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Kriegsgefangene: Auf Gedeih und Verderb

 
     
 
Kriegsgefangener - ein Schicksal, das fast jeden männlichen Angehörigen der Kriegsgeneration getroffen hat. Und für viele waren die Erlebnisse in dieser bitteren Zeit schlimmer als das, was sie in den Jahren zuvor an der Front hatten erleiden müssen. Dennoch ist dieses Thema bisher von der Historiographie weitgehend vernachlässigt worden. Diese Lücke in der Geschichts
forschung wird jetzt geschlossen.

Das Internationale Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und seine deutsche Sektion waren am vorvergangenen Wochenende Gastgeber einer internationalen Historikertagung über Kriegsgefangene und deren Heimkehr nach dem Zweiten Weltkrieg, die in der Universität der Bundeswehr Hamburg durchgeführt wurde.

Referenten aus elf Nationen trugen in 19 Referaten zu den Themenbereichen Behandlung durch die Gewahrsamsmacht, Reeducation, Eingliederung in die Nachkriegsgesellschaft, familiäre Integration, Erinnerungsliteratur und zu medizinisch-psychologischen Aspekten der Kriegsheimkehr vor. Die Tagung war in dieser Breite ein bislang einzigartiger Versuch, der wissenschaftlichen Erforschung eines für die Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkrieges charakteristischen Massenphänomens durch einen weltweiten Vergleich neue Impulse zu verleihen.

Kriegsgefangenschaft hat viele Facetten. Dies gilt auch für die Bedingungen der Entlassung und Repatriierung. War es noch im 19. Jahrhundert üblich, Kriegsgefangene gleich nach dem Ende der Feindseligkeiten zurückzuführen, wurde diese Praxis im Zeitalter der Weltkriege zur Ausnahme. Denn mittlerweile hatten die Gewahrsamsmächte den Wert der Gefangenen als Arbeitskräfte, aber auch als Faustpfand bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung erkannt. Auch Rache und "Bestrafung" spielten eine Rolle. Da moderne Kriege in der Regel nicht mehr durch einen Friedensvertrag, sondern durch die totale Niederlage eines der Kriegführenden beendet werden, sind die völkerrechtlichen Bestimmungen über die Entlassung der Kriegsgefangenen nicht mehr anwendbar. Ihr Schicksal liegt vollkommen in der Hand der Gewahrsamsmacht.

Ein Phänomen erst der jüngeren Geschichte ist die Tatsache, daß Kriegsgefangene sich gegen ihre Repatriierung wehren - sei es, weil sich die politischen Verhältnisse in ihrer Heimat gewandelt haben, weil sie dort Verfolgung oder Bestrafung erwarten würde, weil die Heimat durch die Verschiebung territorialer Grenzen mittlerweile zu einem anderen Staat gehört oder weil sie einen persönlichen Neuanfang wagen wollen. So gehört die Selbstverständlichkeit der schnellen Zurückführung der Kriegsgefangenen nach Ende des Waffenganges spätestens seit dem Ersten Weltkrieg der Vergangenheit an.

Dies bekamen besonders die deutschen Kriegsgefangenen zu spüren. Als sie dann endlich zurückkehren durften, mußten sie sich in einer veränderten Gesellschaft zurechtfinden. Dies betraf nicht nur materielle Verluste und Entwurzelung, berufliche Perspektivlosigkeit und gesundheitliche Kriegsfolgen, sondern auch eine durch den "Männermangel" erforderliche Neuordnung der Geschlechterbeziehungen. Auf die heimkehrenden Kriegsgefangenen kam die Aufgabe zu, die deutsche Gesellschaft wieder zu "vermännlichen". Dies wurde oftmals durch traumatische Erlebnisse wie Vergewaltigungen - Beispiel Ostdeutschland -, aber auch durch geschlechtliche Beziehungen deutscher Soldaten zu Frauen in den besetzen Ländern und Beziehungen deutscher Frauen zu den alliierten Besatzern erschwert.

