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Auf Wanderung im Tal der Tränen

 
     
 
Was Potsdam bringen würde, war bis zur ersten Hochrechnung ungewiß, gewiß war indes schon vor Öffnung der Wahllokale, wer in Saarbrücken verlieren mußte – egal wie das Endergebnis lauten sollte: Gerhard Schröder. Denn im Gegensatz zur wachsweichen Kritik Manfred Stolpes an der Politik des Kanzlers feuerte Saarlands SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt täglich Breitseiten gegen das sogenannte Sparpaket der rotgrünen Koalition in Berlin, von dem Schröder unentwegt sagte, daß es für dieses "Zukunftsprogramm" keine Alternative gebe.

Lafontaines politischer Ziehsohn hatte nämlich klar erkannt, daß er nur dann eine Chance hätte, sich an der Saar zu behaupten, wenn er unter der Propaganda
fahne "Soziale Gerechtigkeit" für kräftige Korrekturen an Schröders Neue-Mitte-Kurs kämpfen würde. Ein Wahlsieg Klimmts mußte daher wie eine sozialdemokratische Volksabstimmung gegen die "Modernisierungsbemühungen" des neuen Parteivorsitzenden und wie eine Stärkung des Traditionalistenflügels der Lafontaine-Anhänger wirken. Eine Niederlage Klimmts wiederum mußte dem Bundeskanzler ein Bundesland kosten, dessen Stimmen er im Bundesrat dringend brauchte.

Die Wähler waren erbarmungslos: Sie taten nämlich beides. Sie bescherten dem CDU-Herausforderer Peter Müller einen hauchdünnen Wahlsieg und goutierten trotzdem Klimmts Engagement gegen den Kanzler – also 90 Prozent gegen Schröder! –, denn der machtent-scheidende  Fünf-Prozent-Verlust Klimmts nimmt sich gegenüber der 15-Prozent-Katastrophe des eher Schröder-braven Manfred Stolpe wie ein innerparteilicher Sieg der Lafontaine-Getreuen aus. Schlimmer konnte es gar nicht für den Kanzler kommen. Dies ist das entscheidende Ergebnis der Landtagswahl an Havel und Saar.

Das zweitwichtigste Ergebnis liegt in der Richtung der Wählerwanderung. Daß vor allem frühere SPD-Wähler aus Enttäuschung über die chaotische und wortbruchreiche rotgrüne Politik zu Hause geblieben sind, ist leicht nachvollziehbar. Erstaunlich aber sind die tiefen Einbrüche der SPD in zwei Wählerschichten, auf welche die Sozialdemokraten gebaut haben – die Arbeiter und die jungen Wähler. Der rotgrüne Rentenwirrwarr hat der SPD unter den über 60jährigen nur relativ geringe Verluste gebracht und spiegelgleich nur geringe Gewinne für die CDU. Dafür provozierte offenbar die Gesamtpolitik der Bundesregierung bei den Arbeitern und bei den jungen Wählern ein geradezu dramatisches Nein, was sich entsprechend in CDU-Stimmen niederschlug.

So legte zu Lasten der SPD die Union im Saarland im Landesschnitt 7 Prozent zu, bei den Wählern unter 30 Jahren jedoch um 17. Ähnliches ist aus Brandenburg zur vermelden. Die Wählerbewegung der jungen Wähler zur CDU, die sich bereits in Meinungsumfragen, bei der Hessenwahl im Frühjahr und bei den Europa-Wahlen andeutete, bekam am letzten Sonntag in Brandenburg und im Saarland einen gewaltigen Schub. Ein Alarmsignal für die SPD. Aber auch eine Herausforderung an die Adresse der CDU, sich diesen neuen Wählern, welche die Zukunft verkörpern, zu stellen.

Die dritte Antwort auf die Frage nach dem Urteil der Wähler am 5. September ist der Absturz des SPD-Partners Bündnis 90/Die Grünen mit dem Verlust sämtlicher Landtagsmandate im Saarland und der Verbannung ins Ghetto der Splitterparteien in Brandenburg – sowie die Marginalisierung der FDP. Sollten die nächsten Wahlsonntage mit ähnlichen Ergebnissen enden, könnten beide Parteien im Herbst in arge Personalturbulenzen und kräfteverschleißende Richtungskämpfe taumeln. Was übrigens auch für die SPD gelten kann, wenn die Wähler in Thüringen, Nordrhein-Westfalen, in Sachsen und in Berlin der Kanzlerpartei eine herzhafte Abfuhr bereiten sollten. Schröders Appell zur Einigkeit verhallte bereits in der Wahlnacht bei linken Flügelgenossen demonstrativ ungehört.

Und die Stärkung der Radikalen an den Rändern? Die PDS-Kommunisten konnten ihre Nostalgie-Truppe mobilisieren, weil ihr die ambivalente Haltung Stolpes die Chance eröffnete, mit seiner Hilfe auch in Brandenburg zu den Fleischtöpfen der Macht zu gelangen. Und die DVU? Ist es wirklich ein Zufall, daß sie genau dort punktet, wo sich die SPD von der PDS politisch aushalten läßt (wie in Magdeburg) oder freundschaftlich mit ihr umgeht (wie in Potsdam)? Die SPD sollte einmal darüber nachdenken, wieso gerade viele SPD-Wähler zur DVU gewandert sind. Mit einem angeblichen latenten "Rechtsextremismus" der Mitteldeutschen läßt sich dieses Phänomen kaum erklären.

 
     
     
 
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