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Immer näher rückt das Wahldatum für die Königsberger Gouverneurswahlen am 5. November. Und schon beginnen Soziologen, Politologen und die Bevölkerung, die möglichen Kandidaten und ihre jeweiligen Chancen öffentlich zu diskutieren. Für wie wichtig auch der russische Präsident Wladimir Putin die kommende Wahl hält, hat er deutlich gemacht, als er laut dem Düsseldorfer "Handelsblatt" erklärte, daß es dabei um nicht weniger als um die künftige strategische Rolle der russischen Exklave gehe, die voraussichtlich in wenigen Jahren komplett von EU-Staaten umgeben sein werde.

Dennoch darf diese Einschätzung nicht den Blick dafür verstellen, daß sich, wenn es nach Putin geht, die politischen Kompetenzen weiter zentralisieren und damit von Königsberg weg entwickeln werden. Die Regionalpolitik des russischen Präsidenten vermittelt den politischen Beobachtern den Eindruck, daß das Königsberger Gebiet
mehr an die neue Großregion "Nordwest" mit St. Petersburg als Zentrum angebunden werden wird. Das heißt: vieles, was bisher kommunalpolitisch vor Ort beschlossen wurde, wird künftig an der Newa entschieden werden und nicht mehr am Pregel. Das ist nicht nur der allgemein als inkompetent empfundenen Politik des bisherigen Königsberger Gouverneurs, Leonid Gorbenko, zuzuschreiben, der es nicht vermochte, aus den bisherigen wirtschaftlichen Sonderrechten der Zone eine wie auch immer geartete wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung zu gestalten, sondern auch der allgemeinen Politik Putins, die Macht der kleinen "Provinzfürsten" entschieden zu beschränken.

Erste Einschätzungen der Wahlchancen der einzelnen Wahlkandidaten von Viktor Titow in der Königsberger russischsprachigen Tageszeitung "Kaliningradskaja Prawda", nach der der amtierende Gouverneur Leonid Gorbenko die besten Chancen auf eine Wiederwahl habe, sind nicht mehr aktuell. Gorbenkos ebenso autoritäre, sprunghafte wie undurchsichtige Politik haben bisher breitgestreute Investitionen verhindert. Die Hintergründe seiner versuchten Verkaufsaktionen von vor einigen Monaten, als er versuchte, das wenige "Tafelsilber" der Region an ein dubioses ausländisches Firmenkonsortium zu verscherbeln (Das berichtete), hat seine Glaubwürdigkeit ebenfalls nicht erhöht.

Er sei von liebedienerischen Untergebenen umlagert, die mit aller Mühe versuchten, ein positives Bild von ihm in der Stadt zu verbreiten, heißt es. Doch das ist keine leichte Aufgabe. Gorbenko, so will es sein selbstgewähltes Symbol, erscheint im Wahlkampf in Gestalt eines pflügenden Bären (der Bär steht für Männlichkeit im russischen Märchen), dem bellende Hunde gegenüberstehen. Das Bild, eine Anspielung auf die Nähe zur proputinschen Partei "Jedinstwo" (Einheit) und der Opposition in Gestalt der Hunde sei jedoch falsch: Der Bär trat im russischen Märchen niemals als Ackerbauer auf.

Die Politik – oder besser gesagt ihr Fehlen – des amtierenden Gouverneurs zu analysieren sei eine ermüdende und langweilige Aufgabe, sagen die Politologen. Gorbenkos Wahlkampfmaschine habe faktisch all die Jahre nicht aufgehört zu laufen. Das Wesentliche, was seit Herbst 1996 im Königsberger Regierungsgebäude geschehe, sei, den Menschen "Sand in die Augen zu streuen", so die "Kaliningradskaja Prawda".

Meinungsumfragen belegen seit Wochen, daß das Verhältnis zwischen Zustimmung und Ablehnung in der Bevölkerung, was die Politik Gorbenkos angeht, inzwischen deutlich zur Ablehnung hin tendiert. Von Dutzenden möglicher Kandidaten erhielt er in Umfragen die meisten zu vergebenden Negativpunkte. Dies sei zwar kein optimistisches Ergebnis, jedoch dürfe man nicht vergessen, daß er noch die Hebel der Macht in seinen Händen halte, so die Demoskopen. Darüber hinaus verfüge er über erhebliche Geldsummen und einen mächtigen Propagandaapparat, für dessen Zusammensetzung und Förderung er beachtliche Anstrengungen unternommen habe. Alles in allem ein Rundumprogramm, das Leonid Gorbenko, der seine meisten Anhänger in den ländlichen Gebieten besitzt, zu neuem Auftrieb verhelfen könnte. Seine politischen und sozialen Möglichkeiten seien jedoch sehr begrenzt, da sich bereits alle politischen Größen der Region von dem amtierenden Gouverneur abgewandt hätten. Dies schlage sich auf die Beliebtheit des Gouverneurs nieder. Neueste Umfragen sehen Gorbenko immer weiter im Meinungstief. Sie geben ihm gerade einmal 13 Prozent. Nach diesen Erhebungen wollen 58 Prozent der Bevölkerung nicht, daß er wiedergewählt wird. Die Konkurrenz Gorbenkos hat zuletzt derart zugelegt, daß ein Verbleib des bisherigen Gouverneurs in der Tat als ziemlich unwahrscheinlich gilt.

