A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Das Geheimnis des Einhorns

 
     
 
Alle Fabelwesen sind der menschlichen Phantasi entsprungen. Realiter hat sie es nie gegeben. Dennoch sind sie seit Urgedenken in de Mythen der Völker existent, und in manchen Träumen schaffen wir sogar neue, die auße dem Träumenden niemand gesehen hat noch je sehen wird. In ihrer langen Geschicht fungierten Fabelwesen sowohl als Feindbilder wie auch als Wächtersymbole, einzelne wurde zu hohen Idealen stilisiert. Zu Letzteren zählt das Einhorn. Kein anderes Fabeltie strahlt solchen märchenhaften Reiz aus, ist so schön. Ob auf Gemälden, Gobelins, als Skulptur – stets tritt es in anmutiger Bewegung in Erscheinung.

Von dem weißen, schmalen Roß mit dem spitzen Stirnhorn wird bereits in antike Schriften berichtet, und zwar als springlebendiges Geschöpf der Natur; man wollte ebe glauben, dem Märchenroß leibhaftig begegnen zu können. – Für gleiche Erwartun steht heute die schottische Nessie im Loch Ness. – Namentlich wird das Einhorn in Alten Testament im Buch Hiob (39,4–11) erwähnt. Im Hebräischen wird das Tie "Rem" genannt. Bei der Übersetzung der Schrift ins Griechische erhielt es die Bezeichnung "Monoceros"; Luther wiederum gab ihm bei der Übertragung der Bibe ins Deutsche den Namen "Einhorn". Und dabei blieb es bis auf den heutigen Tag.

Das einzige auf Erden anzutreffende Tier mit nur einem Horn ist das indisch Panzernashorn, von ihm ließ sich jedoch Phantasie nie beeindrucken. Die Tatsache, da nirgendwo ein Einhorn gesichtet worden war, hinderte die Menschheit nicht, die real Existenz des Fabeltieres als gegeben anzusehen, nach ihm in tiefer Waldeinsamkeit zu jagen. Das erwies sich als schwierig, denn das scheue Tier – diese Barriere baute de Mythos
ein – konnte nur zu Füßen einer Jungfrau gefangengenommen werden, es wurd von ihrer Unberührtheit magisch angezogen. – Mythos und Symbolik der "Dame mi Einhorn" werden später geschildert.

Bei der Jagd ging es vornehmlich um das Horn, dem wundertätige medizinische un talismanartige Eigenschaften zugesprochen wurden: Es sollte Wasser reinigen können; all Tiere des Waldes tranken nur aus einer Quelle, in die das Horn getaucht worden war Darüber hinaus sollte die Hornsubstanz Gift in Speisen und Getränken erkennbar machen Kein Wunder, daß sich Könige und die Reichen dieser Welt um den Besitz eines Horn mühten. Und sie erhielten es auch. Umsichtige Kaufleute machten es möglich. Sie brachte den spiralig gefurchten, meterlangen Stoßzahn des Narwals oder "See-Einhorns" auf den Markt und schrieben ihm kurzerhand die Wunderkräfte des geheimnisvolle Einhorn-Horns zu. Ob der Ähnlichkeit der Hörner und weil gegen Phantasiegewalt kei Kraut gewachsen ist, wurde das weltweit geglaubt.

Viele dieser Hörner gelangten in den frühen Jahrhunderten in die Schatzsammlungen vo Schlössern und Kirchen. Die Markuskirche in Venedig besitzt drei solcher Hörner, und de Stolz des Victoria-und-Albert-Museums zu London ist ein mit romanischen Schnitzereie verziertes Narwalhorn.

Wohin der Wunderglaube führte, gibt eine englische Legende wieder. König Jakob I (1566–1625) ließ Einhornpulver in ein vergiftetes Getränk mischen, das sein Diene probieren mußte. Stracks fiel dieser tot um. Der König sah sich getäuscht, schäumt vor Wut ob des Preises, den er für das Horn gezahlt hatte und gab – diktatorische Mentalität entsprechend – dem Diener die Schuld, gestorben zu sein. Noch bis zu Revolution von 1789 war es Praxis am Hof der französischen Könige, das Horn zum Nachwei von Gift zu verwenden, besaß man davon nur einen Span, tunkte man diesen selbstverständlich kostbar gefaßt, ins Essen und in Getränke. Als Schadensabwehrzauber als Talisman wurden Einhornsplitter zu Schmuck gestaltet und Tag und Nacht am Lei getragen. Die Überzeugung von den Heilkräften des Horns ließ die Pharmazeuten täti werden, das Einhorn avancierte zum Namensgeber und beliebten Ladenschild der Apotheken Kein Mensch wollte daran erinnert werden, daß der scholastische Gelehrte und Bischo Albertus Magnus (1193–1280) einst geraten hatte, das Horn gründlich zu untersuchen.

