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Blick über den Tellerrand

 
     
 
Einen Blick über den Tellerrand – sprich die ostdeutschen Landesgrenzen – wagte die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen auch bei ihrem Ostdeutschland-Seminar 2000. Wurd bei den vorausgegangenen sieben Reisen bereits polnisches und litauisches Territoriu beschnuppert, wollte man sich in diesem Jahr noch ein wenig weiter gen Osten wagen un auch auf den deutschen Spuren in Lettland wandeln. Doch zunächst hieß es, Station in Memel zu machen, denn ein Ostdeutschland-Seminar ohne Ostdeutschland ...? Nein, das nu doch nicht! Indiz dafür, daß die von Alfred Nehrenheim, Bundesschatzmeister de Freundeskreis Ostdeutschland
, organisierten und von Volker Schmidt, ehemals Kulturreferen der LO, geleiteten Fahrten längst (zum Leidwesen vieler, die den Sprung von de Warteliste nicht geschafft haben) kein Geheimtip mehr sind, war der stark Teilnehmerzuspruch, lange bevor die Reiseplanungen überhaupt abgeschlossen waren.

Nach den guten Erfahrungen der "Stammbesetzung" vor zwei Jahren, als e erstmals mit der Lithuanian-Airlines von Frankfurt/Main nach Wilna ging, gab es diesma keine Befürchtungen, den Flieger zu besteigen. Das Vertrauen wurde belohnt: Start, Flu und Landung erwiesen sich wiederum als problemlos. Auch beim abendlichen Einchecken in de Memeler Hotels "Godune" und "Lugne" gab es keine unangenehme Überraschungen: Dem Unternehmen Memel, Litauen und Lettland stand nichts mehr im Wege Doch bevor man in die Ferne schweifte, wollte zunächst die Stadt Memel selbst, die ihr Einwohnerzahl seit dem Kriege nahezu verfünffacht hat und mittlerweile gut 200 00 Einwohner zählt, erkundet werden. Über den neu gestalteten Theaterplatz mit de Ännchen-Brunnen und einer kurzen Stippvisite in der Altstadt fand Volker Schmidt (welc Wunder?) als Archäologe schnell den Weg zur Mümmelburg oder, besser, zu dem, was davo übriggeblieben ist und jetzt in äußerst mühevoller und zeitraubender Kleinarbei wieder zu Tage gebracht wird. Vor fünf Jahren stand man schon einmal hier, doch wirklic großartige Fortschritte konnte wohl auch das geübte Auge nicht ausmachen. Die sic anschließende Visite im Simon-Dach-Haus hinterließ da schon einen hoffnungsfrohere Eindruck; Kompliment an den Deutschen Verein, der hier ein rege besuchtes Zentru deutsch-litauischer Begegnung geschaffen hat. Viel hatte man an diesem Tag gesehen, doc das Programm entließ die Teilnehmer noch nicht zum wohlverdiente "Feierabendbier". Auch der Kunst wurde als Novum in diesem Jahr mit dem Besuc eines Klavierkonzerts zum Thema "Bach und Leipzig in Klaipeda" in de Universität Memel gefrönt.

Zu einer echten Geduldsprobe entwickelte sich am nächsten Tag das erstmalig Überschreiten der litauisch-lettischen Grenze bei Mazeikiai, die man über Kröttinge und das Findlingsdorf Mosedis, in dessen "Museum der Steine" über 500 Findlinge rund um die Wassermühle ausgestellt sind, erreichte. Argwöhnisch bewacht vo den Grenzbeamten verharrte man geschlagene zweieinhalb Stunden mehr oder weniger auf eine Fleck, bevor sich der Schlagbaum öffnete. An einer Überlastung des Personals kann e wohl kaum gelegen haben, da gerade einmal zwei Fahrradfahrer in der gesamten Zei ebenfalls Einlaß ins Nachbarland begehrten. Eine zweite neue Erfahrung folgte auf de Fuß: Um weitere zeitliche Verzögerungen bei den Banken zu vermeiden, übernahm Alfre Nehrenheim das Geldwechseln. Doch beim Nachzählen kam manch einer ins Grübeln: nur fün lettische Lat für 20 DM? Kann man einem Schatzmeister der Freundeskreis Ostpreuße eigentlich wirklich trauen? Trotz der Zweifel: Alles hatte seine Richtigkeit: Man befan sich, wie leidvoll festgestellt werden mußte, in einem "Hochpreisland"; billig Urlaube im Baltikum gehören wohl endgültig der Vergangenheit an.