Auch angesehene Kommunisten haben sich vom Gouverneur abgewandt. Deshalb sei zu befürchten, so die Demoskopen weiter, daß Gorbenko sich dazu verleiten lassen könnte, sich radikaler und nationalistischer Kräfte zum Zwecke seines Machterhaltes zu bedienen. Es bleibe jedoch fraglich, ob sein politischer Nihilismus so weit gehe, daß er mit ihnen in Verhandlungen trete. Unter führenden Industriellen hätten die Ergebnisse von Gorbenkos Politik auch die letzten Anhänger vergrault. Ebenso sehe es in ländlichen Gegenden aus. Gerade deshalb sei Gorbenko gezwungen, in den Dörfern besonders für seine Politik zu werben. Seine Wahlpropagandisten hätten sich rechtzeitig um Werktätige gekümmert, die mit dem Eifer Neubekehrter ihrem Herrn dienten. Sie agierten so, als gäbe es keine Alternative zu Gorbenko.

Für die genannten Kommunisten kandidiert der Abgeordnete der Staatsduma, Wladimir Nikitin, der sowohl über politischen Weitblick als auch über die Fähigkeit zu politischem Denken verfüge. Allerdings hege er die spezielle Absicht, das Gebiet zu isolieren. Hinter seinem Patriotismus verbergen sich nationalistische Tendenzen. Dennoch wurde er bereits zum zweiten Male in die Staatsduma gewählt und könne ein potentieller Nachfolger Gorbenkos werden. Beobachter meinen, daß Nikitin mit dem im Amt befindlichen Gouveneur geheimgehaltene, enge Verbindungen habe. Laut einer Umfrage der Königsberger Soziologen vom Juni dieses Jahres hätte Wladimir Nikitin Leonid Gorbenko überholt, wenn am darauffolgenden Tag Wahlen gewesen wären. Die Umfragen räumen auch Nikitin nicht mehr als elf Prozent ein. Ein Beliebtheitswert, der seit Wochen einigermaßen stabil erscheint. Wenn er sich entschließen sollte, irgendwann doch Gorbenko zu unterstützen, dann hätte dieser mit 24 Prozent tasächlich eine Chance gegen seinen gefährlichsten Rivalen, dem Kommandeur der in Pillau stationierten Baltischen Flotte, Admiral Wladimir Jegorow.

Dieser gehört nämlich neben dem Abgeordneten in der Moskauer Staatsduma Wladimir Nikitin und dem Bürgermeister von Königsberg, Jurij Sawenko, zu den wichtigsten der drei Herausforderer des derzeitigen Gouverneurs. Jegorow wird als der aussichtsreichste Gegenkandidat von den dreien gehandelt. Er genießt nach der neuesten Umfrage die Zustimmung von immerhin 27 Prozent der Bevölkerung und steht damit in der Beliebtheitsskala mit weitem Abstand an der Spitze. Ihn, den Staatsdiener und Patrioten, Strategen und Diplomaten, könnten sowohl Linke als auch Rechte anerkennen. Er sei nicht in verdächtige kommerzielle Geschäfte verwickelt, ihm werden keine politischen Sünden zur Last gelegt. Jegorow, so wird kolportiert, habe den Gouverneursposten eigentlich nicht angestrebt. Ihn fülle seine soeben erst begonnene militärische Karriere aus. Wenn er jetzt die Entscheidung treffen würde, zu kandidieren, seinen guten Namen aufs Spiel zu setzen, dann nur in dem Bewußtsein seiner Verantwortung für die Region. Sollte er dem Ruf in dem Moment, in dem ein Mann seines Ranges gefordert sei, folgen, dann werde der Mythos von der "Unablösbarkeit" Gorbenkos vielleicht ein Ende finden.

