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Was vom alten Kant-Museum blieb

 
     
 
Fritz Gause (1893-1973), der letzte Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums mit dem Kant-Museum in Königsberg, behauptete 1968 in "Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen" zum Schicksal des berühmten Kant-Museums in Königsberg: Was "seit 1928 ... ausgestellt war, ist im Zweiten Weltkriege vernichtet worden." Und in seinem Büchlein "Kant und Königsberg" von 1974 heißt es, daß "sämtliche Expo
nate ... zusammen mit allen Kulturschätzen des Stadtgeschichtlichen Museums" vernichtet worden seien. Sie seien zwar "provisorisch ausgelagert, aber nicht aus Ostdeutschland herausgebracht worden".

"Allerdings", so schränken 1983 Rudolf Malter und Ernst Staffa in ihrer Dokumentation "Kant in Königsberg seit 1945" ein, sei "nicht absolut sicher, daß dem damaligen Zerstörungswerk auch in der Tat restlos alle Museumsstücke zum Opfer gefallen sind". Sie verweisen auf Gauses Artikel "Schicksal des Königsberger Stadtgeschichtlichen Museums" in der "Ostdeutschland-Warte" von 1951, in dem er noch Genaueres mitteilt: "Die Bestände des Museums waren im Kriege in der Hauptsache nach den Gasthäusern der Dörfer Karwinden und Lomp [im südlichen Ostdeutschland] ausgelagert, die wertvollsten Dinge in Bunkern unter dem Museum und in der Kopernikusstraße untergebracht worden ... Von dem Schicksal der ausgelagerten Bestände ist nichts bekannt. Sie sind wahrscheinlich verbrannt oder durch Plünderung vernichtet worden."

Aufschlußreich ist auch des Direktors weiterer Bericht: "Von den Bunkern gibt eine Angestellte des Museums, die erst 1948 aus Königsberg herausgekommen ist, folgende Schilderung: Wegen der großen Unsicherheit wagten wir erstmalig im August 1945, in die zerstörte Stadt zu gehen. Der Bunker im kneiphöfischen Rathaus hat auch der letzten Etappe der Vernichtung standgehalten. Der Kantbüste von Hagemann war der Kopf abgeschlagen, er lag auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Schicksal wollte es, daß ich mit einem gut deutsch sprechenden Russen bekannt wurde, der in Deutschland studiert hatte. Mit ihm unternahm ich es, den Bunker in der Kopernikusstraße, in der die Kant-Andenken untergebracht waren, aufzusuchen, leider mit wenig Erfolg. Denn dort, es war inzwischen März 1946 geworden, war kaum noch etwas zu finden. Der Bunker selbst stand, innen jedoch war nur Zerstörung, und die Orientierung mit einer Kerze schlecht. Daß ich mich an der richtigen Stelle befand, konnte ich aber daran feststellen, daß dort noch ein paar Stammbücher der Stadtbibliothek aus dem 17. Jahrhundert herumlagen. Außerdem fand ich ein Stück der großen Vase aus dem Kantmuseum - sonst weiter nichts. Bei meinem Abschiedsgang durch die Stadt im März 1948 stellte ich fest ... [der] Mittelteil des Rathauses war eingestürzt und hat alle im Bunker verbliebenen Reste unter sich begraben."

Über die im Kant-Museum ausgestellten Exponate sind wir durch Gauses Faltblatt "Führer durch das Kant-Museum" von 1938 und vor allem durch den von seinem Vorgänger Eduard Anderson (1873-1947) verfaßten Führer "Das Kantzimmer. Verzeichnis der Kant-Andenken im Stadtgeschichtlichen Museum" von 1936 informiert. Das Umschlagbild gewährt einen Blick in den Hauptraum des "Kantzimmers" mit der um 1880 von Rudolf Siemering in Berlin nach dem Original des Schadow-Schülers und -Gehilfen Carl Friedrich Hagemann von 1801 gleichfalls aus Carrara-Marmor gehauenen Kant-Büste. Dies muß die Büste sein, deren abgebrochener Kopf nach Kriegsende vor dem Museum gelegen hat.

