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Wohin mit Naumann

 
     
 
Bundeskanzler Schröder hat
die Zuständigkeitsbereiche
der Ministerien neu geordnet. Hierbei handelt es sich nicht um marginale Kompetenzverschiebungen, sondern um tiefgreifende Strukturveränderungen im Regierungsapparat. Neben der Kastrierung des Wirtschaftsministeriums und der Aufwertung des Finanzministerium
s zu einem Superministerium mit dem Charakter eines Schlüsselressorts ist die Bündelung der meisten auf bislang neun Häuser verteilten kulturpolitischen Kompetenzen in einem Haus von besonderer Bedeutung. Damit erhält die Bundesrepublik erstmals so etwas wie ein Bundeskulturministerium – wenn auch als besondere Abteilung im Kanzleramt.

Die Befürchtung, daß diese neue Behörde zu einer Gefahr für die Kulturhoheit der Länder werden könnte, ist unbegründet; denn in ihr werden nur jene bisher schon dem Bund zugeordneten kulturpolitischen Kompetenzen der einzelnen Ministerien zusammengefaßt – mit Ausnahme der Verantwortung für die Goethe-Institute, die auch weiterhin beim Auswärtigen Amt bleibt. Absichten, in die Kulturhoheit der Länder einzugreifen, sind nicht zu erkennen, außerdem hat die Verfassung gegen solche Übergriffe hohe Hürden aufgebaut.

Die Konzentration der Bundeskulturpolitik in einem Ressort widerspricht grundlegend der bisher geübten Praxis und der "Philosophie" des bisherigen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Sein Credo lautete: "Es ist besser, wenn möglichst viele Ressorts kulturpolitisch in die Pflicht genommen werden." Er dachte dabei an den permanenten Kampf aller gegen alle am Kabinettstisch um die begehrten Haushaltsmittel. Die aufgesplitterte Kulturpolitik konnte bei dieser Regelung immer wieder mit vielen Kombattanten rechnen.

Jetzt wird sie nur einen einzigen
Vorkämpfer haben – allerdings
einen Staatsminister, hinter dem der Regierungschef persönlich steht. Das kann, wenn Michael Naumann sich als kreativ und hartnäckig und der Kanzler sich als starker Regierungschef erweist, durchaus ein Gewinn für die Kulturpolitik sein – im Haushalt, aber auch in der praktischen Politik. Davon könnte  auch die Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes profitieren. Könnte.

Der Konjunktiv ist angebracht, weil Naumann mit Blick auf das angestrebte Staatsministeramt Äußerungen getan hat, die nur drei Schlüsse zulassen: Er will eine radikale Kursänderung zu Lasten der Kulturförderung nach § 96 BVFG, sein Kenntnisstand ist dramatisch unterentwickelt – oder er will die Betroffenen zu einer raschen Konkretisierung ihrer Vorstellung provozieren. Letzeres ist nicht sehr wahrscheinlich.

Drei Äußerungen seien erwähnt: Die Rußlanddeutschen seien Russen und der deutsche Sprachunterricht für sie sei "sinnlos ausgegebenes Geld". Bei der Förderung der Vertriebenenverbände gebe es Etatposten, die sich "so nie hätten entwickeln dürfen". Und: "Einigen ihrer Sprecher ... wäre ein intensiver Nachhilfekurs in der ostpolitischen Versöhnungsgeschichte zu empfehlen."

Naumann weiß vielleicht gar nicht,

– daß der Bund gesetzlich verpflichtet ist, sich für die Erhaltung, Förderung und Entwicklung des Kulturgutes der Vertriebenen und der Vertreibungsgebiete einzusetzen (wozu sich übrigens auch die SPD am 5. September bekannt hat);

– daß die Charta der Vertriebenen kein vergessenes Dokument ist, sondern gelebte Wirklichkeit in tausendfachen freundschaftlichen Begegnungen deutscher Vertriebener mit Nachbarn im Osten und hundertfachen grenzüberschreitenden Kooperationen;

– daß trotz unversöhnlicher Töne aus Prager und Warschauer Regierungsstuben Verbände, Kommunen und Regierungen im einstigen sowjetischen Machtbereich darauf hoffen, daß sich nicht nur die deutschen   Vertriebenen, sondern Deutschland selbst für die Erhaltung der deutschen Kultur in den Vertreibungsgebieten engagiert, weil es ein abendländisches Kulturerbe ist , an dem auch sie teilhaben – und teilhaben wollen!