Nach dem ersten Staunen genoß man dann aber doch die Eindrücke in Priekule mit de Anwesen und Erbbegräbnis der Familie von Korff, in Embute, einem der schönsten un interessantesten Orte im Kurland mit den Ruinen der Ordenskirche und der Bischofsburg, in deutschen Kolonistenort Rudbarzi wie auch in Katzdangen mit dem Schloß des Barons vo Manteuffel; vor allem aber in einer der ältesten Städte Lettlands, Hasenpoth. Vom 13 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war die Hansestadt Sitz des Domkapitels de kurländischen Bistums und bis zum 17. Jahrhundert ein wichtiges Handelszentrum mi Seehafen, der jedoch versandete.

Ein Aufenthalt im Memelland ohne Besuch der Kurischen Nehrung? Nein, das hätte selbs Volker Schmidt seinen Leuten nicht antun können. Und auch das Wetter zeigte sich vo seiner besten Seite. Klapperten ziemlich genau vor zwei Jahren zur gleichen Jahreszeit in einem ungeheizten Hotel in Marijampole vor Kälte noch die Zähne, entledigte man sich nu flink seines Schuhwerks und stapfte barfuß über die herrlichen Dünen zum Wasser. Doc wärmende Sonnenstrahlen und ein erfrischendes Fußbad reichten einem Reiseteilnehme nicht aus: Schwups, zog er seine Bahnen in der Ostsee – ganz so wie ihn der lieb Gott geschaffen hat. Auch Volker Schmidt zeigte sich hier von einer ganz anderen Seite Redselig erzählte er – sonst ganz der sachliche Historiker – von persönliche Erlebnissen: Familie Schmidt, einschließlich ihres Mopses, auf der Kurischen Nehrun umringt von frei laufenden, aber doch friedfertigen Wildschweinen, die als Wegezoll Futte verlangten ... (Wer’s glaubt ...!). Letztlich wurde vom Strand Abschie genommen, schließlich war man ja nicht nur zur Erholung da.

Das Thomas-Mann-Haus in Nidden wartete schon auf die Besucher, und – als hätt man sie bestellt – eine echte Überraschung: Quasi als lebendige Geschichtsunterricht saß Prof. Frido Mann, Enkel des Literaten, auf der Terrasse un überarbeitete ein Manuskript. Im Lichte der Abenddämmerung wurde die Rückfahr angetreten. Doch was war das? Große Steine auf der Straße? Nein, leibhaftig stand da die von Volker Schmidt beschriebene Familie Wildschwein und wartete auf Entlohnung. Als wurden schnell die letzten Brot- und Kuchenreste zusammengesammelt und den Wegelagerer durch die geöffnete Bustür dargeboten. Zufrieden grunzend machten die "Streichelschweine" daraufhin den Weg frei. Tags darauf wurde Memel mit Zie Wenden/Lettland verlassen. 17 Kilometer nördlich von Schaulen ein erster Zwischenstop a litauischen Wallfahrtsort, dem Berg der Kreuze. Tausende von Kreuzen de unterschiedlichsten Materialien symbolisieren hier den Unabhängigkeitswillen wie auch die Volksfrömmigkeit der Litauer. Vermutlich stand an dieser Stelle im 14. Jahrhundert ein Holzburg. Das massenweise Aufstellen von Kreuzen begann nach den Aufständen von 1831 un 1863 zu Ehren der Opfer. Von der sowjetischen Besatzungsmacht seit 1961 immer wiede vernichtet, lebte der Kreuzberg nach jeder Zerstörung wieder auf.

