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Bayern halten und Berlin stürmen

 
     
 
Was der CDU noch bevorsteht, ist der kleineren Schwesterpartei bereits gelungen: die personelle Erneuerung. Während Kohls Nachfolger im Amt des Parteichefs, Schäuble, sich bisher allenfalls den Ruf eines Interregnums-Vorsitzenden erworben hat, gilt Edmund Stoiber als der eigentliche Nachfolger von Strauß. Seit dem letzten CSU-Parteitag, auf dem Waigel höflich in den Vorruhestand verabschiedet wurde, vereint Stoiber die beiden wichtigsten bayerischen Ämter in einer Person.

Zweifel an Stoiber gibt es in der CSU, deren nach wie vor bestehende Kraft zur inneren Erneuerung besonders bemerkenswert ist, so gut wie nicht mehr. Ein Wahlergebnis von 93,4 Prozent hätte besser nicht sein können. Nur besonders Waigel-treue Delegierte verübelten Stoiber per Stimmzettel den damaligen Machtkampf mit Waigel um das Amt des Ministerpräsidenten, als der kürzlich verstorbene Streibl wegen der Amigo-Affäre seinen Hut nehmen mußte.

Mit Waigel verläßt ein in seinen zentralen Aufgabenfeldern gescheiterter Politiker die politische Bühne. Als seinen größten Erfolg kann der Schwabe noch die Parteiarbeit verbuchen. Es gelang ihm in den letzten zehn Jahren, die CSU stabil zuhalten, auch wenn sich in der letzten Zeit bereits Stoiber als der heimliche Herr der Partei präsentierte. Seit 1990 machte Waigel 455 Milliarden
Mark neue Schulden in der Bundeskasse und hinterläßt damit eine für künftige Generationen kaum tragbare Erblast.

Unter Waigel zerfledderte das Steuerrecht völlig. Und eine Steuermoral gebe es praktisch nicht mehr, beklagte bereits vor Jahren Michael Streck, der Präsident des Deutschen Anwalt-Vereins. Die größten Fehler des Schwaben liegen in den beiden von ihm zu verantwortenden Währungsunionen. Die Teilnahme an der europäischen Währungsunion schaffte Waigel nur mit einer kühnen kreativen Buchführung. Sein Stabilitätspakt für die neue Währung ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Die Inflationsgefahren für den Euro sind weiterhin nicht von der Hand zu weisen. Erst jetzt erweist sich die wahre Bedeutung eines Waigel-Wortes von 1988, er wolle nicht in Schuhe und Anzug von Franz Josef Strauß steigen. Die dafür erforderliche Größe hatte er nie.

Das wollte auf dem CSU-Parteitag niemand so deutlich sagen. Aber die Zeichen waren unverkennbar. So weigerte sich Waigel, den stets Euro-kritischen Stoiber als seinen Nachfolger vorzuschlagen. Und Stoiber weigerte sich, die unvermeidliche Laudatio auf den scheidenden Parteichef zu halten. Dies mußte schließlich der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Alois Glück, tun. Glück absolvierte einen Spagat ohnegleichen. Er würdigte Waigel, um kurze Zeit danach Stoiber als "stärkste Lokomotive, über die wir für diese Aufgabe verfügen", zu loben.

Was ist nun Stoibers Erfolgsrezept? Der aus dem oberbayerischen Wolfratshausen stammende Politiker, den sie wegen seiner messerscharfen Argumentation auch "das blonde Fallbeil" nennen, besticht durch Fleiß und Detailwissen ohnegleichen. Stoiber, obwohl Strauß ebenbürtig, ist nicht der Typus des wurstigen und stets grantelnden Bierzelt-Akrobaten, obwohl er jede noch so große Halle zu füllen versteht. Sein größter Fehler ist vielleicht die einem Erfolgsmenschen innewohnende Ungeduld.

Besonders mit Verbeugungen vor dem Zeitgeist und linksliberalen Neigungen in der CDU räumte Stoiber bereits in seiner Antrittsrede auf. Die Union müsse Heimat der "bürgerlichen Mitte und der demokratischen Rechten" sein – eine Formel, die der Süssmuth/Geißler-Flügel als reines Gift empfinden dürfte. Für CSU-Ausdehnungsgelüste nach Norden steht Stoiber nicht zu Verfügung. Der "Kreuther Geist" bleibt in der Flasche. Und wie kaum ein anderer Unionspolitiker betont Stoiber die soziale Komponente. Steigende Aktienkurse und gleichzeitiger Abbau von Arbeitsplätzen seien ökonomisch erklärbar. "Aber der Sinn des Wirtschaftens kann sich nicht in Profit erschöpfen", so Stoiber, der vor einer "neoliberalen Ellenbogen- und Egoisten-Kultur" warnt.

Natürlich hat Stoiber das Zeug zum Kanzlerkandidaten der Union, auch wenn sein süddeutsches Temperament im Norden des Landes nicht so gut ankommt. Stoibers Devise lautet: "Bayern halten und Berlin stürmen". Daß die CSU-Alpenfestung in den nächsten Jahren fällt, ist nicht zu erwarten, aber es dürfte ein sehr langer Marsch nach Berlin werden.

 
     
     
 
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