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Buntes Brimborium überdeckt EU-Frust

 
     
 
Am 1. Januar um 0 Uhr übernahm Österreich offiziell den EU-Ratsvorsitz. Inoffizieller „Auftakt“ war das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Großen Musikver-einssaal – in Anwesenheit von Angela Merkel. Richtig los geht es aber erst in der zweiten Januarwoche. Auf dem Plan für die nächsten sechs Monate stehen mehr als 2000 Sitzungen, die meisten davon in Brüssel. Der Ratsvorsitz bedeutet, daß Österreicher in den Arbeitstreffen den Vorsitz führen – Entscheidungskompetenzen haben sie keine. Wie die Erfahrung lehrt, dürfen große Länder die EU aus Eigeninteresse blockieren, während kleine nicht einmal das können. Trotzdem ist es nicht auszuschließen, daß sich mit Verhandlungsgeschick und neuen Ideen dieses oder jenes bewegen läßt.

Zu den Schwerpunkten wird auf jeden Fall die Balkan-Politik gehören. Es gilt zu entscheiden, ob Rumänien und Bulgarien bereits 2007 oder erst 2008 EU-Mitglieder
werden sollen. Hier wird Bundeskanzler Schüssel zwischen den Interessen österreichischer Investoren und denen der österreichischen Bevölkerung lavieren müssen. Mit Kroatien beginnen die Beitrittsverhandlungen, und mit Albanien soll ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet werden. Härtere Brocken sind hingegen die angestrebte Unabhängigkeit Montenegros, der Status des Kosovo und die neue Verfassung für Bosnien-Herzegovina, denn zwischen der ethnischen Realität und den multiethnischen Zwangsvorstellungen der euro-amerikanischen Politiker-Kaste herrscht ein unlösbarer Widerspruch.

Für die EU-Verfassung selbst ist auch keine befriedigende Lösung in Sicht: Der Spagat zwischen „mehr Bürgernähe“ und einem oktroyierten Zentralismus im Interesse der Hochfinanz kann höchstens zu Scheinlösungen führen. Die Verhandlungen über die EU-Dienstleistungs-Richtlinie und über die Erleichterung des Welthandels leiden unter dem gleichen Syndrom. Dauerbrenner bleiben Arbeitsplätze, Zuwanderung und Kriminalität, wobei Österreich der Korruptionsbekämpfung neue Impulse geben will. Der Nahe Osten ist ohnehin ein ewiger Klotz am Bein, und dazu können noch „ungeplante“ Probleme kommen – man denke an den russisch-ukrainischen Gas-Konflikt. Immerhin gibt es das Internet-Portal des Ratsvorsitzes (www.eu2006.at) diesmal auch auf Deutsch, nicht wie sonst nur auf Englisch und Französisch.

Erstmals hatte Österreich den EU-Vorsitz 1998 inne – unter einer rot-schwarzen Regierung und zwei Jahre vor den „Sanktionen“, die für viele Österreicher eine „Ernüchterung“ brachten. Beim EU-Frust sind die Österreicher mittlerweile europaweit Spitze. So kommt es, daß sich die meisten kaum für die Themen interessieren, die während der Präsidentschaft abzuarbeiten sind oder wären, sondern eher für die Kosten und Nachteile, mit denen die Sache verbunden ist.

Verteilt auf alle Ministerien wird die Budget-Belastung mit 100 Millionen Euro veranschlagt. Dem steht angeblich eine „Umwegrentabilität“ von 150 Millionen gegenüber, die allerdings nur zum geringeren Teil wieder in den Steuertopf zurückfließt. Mit Unbehagen sieht man auch den Sicherheitsmaßnahmen entgegen. Dies betrifft vor allem zwei Großereignisse, nämlich den EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai, zu dem mehr als 55 Staats- und Regierungschefs erwartet werden, und den EU-USA-Gipfel im Juni. Unter den Geladenen finden sich nicht wenige, die als primäre Attentatsziele gelten, weshalb die Bevölkerung in der fraglichen Zeit mit erheblichen Behinderungen zu rechnen hat.

Vor allem aber besteht die Gefahr, daß sich die Regierung primär um die EU und zuwenig um Österreich kümmert. Die Doppelbelastung wird verschärft durch den Wahlkampf für die spätestens im Herbst fälligen Parlamentswahlen. Schüssel verfügt derzeit nur über eine wackelige Mehrheit, und im Bundesrat nützen SPÖ und Grüne ihre bei den jüngsten Landtagswahlen errungene Mehrheit zur Verzögerung von Gesetzesvorlagen. Und je geringer die Chancen der Regierungsmitglieder werden, nach den Wahlen im Amt zu bleiben, um so größer wird auch die Versuchung, nach einer „Absprungbasis“ Ausschau zu halten.

Natürlich wäre es nicht Österreich, wenn es nicht schon vorweg einen „Kunstskandal“ gegeben hätte, konkret wegen zweier „Werke“ im Rahmen der Aktion „Europart“. Die „Pornographie“ wäre in anderem Zusammenhang, etwa in einem Satire-Magazin, kaum aufgefallen. Zum Skandal wurden die Geschmacklosigkeiten erst dadurch, daß für die öffentliche Zurschaustellung öffentliche Gelder mißbraucht wurden – und daß dies vom Bundeskanzleramt zunächst sogar abgestritten wurde. „Widerlich“ ist für manche Leute aber, daß die SPÖ mit ihrer massiven Kritik an solcher „Kunst“ auf gleicher Linie wie die FPÖ liegt! Nun, in jeden Fall helfen Skandale, das Volk von realen Problemen abzulenken.
 
     
     
 
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