Der Siegeslauf des mythischen Horns hielt an. Sogar in die Heraldik wurde e aufgenommen. Auf Wappen (im britischen Wappen das Symbol für Schottland), Schilden Münzen triumphierte das Einhorn. Ende des 14. bis Ende des 16. Jahrhunderts war e Wasserzeichen edlen Papiers: "In reinem Wasser geschöpft", ei Qualitätsnachweis. Als Druckerzeichen, Verlagssignet fand das Einhorn in Deutschland noc im 20. Jahrhundert Verwendung.

Kehren wir ins Mittelalter und seiner Interpretation des Einhorns zurück. John Cherr schrieb dazu: "Da das Einhorn nur von einer Jungfrau gefangen werden konnte, wurde e niemals zusammen mit einer Frau, die sexuelle Erfahrungen besaß, dargestellt." Da könnte erklären, warum das Einhorn "zum Symbol eines keuschen und enthaltsame Lebens wurde". Man ging sogar so weit, das Fabeltier mit Christus in Verbindung zu setzen. Der heilige Basilius (um 330 bis 379), Bischof von Caesaria, äußerte, daß Jesu "der Sohn des Einhorns genannt wird, weil das Einhorn, wie wir aus Hiob ersehen, vo unwiderstehlicher Macht und dem Menschen nicht unterworfen ist". Die Legende, daß e die Wildheit verliere, wenn es sein Haupt in den Schoß einer Jungfrau lege, wurde au Maria übertragen. In spätmittelalterlichen Darstellungen erschien es oft anstelle de Verkündigungsengels. Die Reformation lehnte die Verquickung des Einhorn-Mythos mit de christlichen Lehre ab. Gleichzeitig mit der Keuschheitssymbolik war im Mittelalter auc eine weltliche Interpretation in Umlauf, die im "Einhorn mit Dame" de "Triumph der irdischen Liebe" zu entdecken glaubte. Diese Doppeldeutigkei verlieh dem Einhorn irisierende Faszination. Und so ging es in die Kunstgeschichte ein.

Unter den unzähligen Darstellungen gilt als eine der berühmtesten eine Serie Gobelin aus dem 15. Jahrhundert im Cluny-Museum in Paris. Auf einem der sechs Gobelins sitzen Dam und Einhorn auf einer Blumenwiese, werden von aus Himmelsbläue niederfallenden Blüte überrieselt, ein Früchtebaum schüttelt die Zweige. Die kostbar geputzte Dame hält de Einhorn einen Spiegel entgegen, in dem es seinen Liebreiz wahrnimmt. – 1906 schuf de Amerikaner Arthur Bowen Davies sein Gemälde "Unicorns". In elysische Landschaft am Meer ziehen drei Einhörner den beiden wartenden Frauen entgegen, mit Blume werde ihre Hörner bekränzt werden. Eindeutig erotischen Charakters sind zwei Bildwerk in der Engelsburg zu Rom, entstanden um 1500. Die Damen zeigen sich zur Gänze entblößt in spielerisch-lasziver Gebärde mit dem Einhorn.

Verständlicherweise inspirierte das Fabeltier die Dichter. Wolfram von Eschenbach nah es in seine Parzival-Erzählung auf. Rainer Maria Rilke huldigte ihm in einem Sonett vo 1923: "Oh dieses Tier, das es nicht gibt / Sie wußtens nicht und habens jeden Fall / sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals, bis in des stillen Blickes Lich geliebt." Merkwürdige Zeilen widmete ihm Garcia Lorca: "Durch das klein Gäßchen kommen sonderbare Einhörner. Welchen Feldes, welchen Mythenwaldes sin sie?"

Ja, wo entstand ihr Mythos? In Persien wurden sie als Sinnbild des Mondes verehrt; in China wurde das schimmernde Roß "Quilin" genannt und vereinigte in sic männliche und weibliche Natur. In Indien existierte das Einhorn mit dem Name "Karkadann", die Spitze des Horns leuchtete purpurrot. Durch alle Mythe geisterte das Einhorn als scheuer Einzelgänger, versehen mit wundersamen Kräften überall liebte man es; Edward Topsell drückte es 1610 in "Historie of Foure-Foote Beastes" treffsicher aus: "Gott selbst muß getadelt werden, falls es kein Einhörner gibt."

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Vierbeiniger Held

Privileg mit Ohren

Wissenschaft und Publizistik

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv