfüllungsgehilfin des NS-Staates. Sie war weiterhin privatwirtschaftlich organisiert, profitorientiert und damit auf den Zuspruch der Zuschauer angewiesen. Deutschland blieb das nach den USA erfolgreichste Filmland. Es stellte sich schnell heraus, daß die Kinobesucher keine SA-Leute und platte Parteipropaganda sehen wollten, also unterblieben nach ersten Mißerfolgen derartige Projekte. Die männlichen Ufa-Stars waren Salonlöwen oder elegante Liebhaber, keine germanischen Recken, und die stets verruchte Zarah Leander ist in einem Nähkurs der NS-Frauenschaft schlechterdings nicht vorstellbar.

Auch Kristina Söderbaum, Harlans dritte Frau, die in den meisten seiner Filme die Hauptrolle spielte, entsprach nur auf dem ersten Blick dem offiziellen Frauenideal. Im Grunde war sie eine Rebellin, die nur meistens tragisch scheiterte.

Die Filmkünstler entwickelten ein besonderes Gespür für Farbe, Musik und Kameraführung und erschufen einen ästhetischen Zwischenraum, der für Zensoren zwar nicht greifbar, für die Zuschauer jedoch identifizierbar blieb. Harlan nutzte solche Möglichkeiten exzessiv aus.

Noack nennt seine Werke "Triebfilme", weil die Figuren subtil mit sexuellen Rollenmustern spielen und von gesteigerter Mehrdeutigkeit sind. "Opfergang", einer seiner letzten Filme vor Kriegsende, wird von morbider Sinnlichkeit und Todessehnsucht getragen.

Harlans Antwort auf den Goebbels-Ruf nach dem "totalen Krieg" war ein kaum noch verhüllter Defätismus. Die ausgedehnten Sequenzen, in der die todkranke Äls (Kristina Söderbaum) mit ihrem Geliebten Albrecht (Carl Raddatz) eine letzte Zwiesprache hält – sie sind räumlich getrennt, doch durch Überblendungen zusammengeführt – und schließlich Erlösung im Tod findet, gehören zu den ergreifendsten Szenen der deutschen Filmgeschichte.

Selbst im Fall von "Jud Süß" wagt Noack sich an eine betont unemotionale Analyse. An der antisemtischen Stoßrichtung und Wirkung dieses von Goebbels befohlenen Hetzstreifens besteht kein Zweifel. Harlan war bei der Arbeit vielfältigen Spannungen ausgesetzt und von Skrupeln geplagt. Noack weist – auch unter Berufung auf die englischsprachige Filmliteratur – nach, daß die Juden hier sogar würdiger dargestellt sind als in dem prosemitischen "Jud Süß"-Film, der in den dreißiger Jahren in England gedreht wurde.

Die vorliegende Biographie ist vor allem ein Filmbuch. Es enthält viel Bildmaterial und ganze Sequenzen, die die filmtechnischen Erläuterungen illustrieren. Noack breitet eine Unmenge Fakten aus, manchmal zuviel, als wolle er zeigen, daß er wirklich jede Szene verstanden und jede Filmkritik auch tatsächlich gelesen habe.

Die Lebensumstände und das Charakterbild Harlans kommen darüber zu kurz. Ausnahmen sind die Passagen über das Entnazifizierungsverfahren und den Prozeß, der gegen Harlan wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angestrengt wurde. Er endete 1950 in zweiter Instanz mit einem Freispruch.

Im Gefühl, gegen eine Welt von Ignoranten anzuschreiben, gerät Noack mitunter in die Gefahr der Apologetik: "Immensee" ist ganz gewiß ein guter und liebenswerter Film, aber in ihm einfach nur den "Ton eines Volksliedes" zu hören, zeugt ebenfalls von Ignoranz. Die Verfilmung verhält sich zur literarischen Vorlage von Storm wie eine aus den Fugen geratene Mahler-Sinfonie zu einem Streichquartett von Haydn. Die hinzuerfundene Italien-Handlung beschwört ausdrücklich das Bündnis von "deutscher Musik" und "italienischer Architektur", sie ist eine Hommage an die Achse Berlin–Rom – die allerdings zerbrochen war, ehe der Film Weihnachten 1943 in die Kinos kam.

Unterm Strich aber darf man dem Buch eine Eisbrecher-Funktion prophezeien. Es beweist zwingend, daß eine neue Beschäftigung mit Harlans Werk unumgänglich ist. Denn über allzu viele Regisseure, die sich mit Harlan messen könnten, verfügt Deutschland nun wirklich nicht.

Frank Noack: "Veit Harlan. Des Teufels Regisseur". 483 Seiten mit zahlreichen Abbildungen (Farbe und s/w). Belleville Verlag, München. ISBN 3-923646-85-2, Preis: 78,– DM.

 
     
     
 
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