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Am 11. März ist es 175 Jahre her, daß Ernst Wichert im ostdeutschen Insterburg geboren wurde. Haben wir 2006 neben dem Mo-zart- und Heine- also auch ein Wichert-Jahr zu feiern? Ja und nein. Denn zur würdigen Feier eines Schriftstellers gehört es, daß seine Werke - wenigstens in Auswahl - zum Jubiläum weiter oder wieder im Buchhandel angeboten werden.

Wer allerdings nach Ernst Alexander August George Wichert fragt, erntet Kopfschütteln. Oder ihm wird freudestrahlend "Das einfache Leben" angeboten, als preiswertes Taschenbuch. Das allerdings ist von einem anderen, auch Ostpreuße zwar, auch ein Ernst Wiechert
- aber eben mit zwei "e" im Nachnamen. Eine ewige Verwechslung.

Daß es seit ein paar Jahren immerhin Wicherts "Ein Schritt vom Wege", jenes einst so populäre und von Theodor Fontane in seiner "Effi Briest" zitierte Lustspiel wieder zwischen zwei Buchdeckeln gibt (erschienen im Baltica Verlag, Flensburg), ist nur einem kleinen Kreis bekannt.

Als Wichert 1899 seine Autobiographie "Richter und Dichter" vorlegte, gab er diesem Lebensausweis, wie er seine Aufzeichnungen im Untertitel nannte, ein Verzeichnis seiner Werke bei: 34 Theaterstücke, 28 Romane und eigenständig veröffentlichte Novellen sowie 15 zum Großteil mehrbändige Novellen-Sammlungen (darunter die bis heute geschätzten "Litauischen Geschichten") hatte er ab 1857 veröffentlicht. Und das nahezu nebenbei.

Denn im Brotberuf war Ernst Wichert Jurist. Nach dem Studium der Rechte in Königsberg und der Assessorenzeit in Memel wurde er 1860 Kreisrichter in Prökuls. Drei Jahre später kam er als Stadtrichter nach Königsberg zurück, wo er 1877 (andere Quellen sprechen von 1879) Oberlandesgerichtsrat und mit der Ehrendoktorwürde seiner Alma Mater geschmückt wurde. Dann der Wechsel nach Berlin, wo Wichert ab 1888 als Kammergerichtsrat wirkte und 1896 - mit 65 Jahren also - als Geheimer Justizrat in Pension ging.

Seine intime Kenntnis der sozialen Verhältnisse im wilhelminischen Reich sowie seine Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Gerichtsalltag flossen unmittelbar in seine Werke ein - etwa in die "Litauischen Geschichten", in welchen Wichert mit Anteilnahme vom Leben und Existenzkampf der Fischer und Landleute erzählt.

Bemerkenswert auch seine frühen vaterländischen Dramen - etwa "Unser General York" von 1858 - oder die historischen Romane, die ohne patriotische Heldenverklärung auskommen und - verglichen mit den Werken vieler Zeitgenossen - von geradezu nüchternem Wirklichkeitssinn geprägt sind.

Wichert selbst vertrat eine liberale Grundhaltung. In seinen Bühnenstücken ebenso wie in seinen Prosaarbeiten entsprach er dem Bedürfnis des wilhelminischen Publikums nach Bestätigung ihrer bürgerlichen Werte und ihres Glaubens an die Zukunft des von Bismarck geschaffenen Reiches. Damit ist sein Werk eine Fundgrube für jeden, der sich ein kulturhistorisch authentisches Bild des 19. Jahrhunderts machen möchte.

Anders als sein Beinahe-Namensvetter Ernst Wiechert (geboren 1887 nahe dem ostdeutschen Sensburg, gestorben 1950 in der Schweiz), zu dessen Werk weit mehr als 100 wissenschaftliche Arbeiten vorliegen, bringt es Ernst Wichert dennoch nur auf eine knappe Handvoll, erschienen übrigens in der Hauptsache in Polen. Das ist auch mit den Gesetzmäßigkeiten der deutschen Literaturwissenschaft zu erklären: Dem Andenken Ernst Wiecherts, bekannt bis heute für seine kritische Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie, hat sich eine literarische Gesellschaft gewidmet, welche die Forschung befördert. Vergleichbares läßt sich für Ernst Wichert, der am 21. Januar 1902 in Berlin starb, leider nicht vermelden.

Dabei sollte gerade der Literaturbetrieb nicht vergessen, was er an diesem vielseitigen Dichterjuristen hat: Der Mitherausgeber der "Altpreußischen Monatsschrift" war Mitbegründer der "Deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten", die 1871 in Leipzig ins Leben gerufen wurde. Später umbenannt in "Verband Deutscher Bühnenschriftsteller", firmiert der älteste überregionale Autorenverbund in Deutschland heute als "Dramatiker Union".

Im Schlußkapitel von Ernst Wicherts Autobiographie, die er seinen Enkelkindern gewidmet hat, findet sich ein Bekenntnis: "Ich glaube an den deutschen Geist, an die deutsche Kraft, an das deutsche Gemüt." Dieser Glaube spiegelt sich auch in seinem literarischen Schaffen - ohne je "dem zeitüblichen Hurrapatriotismus zu verfallen", wie Anfang der 1980er Jahre Literaturwissenschaftler in der damaligen DDR dem preußischen Schriftsteller anerkennend bescheinigten.

Nicht nur deshalb wäre es wert, Ernst Wichert wieder zu entdecken - und so das Wichert-Jahr vielleicht doch nicht ganz zu verschlafen.

Ernst Wichert: Verdient es, wieder entdeckt zu werden
 
     
     
 
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