Am 22. Juli hatte der Gründungskongreß seiner Regionalbewegung "Sosdanije" (= "Schöpfung") stattgefunden, die wesentliche Teile der politischen und wirtschaftlichen Elite des Königsberger Gebiets vereinigte und die Jegorow als ihren Spitzenkandidaten wählte. Als Putin kürzlich Königsberg und Pillau besuchte, ließ er Jegorow seine besondere Aufmerksamkeit zukommen, während er Gorbenko geflissentlich soweit wie möglich ignorierte (Das berichtete). Spätestens dieser Besuch hatte deutlich gemacht, daß Moskau Jegorow im Wahlkampf unterstützen würde. Die Ersetzung Gorbenkos durch Jegorow hätte für Putin den maßgeblichen Vorteil, daß er bei der landesweiten Umgestaltung der Gouverneurskompetenzen einen Parteigänger mehr auf seiner Seite hätte.

Noch im Mai galt Jegorow als chancenloser Außenseiter im Kampf um die Nachfolge Gorbenkos, der Königsberger Bürgermeister Jurij Sawenko führte damals noch die Meinungsumfragen an. Inzwischen hat sich das Bild umgekehrt. Sawenko ist jung, energisch, ambitioniert. Diese Eigenschaften hatten sich allerdings erst nach dem Tod seines Vorgängers Jurij Koschemjakin gezeigt, denn bis zu dieser Zeit habe Sawenko sich eher im Hintergrund gehalten. Sawenkos gute Beziehungen zum Presseamt, seine Unterstützung seitens der Geschäftswelt hatten seine Popularität erhöht. Lediglich die Tariferhöhungen für kommunale Dienste, die er so lange wie möglich hinausgezögert habe und die jetzt – kurz vor der Wahl – die Städter mit aller Härte trafen, konnten dieses positive Bild ernsthaft verändern und Enttäuschung und Gereiztheit gegen den jungen Bewerber um den Gouverneursposten hervorrufen. Alles in allem gilt er zwar als tüchtiger Verwaltungsmann, doch Rückhalt in Moskau – und dies ist sein größtes Hindernis – besitzt Sawenko kaum. Sollte er sich entschließen zu kandidieren, dann gingen seine Stimmen wohl auf Kosten von Jegorow und würden so möglicherweise Gorbenko durch die Hintertür doch noch zu einem Wahlsieg verhelfen.

Ein anderer Anwärter auf den Sessel des Gouverneurs könnte Jurij Sinelnik sein. Er tat sich schon als Leiter der "Ozean-Fischereiflotte" hervor. Inzwischen leitet er die gesamte Fischwirtschaft des Landes. Ihm eile, so die Demoskopen, der Ruf eines demokratischen und modernen Vorgesetzten voraus. Doch in geschäftlichen Kreisen und bei der politischen Elite sei sein Bekanntheitsgrad ziemlich gering. Sein Wahlkampf dürfe deshalb viel mehr Zeit benötigen, als bis zu den Wahlen verbliebe. Chancen werden ihm kaum eingeräumt.

Als weiterer möglicher Kandidate wurde von der Presse der ehemalige Gouverneur und Amtsvorgänger Gorbenkos, Jurij Matotschkin, gehandelt, der das Glück erneut herausfordern wolle. Doch Matotschkin sei klug und pragmatisch genug, um zu wissen, daß er geringe Chancen habe. Zweifelsohne sei er einer der Politiker mit der höchsten Autorität in der Region, auf dessen Wort Menschen unterschiedlichster Couleur hören würden. Sein Schicksal sei es in der Vergangenheit gewesen, die Verantwortung für Fehler und Enttäuschungen während der umwälzenden Reformperiode zu tragen. Umfragen zufolge habe sogar Matotschkin inzwischen bessere Chancen als Gorbenko.

Das Mißtrauen der Bevölkerung gegnüber jedem der Kandidaten sei groß, so heißt es in der örtlichen Presse. So sei mit einer Protestwahl zu rechnen, die demjenigen Kandidaten den Vorzug geben werde, der die Konsolidierung der instabilen Situation, die sich aufgrund der Unfähigkeit Gorbenkos im Gebiet entwickelt habe, am überzeugendsten verspreche und dessen Ruf noch nicht durch unseriöse politische Spiele beschmutzt sei. In diesem Sinne habe es bis vor kurzem tatsächlich niemanden gegeben, den man Gorbenko hätte entgegenstellen können.

Wer immer schließlich am 5. November neuer Königsberger Gouverneur wird, eines ist sicher: Die Analyse der Zeitung "Obschchaja Gaseta" ist zweifellos zutreffend, wenn sie anmerkt: "Die Königsberger Wahlen gewinnen nationale Bedeutung und haben sich in einen Lackmustest der politischen Befähigung des neuen Präsidenten verwandelt."

MRK/WONA/G.X.

 
     
     
 
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