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Der die Herzen bewegt

 
     
 
Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, sei das Leben des erst 63jährigen Ostdeutschland Ernst Wiechert am 24. August 1950 auf de Rütihof am Zürichsee ausklang. Der Schriftsteller ließ damals eine treue Lesergemeind zurück, die seine zu "Bestsellern" gewordenen Bücher als Orientierungshilfe betrachteten. Ernst Wiechert hat zwischen 1910 und 1950 das literarische Leben in Deutschland mitbestimmt. Wir dürfen ihn längst zu einem Klassik
er der deutsche Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählen. Er verfügte über ein auserlesene Sprachkultur und vermochte feinfühlig seelische Vorgänge zu gestalten.

Seine Wurzeln lagen in den Wäldern Masurens. Diese Landschaft mit ihren Seen, Moore und dem Ruf des Kranichs prägten die Eindrücke der frühen Lebensjahre, aber Wiecher entwickelte sich dank seiner dichterischen Kraft zu mehr als nur eine "Heimatdichter". Das Aufwachsen in Stille und Versunkenheit, sein Einbezogensei in die Welt der Bibel, die Ablehnung von Wohlstandsdenken und moderner Technik spiegel sich auf unübertroffene Weise in den Charakterzügen der Wiechertschen Romangestalte wider.

Als Förstersohn wuchs der am 18. Mai 1887 in Kleinort bei Peitschendorf, Krei Sensburg, geborene Wiechert auf. Schulbesuch und Studium führten ihn nach Königsberg Als Hauslehrer sammelte er manche Erfahrungen für seine spätere erfolgreiche Tätigkei als Gymnasiallehrer (Studienrat) im preußischen Schuldienst. Neben den Erschütterunge des Ersten Weltkrieges mußte er den Freitod seiner Mutter (1912) und der Ehefrau Met (1929) überwinden. Wiechert veröffentlichte seit 1916 Bücher, in die eigene "Mißlingen des Lebens" einfloß. So wie der Autor selbst finden sich die Romanhelden als Suchende in der ihnen gegebenen Welt nicht zurecht.

Nach seiner Verheiratung mit Paula Marie (genannt Lilje) Junker hat Wiechert in Berli und von 1933 bis 1936 in Ambach am Starnberger See gelebt, bevor er sich dann auf Ho Gagert in Wolfratshausen niederließ. Die Landschaft dort empfand er wie die seine ostdeutschen Heimat. Mit seinen Romanen "Die Magd des Jürgen Doskocil" (1932) und "Die Majorin" (1934) gehörte Wiechert zu den beliebtesten Autoren in deutschen Sprachraum. In München hielt er 1933 und 1935 zwei mutige Reden, die versteck Kritik am Nationalsozialismus übten. Fortan den Machthabern unbequem, wurde Wiechert in Mai 1938 verhaftet und für einige Wochen im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt Der Erlebnisbericht "Der Totenwald" (1945) zählt zu den bleibenden Dokumente aus dem Widerstandskampf des Dritten Reiches. Als damals unsere Generation de Verführten, noch nicht zwanzigjährig, das Buch in die Hand bekam, bewirkte es mehr als manche politische Manifestation.

Wiecherts 1939 veröffentlichter Roman "Das einfache Leben" stellt Frage nach dem Sinn unseres Daseins und setzt sich mit Naturerleben und Zivilisationskriti auseinander. Der humanistische Grundzug dieses seinerzeit in hohen Auflagen erschienene Buches vermochte nicht den totalitären Staat zu erschüttern, ließ aber den Lese wissen, wo Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu finden sind.

In redlicher Absicht bezog Ernst Wiechert nach dem Zweiten Weltkrieg mehrfach Stellun zu aktuellen Fragen. Er erwies sich 1945/46 erneut als ein unbequemer Zeitgenosse. Sein Kritik an der Besatzungsmacht und dem Fehlverhalten uneinsichtiger Landsleute wurd mißverstanden. Deshalb verließ der Autor im Juni 1948 Deutschland, um als Emigrant in der Schweiz für sein spätes Schaffen die erforderliche innere Ruhe zu gewinnen.

