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Das Leiden nicht vergessen Die Standortfrage eines zentralen Denkmals für Flucht und Vertreibung sorgt für Streit Doro Radke

 
     
 
Oberschleißheim – Seit Ende Mai sorgten Presseveröffentlichungen in München und Nürnberg für große Verwirrung um den Standort eines "zentralen Denkmals für Flucht und Vertreibung". Diese Gedenkstätte sollte nach einem Beschluß der Bayerischen Staatsregierung in Nürnberg errichtet werden. Nunmehr löste dieser Plan bei großen Teilen des Nürnberger Stadtrats und der Bevölkerung
eine Protestaktion aus. Weder der ursprünglich geplante Standort des Monuments auf dem Hauptmarkt in Nürnberg noch an einem anderen Platz innerhalb der Altstadt wurde von der Allgemeinheit akzeptiert. Auch die Empfehlung einer zwölfköpfigen Jury, dieses Denkmal am Sebalder Platz aufzustellen, fand ein negatives Echo. Vor allem protestierte der Pfarrer an der Sebalduskirche, Gerhard Schorr, dagegen: "Aus grundsätzlichen Erwägungen" lehne er es auch für andere Standorte in Nürnberg ab. Es müsse inhaltlich "über Sinn und Unsinn" eines solchen Denkmals diskutiert werden: "Ich persönlich halte ein Denkmal dieses Inhalts an jeder Stelle der Stadt für deplaziert. Die Vertreibung der Deutschen aus den osteuropäischen Ländern während des Dritten Reiches war die Folge der mörderischen Kriegspolitik des Naziregimes." Nürnberg als Stadt "furchtbarer Judenpogrome", der "Reichsparteitage" und der "Rassengesetze" stünde ein "Mahn- und Sühnemal" viel besser zu Gesicht, das an die Vertreibung und Deportation der jüdischen Bürger im Lauf der Jahrhunderte erinnert. Diese Äußerung rief inzwischen Empörung und Verbitterung bei vielen evangelischen Heimatvertriebenen in Bayern hervor, weil hier die herabwürdigende Nichtachtung von Millionen unschuldiger ostdeutscher Flucht- und Vertreibungsopfer zum Ausdruck komme. Aufgrund der ablehnenden Haltung der Stadtväter und Bürger der Frankenmetropole kam als Standort der Vertriebenengedenkstätte – für die Ministerpräsident Stoiber 800 000 DM aus dem Programm "Offensive Zukunft Bayern" zur Verfügung stellte – auch München ins Gespräch. Erwägungen, einen Platz zwischen Staatskanzlei und Innenministerium oder im Hofgarten der Münchner Residenz zu wählen, fanden indessen auch in München keinen Anklang. "Ohne öffentliche Diskussion", so erklärte Stadtsprecher Florian Sattler, würde seiner Meinung nach die Gedenkstätte nicht errichtet werden können.

Nach Aussage von Staatskanzleisprecherin Dorothee Erpenstein würde die Standortfrage in München erst dann aktuell, wenn in Nürnberg keine Einigung erzielt werden könne. Die Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern schlug nunmehr vor, das bereits bestehende – 1984 von Ministerpräsident Franz Josef Strauß eingeweihte – "Mahnmal Flucht und Vertreibung" als aussagekräftige Gedenkstätte, die an die Leiden von Flucht und Vertreibung erinnert, gleichzeitig aber auch zu Frieden, Versöhnung und Völkerverständigung mahnt, auszubauen. Dies entspräche auch einer Anregung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom Februar dieses Jahres, das Oberschleißheimer Mahnmal einer "Grundsanierung" und einer "attraktiveren Ausgestaltung" zu unterziehen, wobei insbesondere die "Übermittlung seiner Botschaft" u. a. durch Informationstafeln und eine der Gedenkstätte angegliederte professionelle Dokumentations-Ausstellung verdeutlicht werden müsse. In diesem Zusammenhang wurde inzwischen eine Überdachung des im Mittelpunkt des Mahnmals aufgestellten historischen Pionierlandungsbootes, das in der Endphase des Zweiten Weltkrieges zur Rettung unzähliger Flüchtlinge eingesetzt war, in Erwägung gezogen. Bauvorschläge des bekannten Architekten Günter Kliche – der gebürtiger Königsberger und mit dem tragischen Geschehen seinerzeit eng verbunden ist – liegen bereits vor. Danach sollten in Anpassung an die Glas- und Stahlelemente der benachbarten Bauten der Luft- und Raumfahrtabteilung des Deutschen Museums durch Erweiterung der bestehenden Mahnmal-Gedenkmauern Trägerelemente für eine konservierende lichtdurchlässige Überdachung des geschichtsträchtigen Bootes geschaffen werden.