Nun stellt sich aber die Frage, ob von all den Exponaten des Kant-Museums nicht doch etwas den Krieg überdauert hat. Malter und Staffa, die bereits im Jubiläumsjahr 1974, als man den zu einem Vorläufer der Philosophie des Marxismus und somit "fortschrittlichen" Philosophen erklärten Immanuel Kant in der Königsberger Universität ein Kant-Kabinett einrichtete, auf sowjetische Initiative hin Kontakt mit der Universität und dem Museumsrat aufgenommen hatten, kamen in ihrer Untersuchung vor über 20 Jahren zu einem ernüchternden Ergebnis: "Soweit sich jetzt feststellen läßt, ist aus den Beständen des ausgelagerten und verschollenen Stadtgeschichtlichen Museums nichts aufgetaucht."

Doch 1988 konnte Werner Stark im Rahmen der Recherchen für seine Dissertation die vor dem Krieg im Kant-Museum als Leihgaben der Stadtbibliothek ausgestellten Briefe des Philosophen an Johann Erich Biester (1749-1816), den Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift und Zweiten Bibliothekar - sowie späteren Leiter - der Königlichen Bibliothek zu Berlin, vom 30. Juli 1792 sowie an den Königsberger Kriegs- und Domänenrat und Schriftsteller Johann George Scheffner (1736-1820) vom 24. Januar 1799 in der Leninbibliothek, der heutigen Russischen Staatsbibliothek, in Moskau ausfindig machen. "Es scheint", so der Marburger Professor in "Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants" (1993), "mehr als eine Laune des Zufalls zu sein, daß just diese beiden einzigen Stücke [im Besitz der Stadtbibliothek] sich heute in der ehemaligen Leninbibliothek in Moskau befinden."

In der Tat finden wir diese Kant-Briefe in Andersons Führer von 1936 verzeichnet: "Beide auf roter Seidendamast-Unterlage, gerahmt in braunem Holzrahmen mit goldenem Vorstoß." Stark, der auf seine Anfrage auch Fotos der Briefe erhielt, vermerkt, daß der Brief an Biester "unter der Verlagerung gelitten" habe. Die Unterschrift Kants an der unteren rechten Ecke soll teilweise fehlen. "Verschiedene Bemühungen" aber, "den Weg dieser beiden Stücke zurückzuverfolgen, erbrachten kein Resultat." Nach jüngster Auskunft des an der Königsberger Universität lehrenden und derzeit in Marburg mit einem Thema über Immanuel Kant promovierenden Wadim Kurpakov, der versucht, die über Rußland verteilten Beutestücke an ihren Ursprungsort, das heißt Königsberg, zurückzuführen, sollen die Briefe nach dem Krieg von einem sowjetischen Oberst in Königsberg - Ort und Zeitpunkt sind nicht oder noch nicht genau bekannt - aufgefunden und der Moskauer Bibliothek übergeben worden sein.

Wurden die beiden Originale in den von Gause als Auslagerungsorte des Stadtgeschichtlichen Museums genannten Bunkern unter dem Kneiphöfischen Rathaus oder in der Kopernikusstraße aufgefunden? Auch für den Fall, daß die Leihgaben vor der Auslagerung an die Stadtbibliothek zurückgegeben wurden, könnten sie in den Bunker in der Kopernikusstraße in der westlichen Innenstadt gelangt sein, da dort nach der genannten Augenzeugin auch Stammbücher der Stadtbibliothek herumlagen.

