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Bubis contra Walser - ein Held

 
     
 
Die Fernsehkamera schwenkte öfter zu ihm hinüber, so daß der Zuschauer die Reaktionen von Ignatz Bubis auf die Rede Martin Walsers gut verfolgen konnte. Da war zunächst ein leidlich gelöster, fast an ein Lächeln gemahnender Ausdruck zu sehen, der indessen nach und nach zu einer Miene gefror, die an Finsternis nichts übrigließ. Der Schein trog nicht.

Walser war vergangenen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
ausgezeichnet worden für sein literarisches Werk, aber auch für sein frühzeitiges Eintreten für die deutsche Einheit und dafür, daß er "den Deutschen ihr Land wieder nähergebracht hat".

Schon die Auszeichnung Martin Walsers mochte manchen überraschen. Hatte man sich doch schon fast daran gewöhnt, daß unter der Titulatur "unbequemer Denker und Mahner" nur noch solche mit Preisen bedacht werden, welche die "politisch korrekten" Denkschablonen der veröffentlichten Meinung nur um so greller umrissen.

Anders Walser. Er begab sich nicht nur auf das wohl gefährlichste Feld der deutscher Debatten, den Umgang mit der NS-Vergangenheit – das tun viele, indes in wenig aneckender Weise. Was der Schriftsteller Walser jedoch in glänzender Rhetorik verlautete, ist mit "Tabubruch" nur fade umschrieben. Es könnte zum Auftakt der heftigsten intellektuellen Kontroverse Nachkriegsdeutschlands reifen.

Ignatz Bubis jedenfalls ist außer sich: "Leute wie der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey und Ex-Republikaner-Chef Franz Schönhuber sagen es auch nicht anders", schimpfte er tags darauf und gebrauchte dann den Anfang der 90er Jahre in Umlauf gebrachten, vernichtendsten Vorwurf, den man Politikern, Literaten, Intellektuellen oder Journalisten seitdem machen kann: "Das ist geistige Brandstiftung!" Andere prominente Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft schlossen sich der Kritik an, wie der Hamburger Publizist Ralph Giordano und Michel Friedman, Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden – wenn auch in weniger scharfer Form.

Was hat Walser gesagt? Sentenzen wie diese machen die äußerste Brisanz seiner Rede erlebbar: "Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte – so schlimm sie zuletzt verlief – in einem Katastrophenpunkt enden zu lassen." Und, für viele noch empörender: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung ... In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Albtraum. Die Monumentalisierung der Schande. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das ,negativen Nationalismus‘. Daß der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil, wage ich zu vermuten. Wahrscheinlich gibt es auch eine Banalität des Guten." Er möchte verstehen, so der Literat vom Bodensee, "warum in diesem Jahrzehnt die Vergangenheit präsentiert wird wie noch nie zuvor" – und hegt einen schlimmen Verdacht, nämlich, "daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken". Die das tun, nennt Walser "Meinungssoldaten", die "mit vorgehaltener Moralpistole den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen".

Er wird gewußt haben, was nach solcher Rede auf ihn zukommt, und resümierte bitterscharf, daß in den Medien "eine Routine des Beschuldigens entstanden" sei. "Und wenn eine Beschuldigung weit genug geht, ist sie an sich schon schlagend, ein Beweis erübrigt sich da."

Am Ende seiner Dankrede brandete stehender Beifall auf. Der Bundespräsident gratulierte persönlich. Dem Fernsehzuschauer nahmen sich diese Szenen aus, als feierten da mehrere hundert Menschen so etwas wie ihre Befreiung. Offenbar hatte da jemand nur ausgedrückt, was sie alle – fast alle – schon immer fühlten und was sich tief in ihre Seelen gebohrt hatte. Jemand hatte ihre Angst überwunden, "beschuldigt" zu werden.

Wer aber soll, wer kann es fürchten, wenn Deutsche keine Angst mehr haben vor "Meinungssoldaten"? Was steckt hinter der Furcht vor dem Schwinden der "deutschen Angst"? Ist es, daß man die Deutschen schlechthin für Übeltäter hält, die für immer streng gebändigt werden müssen?

Darum wird es gehen in der nun hoffentlich anlaufenden, wichtigsten geistigen Auseinandersetzung im Deutschland des zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Wir dürfen gespannt sein, was da, keineswegs nur in Deutschland, zutage tritt. Es wird ernst.

 

 
     
     
 
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