Da zur Zeit das Dach des angrenzenden Wirtschaftsgebäudes der Stiftung saniert und für eine spätere Nutzung des Dachbodenraumes vorbereitet wird, könnte dieser zu einer Begegnungsstätte und zu einem Dokumentationszentrum "Flucht und Vertreibung" ausgebaut werden. Eine erste Dokumentation zu dieser Thematik ist zur Zeit in den Depot-Ausstellungsräumen des gegenüberliegenden Gebäudes behelfsmäßig untergebracht; sie könnte unschwer verlagert und erweitert werden. Diesen Vorschlägen liegt die Erwägung zugrunde, ob nicht im Rahmen einer "zentralen Gedenkstätte Flucht und Vertreibung" eine "anschauliche" aussagekräftige und informative Dokumentation zweckmäßiger wäre als nur eine symbolische Darstellung durch ein künstlerisch abstrakt gestaltetes Monument. Zu diesem Zweck wurde bereits am 8. Mai dieses Jahres am Mahnmal in Oberschleißheim ein sieben Tonnen schwerer Findling aus Niederbayern aufgestellt und mit einer Bronzetafel versehen, die auf Sinn und Zweck des Mahnmals hinweist. Die Inschrift der Tafel lautet: "Zum Gedenken der Toten aller Kriege und der Opfer von Flucht und Vertreibung in aller Welt / Zum Gedenken auch jener, die Leid und Not der Vertreibung durchstanden, sich nicht entmutigen ließen und sich aktiv für den Wiederaufbau sowie für die Wahrung und Einbringung des geistigen und kulturellen Erbes ihrer Heimat einsetzten und die heute nicht mehr unter uns sind. / Zugleich als Mahnung und Verpflichtung zum Frieden, zur Versöhnung und Verständigung unter den Menschen wie unter den Völkern!" Diese Sinngebung für die Oberschleißheimer Gedenkstätten – und hier wäre das 1995 in unmittelbarer Nähe des Mahnmals vom Kuratorium ehemaliger ost- und westpreußischer Verbände – Heer, Luftwaffe, Marine errichtete Ehrenmal für die gefallenen, vermißten und in der Gefangenschaft verstorbenen Soldaten beider Weltkriege miteinzubeziehen – entspricht sowohl den Aussagen von Landtagspräsident Johann Böhm am 8. Mai 1998: Die Erinnerung an die Ereignisse von damals sei gleichzeitig "beständige Mahnung, die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern", ebenso wie die "Bewahrung des ostdeutschen Kulturerbes der Erhaltung der gesamteuropäischen Kultur und dem gemeinsamen Dialog besonders mit Polen und Tschechien" diene als auch den Worten des Leiters der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Prof. Kurt Faltlhauser, der in seiner Würdigung des unlängst auf dem Münchner Waldfriedhof errichteten Gedenksteines für die Toten von Königsberg betonte: "An das besondere Leid und die vielen Toten im damaligen Osten Deutschlands zu erinnern", gebiete die historische Wahrheit. Diese Erinnerung gäbe aber nur Sinn, wenn sie "uns zugleich bleibende Mahnung ist zur Achtung der Menschenwürde, zum nachbarschaftlichen Dialog mit den Völkern des Ostens, zur Wahrung des Friedens in Europa und in der Welt."

 

 
     
     
 
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