Der genaue Wortlaut der beiden Briefe ist auch durch den von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von 1900 bis 1922 in "Kant s gesammelte Schriften" herausgegebenen Briefwechsel bekannt. Im Brief von 1792 an Biester, für dessen seit 1783 erschienene Berlinische Monatsschrift, ein Hauptorgan der Berliner Aufklärung, Kant zahlreiche Aufsätze, darunter 1784 die berühmten "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", geschrieben hat, bittet der Philosoph um die Rücksendung seines letzten Manuskripts: "Ihre Bemühungen, Geehrtester Freund, die Zulassung meines letzten Stücks in der B[erlinischen] M[onats] S[chrift] durchzusetzen, haben allem Vermuthen nach die baldige Zurückschickung derselben an mich, warum ich gebeten hatte, gehindert. - Jetzt wiederhole ich diese Bitte; weil ich einen anderen Gebrauch, und zwar bald, davon zu machen gesinnet bin, welches um desto nöthiger ist, da die vorhergehende Abhandlung ["Über das radical Böse in der menschlichen Natur", 1792], ohne die nachfolgende Stücke, eine befremdliche Figur in Ihrer M. S. machen muß; der Urtheilsspruch aber Ihrer drey Glaubensrichter unwiederruflich zu seyn scheint. - Es ist also mein dringendes Gesuch: mein Mspt mir, auf meinen Kosten, sobald als möglich, mit der fahrenden Post wieder zuzusenden; weil ich von verschiedenen unter den Text eigenhändig geschriebenen Anmerkungen keine Abschrift aufbehalten habe, sie aber auch nicht gern missen wollte ... mit unwandelbarer Hochschätzung und Freundschaft der Ihrige I. Kant". Bei dem "letzten Stück" handelt es sich um Kants Aufsatz "Vom Kampf des guten Princips mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen", dessen Imprimatur die preußische Zensurbehörde verweigert hatte.

In dem zweiten in Moskau erhaltenen Brief von 1799 an seinen Tischgenossen Scheffner führt der bald 75jährige Kant gesundheitliche Gründe für die lange Zeit ausgebliebene Beantwortung von Briefen seines Berliner Verlegers François Théodore de la Garde (1756-1824) an. Letzteren hatte der Philosoph 1789 nach dem Tode seines Verlegers Johann Friedrich Hartknoch d. Ä. in Riga, bei dem 1781 die "Kritik der reinen Vernunft" und 1788 die "Kritik der praktischen Vernunft" erschienen waren, mit der Publikation seiner dritten Kritik, der "Kritik der Urteilskraft (1790)", beauftragt. Jetzt wartete de la Garde, der gerne noch ein weiteres Werk Kants verlegen wollte, zumindest auf eine Bestätigung des Empfangs des Honorars für die 1799 erschienene dritte Auflage der Kritik und wandte sich deshalb an Kants engen Freund, den Kriegsrat Scheffner, der mit seinen "Freundschaftlichen Poesien eines Soldaten" (1793) ebenfalls Autor des Verlages "F. T. Lagarde" war.

Der Philosoph antwortet daraufhin Scheffner am 24. Januar: "Ew: Wohlgebohrnen habe die Ehre meine Antwort, auf des Hrn Lagarde Brief, verlangtermaßen zuzuschicken. Meine mich noch immer schikanirende Unpäßlichkeit, die zwar eben nicht zum Tode hindeutet, aber doch zur Arbeit und für die Gesellschaft unlustig macht, beraubt mich des Vergnügens der Ihrigen theilhaftig zu werden; wie ich mir schmeichle. - Von der Veränderung der sonderbaren, mir schon lange nachtheiligen, Luftbeschaffenheit, hoffe ich indessen vor der Hand, daß sie sich nicht in Krankheit auflösen wird." Kant hatte sich nach dem Sommersemester 1798 aus Altersgründen gänzlich vom akademischen Dienst zurückgezogen.

Scheffner war im übrigen fünf Jahre nach Kants Tod der Hauptinitiator des 1809/10 zur "Stoa Kantiana" umgestalteten Professorengewölbes am Königsberger Domchor mit der kapellenartigen Grabstätte, für die er einen Grabstein stiftete, in dessen Inschrift er sich als Kants "amicus" bezeichnet. Bei "Kants Gedächtnißfeyer zu Königsberg am 22sten April 1810" enthüllte er die dort aufgestellte Büste des Philosophen von Hagemann und sprach unter anderem die Worte: "Möchte der Anblick dieses prunklosen Monuments jeden, der es sieht und sehen wird, von der Zeitgenossen Liebe und Hochachtung für den großen Mann überzeugen, und ihn zugleich aufmuntern, so scharf und richtig zu denken und so lebensweise zu handeln, wie Immanuel Kant."

 

Immanuel Kant: Abguß der Büste von C.F. Hagemann durch die Königsberger Kunstakademie zum 200. Geburtstag des Dargestellten im Jahre 1924. Der Kopf des um 1880 von Rudolf Siemering nachgebildeten Originals aus Carrara-Marmor lag 1945 auf der Straße vor dem Kant-Museum. Foto: Museum Stadt Königsberg
 
     
     
 
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