A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Artikel

 
     
 
Wähler sind offenbar gefährlich. Nicht immer können sich die Parteien auf sie verlassen. Manchmal machen sie, was sie wollen, und es gibt Anzeichen dafür, daß der Wunsch vieler Demokraten in Deutschland nach mehr direkter Mitbestimmung wächst.

Im großen Ganzen sieht das Grundgesetz vor, daß die Bundesrepublik ein Parteienstaat ist. Zwar sollen die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes nur mitwirken, doch legen die Parteien die Mitwirkung inzwischen sehr weit aus. Die Wähler, meinten die Väter des Grundgesetzes, können die Parteien wissen lassen, welche Politik sie vorziehen, und die gewählten Abgeordneten der Parteien würden dann treu und brav diese Wünsche umsetzen.

Daß das nicht so ganz funktioniert, hat sich herumgesprochen. Die allerwichtigsten Fragen sind die Parteien bestrebt, aus den Wahlkämpfen herauszuhalten, damit die Wähler nicht dauernd dazwischenquatschen. Nach den Wahlen werden die Parteien es dann schon richten. Zur Zeit ist es die Frage der Einwanderungen
nach Deutschland, über die der Bürger möglichst nicht bei den nächsten Bundestagswahlen entscheiden soll. Die Regierenden wollen vorher mit der Opposition auskungeln, wie die Einwanderung zu regeln ist, so daß die Wähler vor vollendeten Tatsachen stehen. Andererseits erkennen clevere Parteimanager, daß der Wunsch des Volkes nach direkter Mitwirkung ein Ventil braucht, und zwar auf einem möglichst politisch harmlosen Gebiet. Da bietet sich der kommunale Bereich an. Und da führten sie zum Beispiel in Schleswig-Holstein vor wenigen Jahren die Möglichkeit ein, daß die Bürger die Landräte und die hauptamtlichen Bürgermeister direkt wählen. Besonders eifrig bei der Durchsetzung dieser Regelung waren die Grünen, was einleuchtet, stammen sie doch von den Bürgerinitiativen ab. Doch die SPD zog mit und schließlich auch die CDU.

Die Folgen waren für die linken Regierungsparteien traurig. In fast allen Direktwahlen in Schleswig-Holstein obsiegten die Kandidaten der CDU. Linke Bewerber um die Ämter gingen unter. So war das Ganze nicht gemeint. Daher will die SPD jetzt die Direktwahlen der Landräte wieder abschaffen, und die Grünen gingen vor 14 Tagen noch weiter: Auf dem Landesparteitag stimmten von den 56 anwesenden Delegierten (mehr waren von insgesamt 109 Delegierten nicht erschienen) 34 für die Abschaffung der Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten, die als "pseudodemokratisch" abqualifiziert wurden. Damit ist die Grünen-Fraktion im Kieler Landtag festgelegt.

Viele Bürger sind sich seit langem einig, daß die Fünf-Prozent-Sperrklausel, die bei Wahlen nur solchen Parteien Abgeordnetensitze zubilligt, die mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten, kein eindrucksvoller Beitrag zur Demokratie ist. Daher hat kürzlich die schleswig-holsteinische FDP – dem Beispiel anderer Bundesländer folgend – im Kieler Landtag beantragt, man möge die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen abschaffen. Damit können sich die Grünen anfreunden, und sogar – man höre und staune – die schleswig-holsteinische CDU ist bereit, darüber mit sich reden zu lassen.

Nun aber klingeln bei der SPD die Alarmglocken. Man müsse die Bürger vor den dann eventuell auftretenden "Kleinstparteien" schützen, meinte der SPD-Abgeordnete Puls. Sonst würden "Kleinstparteien die Rathäuser überschwemmen". So zieht die SPD die Notbremse, damit die alt hergebrachten Parteien auch weiterhin unter sich bleiben können.

Man sollte die SPD verstehen. Bislang ist jeder, der auf das Volk hört, ein Populist, was in den Augen unserer Parteioberen ein Schimpfwort ist. Außerdem sind die Sozialdemokraten schon einmal auf die Nase gefallen, als sie den Bürgern mehr direkte Entscheidungsbefugnisse eingeräumt hatten, nämlich als 1996 auch in Schleswig-Holstein die Möglichkeit des Volksentscheides geschaffen wurde.

Gleich nutzten das störrische Bürger, um mehrheitlich die Rechtschreibreform abzulehnen, was nicht im Sinne der Parteien war. Diesmal behoben sie den Schaden, indem der Landtag einfach das Ergebnis des Volksentscheides aufhob.

Resultate von Direktwahlen der Bürgermeister und Landräte sind so einfach jedoch nicht aus der Welt zu schaffen. Und auch Wahlergebnisse, wenn denn kleine Parteien die Chance hätten, Mandate zu gewinnen, sind nicht einfach durch Mehrheitsbeschlüsse der großen Parteien zum Verschwinden zu bringen. Darum ist äußerste Vorsicht geboten: Wähler könnten gefährlich werden.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Befreiung oder Niederlage oder was?

Finanzkrise Rußlands

Kajan

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv