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Befreite Zonen - vertane Chancen

 
     
 
Das "Unwort" des Jahres 2000 ist "National befreite Zone". Das hat wie in jedem Jahr die in Frankfurt am Main ansässige Gesellschaft für Deutsche Sprache entschieden. Dies sei die von Rechtsextremisten gebrauchte "Umschreibung der von ihnen terrorisierten Gebiete und Orte in Deutschland". Über zwei Drittel der Einsendungen hätten sich, so ein Sprecher des Auswahlgremiums, für den Begriff "deutsche Leitkultur
" ausgesprochen. Das dies so ist, zeigt, daß diese Unwort-Wahl, zu der übrigens jeder Bürger seinen Vorschlag einschicken kann, immer noch eine stark links geprägte Veranstaltung ist.

Zu der Wahl des Unworts des Jahres 2000 sind vergleichsweise wenig Unmutsbezeugungen zu vernehmen gewesen. Dabei ist gerade die Wahl in diesem Jahr besonders problematisch. Der Begriff "befreite Zonen" oder auch "autonome Zonen" stammt nämlich gar nicht, wie das Komitee glauben machen will, ursprünglich von den extremen Rechten. Er ist vielmehr eine Erfindung des linksextremen Milieus der achtziger und neunziger Jahre. Dekaden, in denen "Häuserkampf" angesagt war und die Straßen widerhallten von Parolen wie: "Feuer und Flamme für diesen Staat." Mutter aller "Befreiten Zonen" waren nicht Halle-Neustadt, Wurzen oder Eberswalde, sondern der "Freistaat Christiania" in Kopenhagen und das "Autonome Jugendzentrum" (AJZ) in Zürich seit den 70er Jahren.

Die Zürcher Polizei mußte bereits Anfang der 80er einsehen, daß eine wirksame Bekämpfung der Rauschgifthändler nicht mehr durchführbar war, weil sie die Täter, die ins AJZ flüchteten, nicht mehr verfolgen konnte. Die Dealer konnten dort nämlich zu jeder Zeit uneingeschränkt Unterschlupf finden. Eindringende Polizisten wären ihres Lebens nicht mehr sicher gewesen. Unter "befreiten Gebieten", "befreiten" oder "autonomen Zonen" verstand man damals also nichts weniger als rechtsfreie Räume, deren Bewohner unbehelligt von staatlicher Macht nach Gusto schalten und walten konnten, ohne sich an das ansonsten für alle gültige Gesetz halten zu müssen.

Zu Beginn der 80er Jahre breiteten sich diese "Zonen" ins Bundesgebiet aus, so daß faktisch jede Universitätsstadt das zweifelhafte Vergnügen hatte, daß unter dem Vorwand der Verwirklichung alternativer Lebensentwürfe und der autonomen Kulturarbeit solche rechtsfreien Zonen in ihren Mauern eingerichtet wurden. Traurige Berühmtheit erhielten beispielsweise das Freiburger "Dreisameck" das Nürnberger "KOMM", der Berliner "Mehringhof", die Hamburger "Hafenstraße", das Göttinger "Juzi", um nur einige von ihnen zu nennen. In sie pflegten sich gewalttätige Demonstrantengruppen wie der "Schwarze Block" oder auch Einzeltäter zurückzuziehen. Von ihnen aus wurden teilweise generalstabmäßig Demonstrationen per Funk geleitet und umgeleitet oder Gewaltaktionen geplant. Das war die jahrelange Realität der linksextremen "befreiten Zonen", die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte der 80er und der ersten Hälfte der 90er Jahre hatten. Seither sind die "befreiten Zonen" von einst regelmäßig in staatlich subventionierte Kulturzentren umgewandelt worden. Genauso unproblematisch, wie aus Hausbesetzern und Gewalttätern Landes- und Bundesminister wurden.