Am 7. September 1993 besuchte Papst Johannes Paul II. den Berg der Kreuze und segnet von hier aus Litauen und ganz Europa. Vom Anblick der mindestens 50 000 Kreuze förmlic erschlagen, ging es – nach einem diesmal zügigen Grenzübertritt – weiter zu Schloß Ruhenthal, in der Nähe von Bauske gelegen. Das größte und vollkommenst Barockensemble in Lettland, errichtet nach französischem Vorbild in den Jahren 1735 bi 1769, entstand als Sommerresidenz für Ernst Johann Biron, Günstling der Zarin Ann Iwanowna und nachmaliger Herzog von Kurland. 1795 schenkte Katharina II. das Schloß ihre "Favoriten" (Geliebten?) Graf Subow, später ging es in den Besitz der Grafe Schuwalow über. Seit 1972 wird das Schloß, das im Ersten Weltkrieg als deutsche Lazarett diente, stetig restauriert und zeigt sich heute fast in altem Glanze. Ein Besuc kann – trotz des hohen Eintrittspreises – uneingeschränkt empfohlen werden.

Als Nobelherberge herausgeputzt ist das unweit entfernt gelegene Schloß Mesothen, da um 1800 für Fürst Lieven im klassizistischen Stil erbaut wurde. Das 1944 teilweis zerstörte Schloß wurde bereits in den siebziger Jahren restauriert und diente lange Zei als Jugendherberge. Darf man den Mitreisenden, die es bis ins Innere des nunmehrige Hotels geschafft haben, glauben, ist die Bezeichnung Luxushotel nicht übertrieben. All anderen begnügten sich mit einem Spaziergang durch den gepflegten Park, in dem a Flußufer eine Grabstätte aus dem Ersten Weltkrieg mit der deutschen Inschrift "Hie ruhen 7 tapfere Russen, Aug. 1915" steht.

Nachdem man mit dem "Cesis" in Wenden, eine der ältesten und dank ihre Altstadt mit der Johanneskirche und der Burgruine wie auch dem Neuen Schloß schönste Städte Lettlands, ein durchaus ansprechendes Hotel gefunden hatte, konnte das Abenteue Riga, Hauptstadt Lettlands und größte Stadt des Baltikums, in Angriff genommen werden Unübersehbar sind in der Hansestadt die Spuren und Hinterlassenschaften de jahrhundertelangen Anwesenheit der Deutschen, die die Stadt als Bischöfe, Ordensmeister Bürgermeister und Kaufleute beherrschten. Ende des 18. Jahrhunderts waren 46 Prozent de Einwohner Deutsche und auch 1930 waren es immerhin 13 Prozent. Überwältigende Bauten ha auch der Jugendstil hinterlassen, was Volker Schmidt veranlaßte, Riga als "klein Schwester Hamburgs" zu bezeichnen. Die Begeisterung über die zweifello faszinierende Stadt an der Düna bekam allerdings einen nicht unerheblichen Dämpfer: Fas unbemerkt wurde einer Mitreisenden im Stadtzentrum die Handtasche samt Papieren entwendet und spätestens nachdem eine weitere Mitreisende an der Kasse eines Schnellrestaurants in ihrer Manteltasche eine fremde Hand spürte, war das Maß voll. Auch beim erneuten Besuc am Folgetag konnten diese Erlebnisse nicht so recht abgeschüttelt werden, und so war ma größtenteils mehr mit der Sicherung seines Eigentums als dem Genießen de Sehenswürdigkeiten beschäftigt. Schade!

Von dem Schrecken erholen konnte sich die 44köpfige Reisegruppe beim Besuch in Gasthaus von Dunte, wo ein kleines Museum an den "Lügenbaron Münchhausen" erinnert, wie auch bei der abschließenden Fahrt durchs Memelland. Eine deutsche Bäckere in Kinten, die Vogelfangstation in Windenburg am Kurischen Haff, das idyllisch Moorhufendorf Minge, das herrlich im Delta der Memel liegende Städtchen Ruß, Matzicke mit dem Hermann-Sudermann-Museum sowie Heydekrug vermittelten nochmals unvergeßlich Eindrücke oder waren – mit Volker Schmidts Worten ausgedrückt – wi "Buttercremetorte mit Schlagsahne und mit Baumkuchen unterfüttert". B. G. / M M.

Wer mehr über das Baltikum erfahren möchte, dem sei der ausführliche Baedecke Allianz-Reiseführer Baltikum (mit großer Reisekarte) empfohlen. ISBN 3-87504-566-1 39, 80 DM
 
     
     
 
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