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Auge in Auge mit einem Elch

 
     
 
Als junger Mensch wurde ich vor Einberufung zum Wehrdienst Anfang Oktober 1940 zur Ableistung des RAD-Dienstes nach Skirwieth in der Elchniederung einberufen, für mich als Bewohner eines kleinen stillen Ortes im Kreis Treuburg ein markanter Einschnitt im bisherigen fast ereignisfreien Leben. Über Eindrücke und Abläufe des Tagesgeschehens beim RAD brauche ich nicht zu berichten, da dies ja, zumindest allen früheren RAD-Angehörigen, hinreichend bekannt sein dürfte.

Eines Tages, Anfang November, erhielt ich vom Einheitsführer den Auftrag, einen Brief der übergeordneten Einheit nach Ruß zu überbringen, dies am Nachmittag eines trüben, wolkenverhangenen Tages. Die nähere Umgebung dort war mir inzwischen durch unsere Einsätze, hauptsächlich Meliorationsarbeiten, einigermaßen vertraut, und so machte ich mich auftrags- und pflichtgemäß zu Fuß auf den Weg. Es war ein Weg, zwar mit festem Untergrund, doch durch sumpfiges Moorgel
ände führend, beidseitig kaum betretbare Flächen. Gedankenverloren folgte ich diesem einsamen Weg Richtung Auftragsziel.

Da plötzlich, ein Schreck fuhr mir durch alle Glieder, ich erstarrte, erblickte ich auf der vor mir liegenden Wegkrümmung, etwa 80 Meter vor mir einen Elch, aus meiner damaligen Sicht ein überdimensionales Urtier, das mir Entsetzen und Furcht einflößte. Seine Größe, seine außergewöhnlich riesigen Schaufeln forderten Respekt und Distanz, sein Gesamtbild bot eine majestätische Erhabenheit, beherrschend die Natur und alle sonstigen Erscheinungen. Ich stand wie angewurzelt da, mein Blick auf diese imposante, gewaltige Erscheinung gerichtet. Er stand ebenfalls unbeweglich mit erhobenem Kopf und auf mich gerichtetem Blick. Meine Gedanken begannen zu rotieren, ob und was dachte er wohl? Meine Überlegungen kulminierten in zwei Punkten: Gehe ich an ihm vorbei oder mache ich einen Umweg durch das Moor? An ihm vorbeizugehen hielt ich für sehr gefährlich, ich wähnte mich dann entweder mit den Hufen zerstampft oder aber mit den Schaufeln aufgehoben und in das Moor geschleudert. Erfahrungen mit dieser Art Großwild hatte ich ja nicht, und so konnte ich mir kein verbindliches Urteil erlauben. Dieser nervenbelastende Überlegungszustand dauerte mehrere Minuten, wie eine Ewigkeit, beeinflußt und bedrängt noch vom Gewissen rechtzeitiger Auftragserledigung. Der Elch wich auch nicht von der Stelle, hatte er auch Probleme?

So entschloß ich mich, in großem Bogen durch das Moor zu gehen, wenn es wohl auch lebensgefährlich war. Dies vollzog sich in der Weise, daß ich mich an Erlen, Birken- und Weidensträuchern oder -stämmchen hangelnd und von Grasbüschel zu Grasbüschel hüpfend fortbewegte, dabei mit ums Versinken kreisenden Gedanken endlich wieder auf den Weg kam. Zurückschauend konnte ich wegen der Wegkrümmung den Elch nicht mehr erblicken. Erleichtert und aufatmend setzte ich meinen Weg fort und erledigte den Auftrag. Meine bange Ungewißheit auf dem Rückweg war unbegründet, denn der Elch war nicht mehr da, er hatte sich in ungestörte Bereiche verzogen.

Über 50 Jahre hat mich die Frage beschäftigt: War ich damals zu vorsichtig, zu ängstlich, oder war es ein schicksalhaft richtiges Verhalten? Heute freue ich mich und bin fast stolz, dies doch seltene Erlebnis ohne Schaden überstanden zu haben. Abschließend muß ich erwähnen, daß nach verschiedenen Meldungen in unserer Heimat heute Elche und sogar Wölfe leben; mit ihnen gibt es jedoch nicht immer freudige Begegnungen.
 
     
     
 
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