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Das Mittelmeer - Ein Raum des Schicksals für Europa und für Deutschland

 
     
 
Bevor das Mittelmeer im Jahre 1896 durch den Suez-Kanal mit dem Indischen Ozean verbunden wurde, hatte es nur einen Ausgang: Gibraltar, auch bekannt als die Säulen des Herakles oder die Kalpe (Urne) der Antike. Nach der von Diodoros von Sizilien überlieferten Sage hatte Herakles hier durch die Zusammenziehung Afrikas und Europas die Breite der Straße verengt, damit "die großen Ungeheuer aus dem Ozean nicht ins Meer kommen".

Der Felsen von Gibraltar hieß bis 711 n. Chr. Mons Kalpe. In diesem Jahr wurde jene als uneinnehmbar geltende Festung von dem Araber Tarik ibn Sijad bezwungen. Fortan hieß sie Gebel als Tarik (Berg des Tarik), woraus Gibraltar wurde.

Von Gibraltar bis zur syrischen Küste beträgt die Länge des Mittelmeeres 3890 Kilometer; an seiner breitesten Stelle, von der Nordspitze der Adria bis zum Südufer der Großen Syrte in Libyen sind es etwa 1850 Kilometer. Das Mittelmeer umfaßt eine Fläche von fast zweieinhalb Millionen Quadratkilometern
.

Die Form des Nordufers unterscheidet sich erheblich von dessen südlicher und östlicher Küste. Die iberische, die italienische und die griechische Halbinsel bilden große Buchten. Die Länge des Nordufers ist daher viel größer als die des afrikanischen. Auffallend ist auch, daß alle großen Inseln des Mittelmeeres geographisch näher am nördlichen Ufer liegen; die größte von ihnen ist Sizilien, gefolgt von Sardinien (Italien) und Korsika (Frankreich). Neben Zypern ist auch Malta ein selbständiger Staat. In Korsika ist eine separatistische Bewegung aktiv, die die Unabhängigkeit der Insel anstrebt.

In der Karte von Anaximandros (611–544 v. Chr.) erscheint die damals bekannte Welt als eine Ellipse, in deren Mitte sich das Mittelmeer befindet; es war der Schauplatz des Geschehens, eben der Mittelpunkt der Erde.

Diese Bedeutung hat das Mittelmeer nicht mehr. Nach wie vor bleibt es aber eine der bedeutendsten Handelsstraßen auf dem Globus. Entsprechend groß sind die Häfen seiner Anrainer. Mit Ausnahme Spaniens und Frankreichs versammeln die übrigen mediterranen Nationen ihre sämtlichen wirtschaftlichen Gravitationszentren mehr oder weniger in der Nähe des Meeres. Die Städte, die an seiner Küste liegen, gehören zu ihren größten Bevölkerungs-, Industrie- und Verkehrszentren.

Für das frühe Altertum war das Mittelmeer eine unüberwindbare Barriere und trug keinen Eigennamen. Die Ägypter mögen hin und wieder seine Ostküsten umschifft haben, aber das Land blieb immer in Sichtnähe; zu richtigen Seefahrern brachten es die Untertanen der Pharaonen nicht. Der Machtschwund des Reiches am Nil schaffte ein Vakuum, das den Phöniziern die Möglichkeit gab, sich um das Jahr 1000 v. Chr. auf das offene Meer zu wagen. Sie verwandelten das Mittelmeer in einen Seeweg, auf dem fortan Waren, Einflüsse und Kulturen hin- und hergelangten. In Nordafrika, in Karthago, gründeten sie ihre berühmteste Kolonie.

Das erste Seereich in Europa war jedoch Kreta, dessen Macht sich auf die ägäischen Inseln und manche griechischen Kontinentalstädte erstreckte. Die Sage von Theseus und Minotaurus zeugt von der Tributpflicht Athens gegenüber Kreta. Die Griechen gründeten die erste Herrschaft auf dem Mittelmeer. Wo sie auch erschienen, brachten sie ihre staatliche Organisation mit, die gleichsam die Summe ihrer Werte widerspiegelte: die Polis. Sie gründeten Kolonien, die zugleich Handelszentren und militärische Garnisonen der Mutterstädte waren. Das Hinterland ihrer Kolonien blieb aber für die Griechen mehr oder weniger Terra incognita. Das Mittelmeer nannten sie einfach "unser Meer".

