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Als im März dieses Jahres die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wie eine Sensation auf mehreren Seiten berichtete, am 2. November 1970 sei in Weimar der Sarkophag Goethes geöffnet worden, um die Gebeine des größten Deutschen zu restaurieren und damit vor dem Verfall zu bewahren, da ging das Interesse der Deutschen weit über den Leserkreis jener Zeitung hinaus.

Weil, so erfuhr man aus dem Bericht der FAZ, sich der Beschlag des Schlosses am Sarg gelöst hatte und der Deckel aufklaffte, befürchtete man seinerzeit, der Leichnam würde einem schnellen Verfallsprozeß ausgesetzt. Deswegen wurde beschlossen: Das Skelett müsse von allem weichen Gewebe befreit und die Gebeine präpariert werden. Man nennt dieses Verfahren in der Anatomie "Mazeration". Gewissenhafte erfahrene Wissenschaftler, darunter zwei Pathologen, einer davon Rektor der Universität Jena, ein Archäologe, der Direktor des National
museums und mehrere Restauratoren öffneten den Sarkophag, brachten die Gebeine ins Museum für Ur- und Frühgeschichte in Weimar und ließen die Fachleute ihr Werk tun. Dabei wurden die Reste des Lorbeerkranzes, die man bei der Beerdigung dem toten Goethe aufs Haupt gesetzt hatte, konserviert und dem Schädel aufgelegt. Man dokumentierte gewissenhaft, was man fand: Überreste der Kleider und des Schuhwerks, das Kopfkissen, das Bett, auf dem Goethe ruhte. Alles wurde restauriert. Nach kurzer Zeit konnten die Gebeine und alle anderen Überreste im Sarkophag wieder der Fürstengruft übergeben werden, in der schon die Gebeine Friedrich Schillers ruhen. Die FAZ geht auch auf das Schicksal der Särge in den Wirren der letzten Kriegszeit ein. Es wird berichtet, daß man beide Ende 1944, um sie vor alliierten Luftangriffen zu schützen, in einem Bunker in Jena in Sicherheit gebracht hatte, wo sie den einmarschierenden Amerikanern in die Hände fielen.

Dann wird der FAZ-Bericht ungenau, ja vage. Die Hebelspuren, die 1970 die Wissenschaftler der DDR an dem Sarkophag Goethes gefunden hatten, müssen in jenen letzten Tagen des Krieges in Jena verursacht worden sein. "Einmal muß der Sarg mit Gewalt geöffnet worden sein auf so rohe Weise, daß die Haspen der Schlösser herausgerissen wurden. Sie sind danach nur provisorisch wieder eingesetzt worden", liest man in der Zeitung. Auch wird erwähnt, daß in den letzten Kriegstagen, als die Amerikaner Thüringen besetzt hatten, irgend etwas mit dem Sarg geschehen ist. "Damals muß der Innensarg zerstört worden sein ...", heißt es ausweichend im Protokoll.

Die US-Truppen haben unter dem Kommando eines Majors die Särge nach Weimar zurücktransportiert, das auch in der Hand der Amerikaner war. Was geschah in jenen Tagen? Darüber könnte eine Bemerkung Auskunft geben, die der Oberkustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte des Staatlichen Museums zu Berlin (Preußischer Kulturbesitz, Dr. Klaus Goldmann) in seinem Buch "Vernichtet – verschollen – vermarktet. Kunstschätze im Visier von Politik und Geschäft" gemacht hat. Man liest dort: "Als man dort (in Weimar) 1952 die Särge öffnete, mußte man feststellen, daß alle sechs Orden von der Brust Goethes gestohlen waren. Angesichts des Goethe-Kultes des russischen Generals Kolesnitschenko in Weimar möchte man es fast ausschließen, daß russische Soldaten die Täter waren."

Auch in einem weiteren Buch findet man Hinweise, nämlich in dem 1992 erschienenen Werk "C-14; Vorstoß in die Vergangenheit" von Gisela Graichen. Sie berichtet: "1952 wollte man in Weimar die sterblichen Überreste auf Schäden ... überprüfen. Die Wissenschaftler hatten nämlich festgestellt, daß an dem Sarg manipuliert worden war." Sie öffneten den Sarkophag und mußten feststellen, daß der Leichnam "in einem schrecklichen Zustand" war. Der Leichnam wurde nach dem damaligen Stand der Wissenschaft konserviert. "Bei der Untersuchung des Leichnams Goethes stellte sich heraus, daß ein Trophäensammler von dessen Totenhemd aus Damast die sechs Orden gerissen hatte ... Vielleicht tauchen Goethes Orden als Kriegstrophäen eines Tages ja in Texas auf ..."

Sowohl Dr. Goldmann als auch Frau Graichen berufen sich auf den Ordinarius für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Jena, Prof. Dr. Günter Behm-Blancke, der zugegen war, als 1952 der Sarkophag geöffnet wurde. Dessen Witwe bestätigt die Aussage, ergänzt sie allerdings in einer Einzelheit: Nicht vom Leichenhemd, sondern von einem im Sarg liegenden Ordenskissen seien die Orden gerissen worden. Das Leichenhemd ist seltsamerweise 1970 nicht wieder dem Sarg beigegeben worden. Es soll laut FAZ in einer Kammer des Schillermuseums "geheimgehalten werden". Von dem Ordenskissen, das 1952 noch vorhanden gewesen sein soll, ist nicht mehr die Rede.

Übrigens fehlen auch in der Gesamtzahl der Knochen von Händen und Füßen Goethes fünf Stück, so das Protokoll von 1970. Sollten auch sie eines Tages als Souvenir in Texas auftauchen?

 
     
     
 
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