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Der Mann mit den traurigen Augen

 
     
 
Der Krieg ging bereits ins fünfte Jahr. Städte wie Hamburg, Köln, Berlin, Dresden lagen in Schutt und Asche. Die englischen Bomber überquerten nun sogar die Nord- und Ostsee und luden ihre todbringende, tonnenschwere Last über Königsberg ab. "Wollt ihr Butter oder Kanonen?!" tönte es aus den Volksempfängern. Welch eine verlogene Alternative! Die Butter war rationiert, und die Kanonen wurden merklich weniger.

"Drei Schuß Dauerfeuer!" So verschafften die Landser an der Front ihrem Galgenhumor Luft. Im Pferde
land Ostdeutschland kaufte die Wehrmacht Pferde auf, die als Zugtiere für Geschütze dienen sollten, denn für die motorisierten Zugmaschinen wurde das Benzin knapp. Obgleich die Sowjet-Armee unweit der deutschen Ostgrenze stand, versprach des Teufels Lügenminister gewissenlos den baldigen Endsieg.

Während meines kurzen Soldatendaseins hatte ich schon so manche schmerzhafte Erfahrung gemacht. Nach meiner zweiten Verwundung und anschließendem Lazarettaufenthalt folgte gottlob der Genesungsurlaub. Danach hatte ich Order, mich bei meinem Ersatzbataillon einzufinden und dort die Abstellung zur Front abzuwarten. Die Zeit in der Kaserne war ausgefüllt mit Exerzieren, Waffenputzen und Wachdienst am Haupttor. Eines Tages traf auch mich die Abordnung zum Haupttor. Plötzlich wurde der eintönige Dienstablauf unterbrochen, als ein junger Leutnant, bewacht von zwei Militärpolizisten, in das Wachlokal geführt wurde. "Gut aufpassen, daß der Feigling nicht wieder ausreißt!" ließ sich einer der Polizisten lautstark vernehmen.

Nun oblag mir die Bewachung eines jungen Menschen, der auf dem Weg zum Kriegsgericht war. Eine zentnerschwere Last auf meinen schwachen Schultern! - Ich konnte seinen traurigen Augen nicht widerstehen und senkte meinen Blick zu Boden. Als der schwere Riegel der Tür, die zum Arrestraum führte, hinter ihm zuschnappte, hatte ich das dunkle Gefühl, der schicksalsschwere Richterspruch über das junge Leben sei schon gesprochen. Was hätte wohl aus dem jungen Menschen werden können? Vielleicht ein Schöngeist, ein Dichter, ein guter Arzt, der Leben rettet, wenn es nicht den verfluchten Krieg gäbe!

Mit einer leichten Handbewegung könnte ich das Schloß öffnen und dem Leutnant die Freiheit wiedergeben. Ich könnte sagen: Er habe Magenkrämpfe vorgetäuscht, mich in die Arrestzelle gelockt, mich überwältigt und wäre geflohen.

Mit diesen quälenden Gedanken um den jungen Leutnant muß ich wohl, über den Tisch gebeugt, eingeschlafen sein. Knobelbecher (Soldatenstiefel), die über den Holzfußboden stolperten, schreckten mich auf und brachten mich in den brutalen Kriegsalltag zurück.Vor mir stand der wachhabende Offizier. Ich sprang auf und machte Meldung: "Gefangener entflohen ..." Bevor ich noch meine Begründung hinzufügen konnte, raste der Wachhabende zur Arresttür, rüttelte heftig am Drücker und beugte sich zum Spion, durch den er die ganze Zelle überblicken konnte. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf und brüllte mich an: "Mann, was faseln Sie da? Wohl böse Träume gehabt - was? Sie wissen doch, was auf Wachvergehen steht! Machen Sie schriftlich Meldung!"

Noch am selben Tag holten die Militärpolizisten den Leutnant zum Weitertransport ab. Zu der Bestrafung wegen Wachvergehens kam es nicht, denn kurz darauf hatte ich schon den Marschbefehl an die Front in der Tasche. Die traurigen Augen des jungen Leutnants lassen mich heute noch nicht los ...
 
     
     
 
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