Vielleicht weiß Naumann das alles nicht. Aber vielleicht ist er lernfähig. Die Vertriebenenverbände könnten ihm helfen – im Interesse des Brückenschlages nach Osten. Und dann sieht es vielleicht in hundert Tagen etwas anders aus. Vielleicht.

"Historisch" nannte der starke Mann der PDS, Gregor Gysi, die Koalition mit der SPD in Schwerin. Ein oft strapaziertes Wort, doch hier stimmt es. Keine zehn Jahre ist es her, da wurden Menschen noch auf Geheiß der damaligen SED wie Tiere abgeknallt, wenn sie von Deutschland nach Deutschland wollten. Keine neun Jahre, daß die Mördermauer der Kommunisten fiel.

Aufgelöst hat sich jene SED nie, nur umbenannt. Und jetzt sitzt sie also wieder in der Regierung, mit Hilfe der SPD. Das ist in der Tat "historisch" – wer mag jetzt nicht an den ebenfalls so titulierten Händedruck von Walter Ulbricht und Otto Grotewohl denken, damals, 1946, als Kommunisten und Sozialdemokraten schon einmal "vereinigt" wurden?

Die Genossen stecken bereits öffentlich die weiteren Etappen der dunkelroten Machtergreifung ab: Nächstes Jahr kommen Thüringen, Sachsen und Brandenburg dran, dann sind dort Landtagswahlen. Und in zehn oder zwölf Jahren, so PDS-Chef Bisky, rechnet man mit einer Regierungsbeteiligung im Bund.

Wie eine Republik mit linksradikal verändertem Antlitz aussehen könnte, darf bereits am Schweriner Koalitionsvertrag studiert werden. Als erstes wird die Regelanfrage im öffentlichen Dienst zu etwaiger Stasi-Mitarbeit "ausgesetzt", also abgeschafft. Soziale Wohltaten werden ausgestreut, ohne Rücksicht auf die Haushaltslage. "Wir können das alleine überhaupt nicht finanzieren", räumt SPD-Finanzministerin Sigrid Keler ein. Bonn und die EU sollen das machen. Indes, dort wurde bis dato noch nicht einmal nachgefragt, ob man die sozialistischen Kapriolen an der Ostsee auch bezahlen möchte.

Die PDS, die von Marktwirtschaft weder etwas versteht noch verstehen will, hat dem Bündnisvertrag eindeutig ihren Stempel aufgedrückt. Und sie hat die Macht, die SPD weiterhin vor sich herzutreiben. Denn Marktwirtschaft hin oder solide Haushaltsführung her, eines haben die dunkelroten Mitregierer auf jeden Fall intus: Sie sind die perfekten Apparatschiks. Mecklenburg-Vorpommerns PDS-Chef Helmut Holter etwa hat seine Fähigkeiten an der kommunistischen Parteihochschule in Moskau eingefahren. Zudem verfügen die Altkommunisten über weit mehr Mitglieder in dem Küstenland als die Sozialdemokraten. So können sie jederzeit Kampagnen lostreten, wenn im Landtag etwas gegen ihren Willen geht. Schließlich sind die Verwaltungen gestopft voll mit Leuten, die den alten Zeiten nachtrauern und der neuen alten Regierungspartei kräftig zuarbeiten dürften. Nach Abschaffung der "Regelanfrage" können sie ihre Position gar noch kräftig ausbauen.

Der erste und letzte demokratisch gewählte Außenminister und Mitbegründer der SPD der DDR, Markus Meckel, warnt bereits davor, daß die Sozialdemokraten dauerhaft ihre Mehrheitsfähigkeit einbüßen könnten, wenn sie es sogar befördern, daß sich die PDS neben ihnen etabliert. Für diese Warnung dürfte es schon zu spät sein. Selbst in den Medien werden die SED-Fortsetzer ja längst als "normale" Partei abgehandelt. Daß sie das bei weitem nicht sind, werden sie uns selbst bald beweisen. Elisa Wachtner

Rechtsordnung:

"Wenn Ihr das nicht laßt …"

Zum Auftakt der neuen Koalition ein fataler Eingriff in Polizeibefugnisse

Was grüne Politiker unter Rechtsstaat verstehen, das demonstrierten sie jüngst in Bonn.