Seit dem Ende der 80er Jahre wurde Begriff und Inhalt der befreiten Zonen von der linksextremistischen "Autonomen Antifa" immer offensiver angewandt. Im Anschluß an die kommunistisch-stalinistischen Schlagworte vom Ende der 20er Jahre hieß es nun immer öfter "Kein Fußbreit den Faschisten" – und das hieß: Kein Gespräch mit Andersdenkenden, um ihnen "kein Forum zu bieten". Es hieß außerdem, nicht zuzulassen, daß Konservative oder gar Rechte sich irgendwo – und sei es auch nur in einem Hinterzimmer – versammeln konnten oder sogar zum Demonstrieren auf die Straße gehen konnten. "Befreite Gebiete" der "Autonomen", das hieß damals, selbst das Gesetz des Handelns zu bestimmen und andere gewaltsam zu hindern, gleiche politische Rechte in Anspruch nehmen zu können. Wer’s nicht glaubt, der lese die Flugblätter oder die theoretischen Schriften der "Autonomen Antifa" der vergangenen zwei Jahrzehnte. Oder er schaue in das damalige Zentralorgan "Arbeiterkampf" von Jürgen Trittins Kommunistischem Bund (KB), was bis zum heutigen Tag offenbar niemand außer seinen alten Genossen getan hat. Er würde sich wundern …

Noch gut in Erinnerung sind auch die "atomwaffenfreien Zonen", die ebenfalls während der 80er in Studentenwohnheimen oder einigen Gemeindehäusern ausgerufen wurden. Hier war ebenfalls zunächst die Bedeutung eines rechtsfreien Raumes vorherrschend, auch wenn er in jenen Fällen meist eine romantisierende Fiktion blieb. Wenn erst vor einigen Tagen die linke Gazette "taz" erneut Joschka Fischers Wohngemeinschaft in Frankfurts Bockenheimer Landstraße, in der zeitweise Terroristen unterschlüpften, im Sponti-Jargon der Zeit "befreites Gebiet" nannte, dann hat das genau mit diesem Wortsinn des rechtsfreien Raums zu tun. Und nicht nur Häuser wurden damals besetzt, auch Worte und Begriffe. Worte wurden mit Absicht so benutzt, daß sie als politische Kampfbegriffe dienen konnten – oder sie wurden so abgeändert, daß sie ohne viel Aufhebens auch der anderen politischen Seite nützten. Genau dies ist auf dem Weg vom "befreiten Gebiet" und der "atomwaffenfreien Zone" der Spontis hin zur "national befreiten Zone" passiert.

Denn erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre machte sich hierzulande die radikale Rechte den Begriff "befreite Zone" zu eigen. In einem Artikel des nur wenige Male erschienenen Organs der NPD-Studentenorganisation NHB, der "Vordersten Front", ist davon erstmals die Rede. Und auch der "Front"-Autor gebraucht diesen Begriff nicht anders, als es seine Pendants aus der linksautonomen Szene getan haben, nämlich in dem Sinne, in einem gewissen Gebiet selbst das Gesetz des Handelns zu bestimmen, ein Netz von Kneipen, Läden, Buchhandlungen, Kulturorganisationen zu gründen und zu unterhalten.

"Kulturelle Hegemonie" hatte dies der italienische Kommunist Antonio Gramsci genannt. Übernommen wurde dieser Begriff seit 1967 von der französischen "Neuen Rechten". Bewußt oder unbewußt sickerte er auch in die Ideenwelt der politischen Rechten in Deutschland ein. In der Tat wirft dieses Konzept einige grundsätzliche kritische Fragen zu dieser Begrifflichkeit auf. Nur gelten diese Fragen mindestens im gleichen Maße dem linken Sprach-Umfeld, dem sie entstammen. Daß die Gesellschaft für Deutsche Sprache es versäumt hat, die Frage nach diesem Ursprung zu stellen, gehört nicht zu ihren Ruhmesblättern. Es zeigt sich, daß bei der Entscheidung – wieder einmal – politische Korrektheit Vorrang vor einer sauberen Sprachauslegung hatte. Schade um die vertane Chance.

 
     
     
 
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