"Die Jeromin-Kinder" (1945/47) heißt sein Roman über eine masurisch Köhlerfamilie, den uns der Dichter als Vermächtnis an die ostdeutsche Heima schenkte. Unmittelbar vor seinem Tod konnte er noch das Erscheinen der "Missa sin nomie" (1950) erleben. Freiherr Amadeus in dieser "namenlosen Messe" verkörpert die Weltsicht Wiecherts. Er ist es selbst, der uns in dieser Romanfigur mi erschütternder Eindringlichkeit begegnet. Dieses Wiechertsche Requiem bleibt ein Werk de Versöhnung, das christliches Ethos auszeichnet.

Ernst Wiechert ist zeitlebens ein sensibler Einzelgänger geblieben. Er fühlte sic seit seiner Jugend in Königsberg aus dem Paradies der Wälder verstoßen. Manches, was e zu sagen hat, klingt wie das Wort eines Predigers, der in Demut und Ehrfurcht den Wunder der Schöpfung vertraut.

Dieser Dichter hat uns 13 Romane, 50 Erzählungen und Novellen, 40 Märchen, Reden Gedichte, Betrachtungen und Trostschriften hinterlassen. Er setzte stets auf die Kraf seines Wortes, wollte mit seinen Einsichten dem Mitmenschen auf dem Weg in ei sinnerfülltes Leben weiterhelfen. Zu uns spricht stets ein unbestechlicher Zeitzeuge Lediglich seinen Bühnenstücken blieb eine größere Anerkennung versagt.

Wiecherts Erinnerungsbände "Wälder und Menschen" (1936) und "Jahre un Zeiten" (1949) enthalten als Zeit- und Kulturdokumente bleibende Aussagen über de inneren Werdegang eines bürgerlichen Schriftstellers. In dem zuletzt genannten Buc finden wir den Satz: "Ich habe keinen Zweifel daran, daß mit dem Fortschreiten de bloßen Zivilisation viele Grundbegriffe der Kultur sich gewandelt und verflüchtigt habe und gleichsam aus dem Transzendenten in die Materie übergegangen sind." Was uns nu heute an Umweltvorstellungen und Fortschrittsdenken begegnet, vermochte Wiechert vor 5 Jahren nur im Ansatz zu ahnen.

Noch viele Jahre nach Wiecherts Tod gehörten seine Texte zum Lesestoff in Schulbüchern. Sie haben damals mitgeholfen, der jungen Generation seine Maxime zu vermitteln: "Das Stille zu bewahren, das Müde zu erneuern, das Große zu verehren das Leidende zu lieben." Die handelnden Personen in Wiecherts Büchern agieren in einer Zeit und in einem Umfeld, dem heute Heranwachsende nicht selten ablehnend un verständnislos gegenüberstehen. Ist das nicht auch dann ein Problem, wenn man Büche von Wilhelm Raabe oder Theodor Fontane zur Hand nimmt und sich erst einmal in die Gestalten aus einer anderen Zeit einzulesen versucht?

Geblieben ist uns das Gesamtwerk eines Dichters, dessen Bücher nach wie vor ihre Lese finden und Brücken bauen zwischen den Völkern. Dazu trägt wesentlich seit 1989 die Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft e. V. bei, der inzwischen Mitglieder aus siebe Ländern angehören. Besonders eng sind in der letzten Zeit die Verbindungen zu Wiechertfreunden in Polen und Rußland geknüpft worden.

Für uns ist Ernst Wiechert noch immer aktuell, er hat uns als Mensch und Künstle etwas zu sagen. Wir wissen aber auch, daß sein dichterischer Rang umstritten bleibt "Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt." Diese Feststellung des Vater Jakob Jeromin aus Sowirog läßt sich auch mit vollem Recht auf unseren Dichter beziehen Wir sind überzeugt: Ernst Wiechert wird noch im 21. Jahrhundert zu den Autoren gehören deren Kraft des Wortes weltweit die Leser erreicht. Hans-Martin Pleßke

 
     
     
 
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