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Wo Angst dominiert

 
     
 
"Marie lebte mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter in einem kleinen, mit einem Rieddach beschützten Fachwerkhaus, am Ortsausgang von Paterschobensee, einem stillen Dorf in Masuren, tief im Süden von Ostdeutschland."

Dieter Packheiser berichtet wie seine Mutter Marie als junges Mädchen idyllisch in ihrem Heimatdorf aufwuchs, bis sie eines Tages bei einem Tanzabend im Dorfkrug den jungen Walter aus Königsberg kennenlernte.

Packheiser erzählt von dem Glück der zwei, als sie bald darauf heirateten, eine kleine Familie gründeten und von den Behörden im Dezember 1938 ein Häuschen zugeteilt bekamen.

"Jetzt konnten sie ungehindert schalten und walten, wie sie wollten. Kein Vater, keine Mutter, niemand mischte sich ein, schrieb ihnen etwas vor. Nun waren sie die Bestimmer ihrer eigenen Welt. ... Walter ging in seinen Garten und legte los! ... und rechts in der Ecke des Gartens baute er eine Gartenlaube mit Geräteschuppen und schöner Sitzecke, wo am Sonntagnachmittag
um halb vier ... Kaffe und Kuchen serviert wurde von seiner Marie ...?"

So lebten die beiden mit ihren drei Söhnen und der Tochter Inge in bürgerlicher Zufriedenheit bis ... ja bis der Krieg ausbrach und Walter einberufen wurde.

Der Autor wechselt an dieser Stelle die Erzählperspektive und berichtet aus der Sicht von Maries Sohn Dieter, also einem Kind, und hebt den Übergang von den guten und glücklichen zu den schlechten von Angst und Zweifel dominierten Tagen für den Leser noch deutlicher hervor.

Schon bald war die Familie in Königsberg nicht mehr sicher, und die fünf machten sich auf in das Heimatdorf der Mutter, nach Paterschobensee, zur Groß- und Urgroßmutter.

Mit sichtlicher Freude geht Dieter Packheiser auf all die Dinge ein, die es auf dem Lande für einen kleinen Jungen zu entdecken und zu erkunden gab, bis der schicksalhafte Tag, der 18. Januar 1945, über die Familie hereinbrach.

Marie rief die Zwillinge Dieter und Günter zu sich und empfing sie mit den folgenschweren Worten: "Es ist soweit, wir müssen weg."

Ab diesem Punkt beginnt die Flucht, die so schnell kein Ende nehmen sollte.

Mit Mitgefühl folgt der Leser der Erzählung des "kleinen" Dieter, wie er berichtet, wie das Bein der Urgroßmutter von einem Pferdewagen zerschmettert wird und sie sie zurücklassen müssen, wie Marie und die Kinder die Großmutter mit ihrem von jeher verkrüppelten Fuß auf einen Planwagen setzen und sie mit Fremden fortziehen lassen müssen, da sie beim besten Willen nicht mehr weiter über das Eis des Frischen Haffs laufen kann.

Von Hunger, Verzweiflung und Angst handeln die Fluchtberichte Packheisers, und der Leser kann nicht umhin, die tapfere Marie zu bewundern, wie sie auch in der ausweglosesten Lage weitermacht, weitermacht, um sich und vor allem ihre vier Kinder zu retten.

"Es ruckt noch einmal kräftig und der Zug steht! Von draußen hören wir eine laute Männerstimme, die schnell näher kommt und vorübereilt: ,Aussteigen! Alle aussteigen! Schnell, schnell, schnell! Flugzeuge beschießen den Zug! Raus, bevor sie Bomben werfen! "

Eine sehr anrührende wahre Geschichte, deren zweite Hälfte über die Flucht aus Masuren, um so grausamer erscheint, als die erste Hälfte über die Jugend und Hochzeit Maries und Walters, so harmonisch und glücklich beschrieben wird.

Ein weiterer Grund, warum das Buch den Leser so berührt, sind die vielen Eindrücke und Anekdoten, die Packheiser aus seiner Erinnerung preisgibt, da sie dem Buch eine ganz besondere persönliche Note verleihen.

Dieter Packheiser: "Einmal weinen ist genug? Gründung und Entwurzelung einer Familie", BoD, Norderstedt 2005, 344 Seiten, 19,80 Euro 5575
 
     
     
 
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