So saßen die Griechen rings um das Mittelmeer, wie die Frösche am Teich, bis die Römer aus dem Hinterland kamen und sie ins Meer warfen. Aus "Unser Meer" wurde so das "mare nostrum" oder nach Christi Geburt das "mare internum" (Binnenmeer). Erst der Römer Solinus nannte das Mittelmeer im 3. Jahrhundert n. Chr. "mare mediterraneum", Mittelländisches Meer, und dabei blieb es bis heute. Mehr als zwei Jahrtausende blieb so das Mittelmeer in europäischer Hand, denn die Herrschaft der Römer ging nach dem Abflauen der germanischen Völkerwanderung auf Byzanz über. Es blieb fest in ihrer Hand, bis der Islam kam. Nachdem die Muselmanen den Nahen Osten und Nordafrika überflutet hatten, tauchten sie mit eigenen Flotten im Meer auf. Trotz aller zeitgenössischen Verniedlichungen: Der Kampf zwischen Byzanz und den islamischen Reichen war ein Kampf der Religionen. Beide Kontrahenten definierten sich religiös – hie das christliche, da das muslimische Reich. 717/18 belagerten die Araber sogar Konstantinopel. Das war ihr erster groß angelegter Angriff gegen Europa und hatte zum Ziel, über Norditalien und Südfrankreich bis zur iberischen Halbinsel vorzustoßen, wo die Araber bereits 711 n. Chr. gelandet waren. Auch Europa sollte unter das Banner des Propheten gepreßt werden.

Damals, vor Konstantinopel, setzten die Griechen zum ersten Mal das "griechische Feuer" ein und verbrannten die arabische Flotte. Das "griechische Feuer" –seine chemische Zusammensetzung ist ein nie aufgegebenes Geheimnis der Militärgeschichte –sorgte dafür, daß in den kommenden Jahrhunderten das Mittelmeer eine byzantinische Domäne blieb, die den Erben Ostroms erst um die Jahrtausendwende von den italienischen Handelsstädten streitig gemacht werden sollte. Nur Piraten widersetzten sich der byzantinischen Herrschaft. Aus nordafrikanischen Häfen kommend, meistens aus Algerien, entwickelten sie sich zu einer Plage. Betrachtet man alte, kleine Siedlungen um das Mittelmeer, merkt man sofort die Spuren davon: die Dörfer sind an den Hängen gebaut, nicht am Strand, und ihre Straßen sind eng, damit den Seeräubern der Zugang zum Ort erschwert wird.

Byzanz, italienische Handelsstädte und unselige Kreuzritter, die den weltpolitischen Machtanspruch Westeuropas allein auf dem Land bestritten und auch deshalb letztlich unterlagen, rieben sich gegenseitig auf. Bittere Ironie: 1204 zertrampelten die Kreuzritter das in Dekadenz verfallene Byzantinische Reich und lieferten damit das Mittelmeer ausgerechnet den islamischen Flotten aus.

Erst durch den Sieg der Spanier in der Seeschlacht von Naupaktos (Lepanto) 1571 über die Türken kamen weite Teile des Mittelländischen Meeres wieder unter die Herrschaft einer europäischen Macht. Doch seine Geschichte bis dahin lehrte, daß seine Wasser dem gehören, der die beiden Ufer beherrscht. Dies war noch nicht der Fall. Das Osmanische Reich war noch stark und hielt das Ostmittelmeer fest im Griff, die arabischen Staaten wachten über das restliche afrikanische Ufer. Je schneller die Macht der Türken jedoch schwand, desto härter entbrannte nunmehr der Kampf zwischen den europäisch-christlichen Mächten Großbritannien, Frankreich und Rußland untereinander um die Herrschaft über das Mittelmeer.