Als dort die umstrittene Anti-Wehrmacht-Ausstellung der Herren Reemtsma und Heer eröffnet werden sollte, hatte die NPD eine Protestdemonstration angemeldet. Wie meistens hatte der zuständige Polizeipräsident zunächst einmal die Demo verboten, doch setzte ein Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts die Versammlungsfreiheit auch für Rechte durch. Als 950 NPD-Anhänger sich zum Demonstrationszug formierten, und zwar, wie die Polizei zugibt, ohne jede Anwendung von Gewalt, versuchten Autonome, andere Linksradikale und, wie die Polizei sagte, "reisende Chaoten", den Zug mit Gewalt zu verhindern. Sie demolierten Autos und bemühten sich, wie die WELT berichtete, durch Vorgärten zu Dutzenden vorbereiteten Depots mit Pflastersteinen zu gelangen.

Die Polizei war verpflichtet, den angemeldeten und genehmigten Demonstrationszug der NPD zu schützen. Dabei gab es Zusammenstöße der Linken mit der Polizei. Zwölf Polizeibeamte sowie drei linke Demonstranten wurden verletzt. Die Polizei kesselte einen Block von etwa 300 gewaltbereiten Linken ein; 65 von ihnen, die sich bei Angriffen auf die Beamten hervorgetan hatten, sollten zur Sammelstelle am Polizeipräsideium gebracht werden, damit sie erkennungsdienstlich behandelt würden.

Da stürmten etwa 50 grüne Delegierte aus der Beethoven-Halle, wo die Partei der Grünen einen Parteitag abhielt, unter Führung des nordrhein-westfälischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Michael Vesper, auf die Polizei zu und verlangten, die Gewalttäter freizugeben und ihre Personalien nicht festzustellen. Als die Polizeiführung sich weigerte – immerhin waren zwölf verwundete Polizeibeamte zu beklagen – drohte der Fraktionssprecher der nordrhein-westfälischen Landtagsgrünen, Appel: "Wenn Ihr das nicht laßt, kündigen wir die Koalition in Düsseldorf!"

Der stellvertretende Ministerpräsident, der Grüne Vesper, erreichte bei den Justizbehörden, daß die Bonner Staatsanwaltschaft zustimmte, den Polizeieinsatz sofort zu beenden. So mußten die 65 linken gewalttäigen Demonstranten freigelassen werden. Die Polizei wurde daran gehindert, ihre Pflicht zu tun und Straftäter zu ermitteln.

Der Einsatz der Polizei zum Schutz der legalen Demonstration der NPD hatte eine Million Mark gekostet. F.D.P.-Generalsekretär Guido Westerwelle zeigte sich empört darüber, daß führende Politiker der Grünen der Bonner Polizei "in den Rücken gefallen" seien. Das sei "ein Skandal". Er kündigte an, er werde das rechtswidrige Verhalten der Grünen vor das Parlament bringen.

Selbst der Polizeipräsident räumte ein, wie die WELT berichtet: "Es kann nicht angehen, daß sich einzelne Abgeordnete in polizeiliche Maßnahmen einschalten."

Es ist nicht das erste Mal, daß Linke, die im Verdacht standen, Straftaten begangen zu haben, aus politischen Gründen von der Verfolgung durch Polizei und Gerichte freigestellt wurden. Erinnert sie an die Vorgänge in Göttingen vor einigen Jahren, als verboten wurde, daß Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Autonome, die permanent gegen die Gesetze verstoßen hatten, ermitteln.

Wenn diese Vorgänge Signalcharakter für das Verhalten der rot-grünen Bundesregierung haben sollten, dann ist der Rechtsstaat in ernster Gefahr. Hans-Joachim von Leesen

 

 
     
     
 
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