Noch gemeinsam konnten sie aber 1827 die ägyptische Flotte im Golf von Navarinon auf den Meeresgrund schicken. Es war die letzte große Seeschlacht, die von windgetriebenen Schiffen ausgefochten wurde. Nun gelangte das Mittelmeer, nach fast 600 Jahren, erneut unter die unangefochtene Dominanz europäischer Mächte. Der Wettstreit zwischen ihnen, insbesondere Großbritannien und Frankreich, ging aber weiter, auch wenn die Briten einen relativen Sieg errungen hatten, unter anderem auch, weil sie die Geschichte des Mittelmeeres am besten begriffen hatten: sie suchten stets die "Gegenküste" und fanden sie in Gibraltar, im neuentstandenen Griechenland, an seinem östlichen Ufer, auf Zypern und Malta und in Ägypten.

Das Erreichte verteidigten sie mit großer Eifersucht, denn unter europäischer Herrschaft hörte das Mittelmeer auf, das Kampffeld von Religionen und Kulturen zu sein. Nach der Eröffnung des Suezkanals wurde es zur Hauptschlagader des Empires, die Großbritannien mit seinen fernöstlichen Kolonien, vor allem mit Indien, verband. Die Route von London über Suez nach Bombay ist um 8800 Kilometer kürzer als die um das Kap der Guten Hoffnung. Über diese neue Trasse wurden fortan europäische Macht und kulturelle Einflüsse nach Osten getragen.

Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg griff Deutschland nach dem Mittelmeer. Historisch gesehen war der Griff richtig. In die Enge des Kontinents eingezwängt konnte Deutschland als Großmacht nicht bestehen. Allein, seine Macht reichte nicht aus, um sich bleibend am Mittelmeer festzusetzen; es konnte keine "Gegenküsten" für sich sichern und zugleich die britische und die französische Flotte vertreiben. Hierbei kommt ein merkwürdiger militärischer Fehler hinzu – der gleiche in beiden Weltkriegen! Große, wichtige Städte aller Mittelmeeranrainer waren für die schweren Geschütze der Kriegsschiffe erreichbar. Dies kam einem unwiderstehlichen Diktat gleich. Niemand konnte sich gegen Frankreich und England auflehnen, denn sie übten Herrschaft über das Mittelmeer aus. Italien versuchte es zweimal, war aber nicht in der Lage, seine direkte Gegenküste zu beherrschen – weder Libyen zu halten noch die Briten vor seiner Tür, auf Malta, zu vertreiben.

Eric Manstein analysiert in seinem Buch "Verlorene Siege" diese Problematik für Deutschland. Die Ansicht war wohl vorherrschend, daß die Eroberung des Mittelmeeres die "Lebensader" des Empires zerschneiden und Großbritannien zur Kapitulation zwingen würde. Diese Idee hat sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg die deutsche militärische Planung wesentlich beeinflußt. Manstein verneint die Richtigkeit dieser Idee: der Verlust des Mittelmeeres hätte Großbritannien wohl hart getroffen, aber es kaum auf die Knie gezwungen. Dafür mußten auch andere Voraussetzungen erfüllt werden, die Deutschland einfach nicht erfühlen konnte; so beispielsweise die Unterbindung des Verkehrs um das Kap der Guten Hoffnung oder die Vertreibung der britischen Luftwaffe (Zweiter Weltkrieg) aus der Nähe der Gestade des Mittelmeeres. Für keine dieser Aufgaben reichte die Kraft Deutschlands aus. In beiden Weltkriegen setzte das Ende dennoch nicht am Mittelmeer ein. Dort tauchten aber die ersten Anzeichen auf, daß Deutschland zu schwach war, um die gesteckten militärischen Ziele zu erreichen.

Und trotzdem ist das Mittelmeer auf friedliche Weise in die "Hände der Deutschen" gefallen: der deutsche Tourist beherrscht im Sommer seine Strände. Zudem haben sich sehr starke deutsche Interessengruppen vor allem in den Staaten seines Nordufers etabliert, sei es in Form von Produktionsniederlassungen oder Handelsvertretungen. ()

 
     
     
 
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