Oft fiel es den heimgekehrten Kriegsgefangenen unter diesen Umständen schwer, ihre Kriegserlebnisse und die Erfahrungen aus der Gefangenschaft zu verarbeiten. Ärzte diagnostizierten häufig charakterliche Veränderungen bei den Heimkehrern, mit denen ihre Angehörigen nicht fertig wurden. Nicht wenige, die Krieg und Gefangenschaft durchgestanden hatten, brachen nach ihrer Rück-kehr zusammen. Sie fühlten sich von ihren Familien und Freunden nicht ausreichend verstanden oder gar ausgegrenzt. So war für viele Kriegsgefangene das seelische Martyrium auch nach ihrer Heimkehr noch nicht vorüber.

Neben den Leiden und Entbehrungen bestimmt das Bemühen der Gewahrsamsmacht, sie zu "Antifaschisten" zu erziehen, die Erinnerung der deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischem Gewahrsam. Diese Bemühungen indes blieben weitgehend erfolglos. Folglich fiel es den westdeutschen Heimkehrern nicht schwer, sich in die antikommunistische Gesellschaft zu integrieren. Diejenigen, die in die DDR entlassen wurden, verhielten sich zumeist passiv. Die Erinnerungsliteratur, die hier seit 1990 entstanden ist, belegt jedoch, daß auch sie gegenüber der Gesinnungsdiktatur in den Kriegsgefangenenlagern weitgehend immun geblieben sind.

Anders verhielt es sich bei den italienischen Soldaten in sowjetischem Gewahrsam. Sie waren für die "antifaschistische Propaganda" eher empfänglich. Dies führte nach ihrer Rückkehr in die Heimat zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen solchen, die sich aus den verschiedensten Gründen mit den Sowjets eingelassen hatten, und jenen, die ihnen widerstanden hatten. Inwieweit die "demokratische Erziehung" der 371.000 deutschen Soldaten in US-amerikanischem Gewahrsam Erfolg gehabt hat, bleibt unter Historikern umstritten. Neueste Forschungen belegen aber, daß die Amerikaner selbst kaum erwarteten, durch die Reeducation einen Bewußtseinswandel bei den Gefangenen herbeiführen zu können. Vielmehr sahen sie in ihr ein geeignetes Mittel, die unzureichend bewachten Kriegsgefangenen, die wichtige Arbeiten in der Industrie und Landwirtschaft zu verrichten hatten, zu disziplinieren.

Ein besonderes Schick-sal erlitten die Elsässer. Für die Sowjets waren sie französische Staatsbürger und damit eigentlich Alliierte, also schlicht Verräter. Entsprechend hart und im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch waren die Unterbringung und Behandlung dieser mehreren tausend Kriegsgefangenen im Lager Tambow. Auch nach ihrer Entlassung in ihre Heimat - der letzte kehrte erst 1955 zurück - blieben diese Männer Anfeindungen ihrer Landsleute ausgesetzt, die bis heute andauern.

Gesellschaftliche Anerkennung blieb auch den Millionen ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener versagt. In den ersten Nachkriegsjahren wurden sie wie Verräter behandelt, die eigentlich den Tod verdient hätten, denen ein gnädiges Vaterland aber Vergebung gewährte. Deshalb wartete nach der Repatriierung nicht etwa die Freiheit in der Heimat, sondern es folgte die verzugslose Wiedereinberufung in Sondereinheiten, Strafeinheiten und Baubataillone, in denen sie sich in mehrjährigem Dienst "bewähren" mußten. Nach ihrer Entlassung blieb ihnen der Zuzug in die Großstädte und grenznahe Regionen verboten, und sie mußten vielfältige Diskriminierungen über sich ergehen lassen. So ist es nicht verwunderlich, daß fast 1,9 Millionen Rotarmisten zur Repatriierung regelrecht gezwungen werden mußten. Nur wenigen tausend gelang es, im Westen zu bleiben. Auch wenn sich nach Stalins Tod die Behandlung der ehemaligen Kriegsgefangenen langsam besserte, blieben sie ihren Landsleuten suspekt. Dies hatte und hat neben der gesellschaftlichen Ausgrenzung auch weitreichende soziale Folgen, da ihnen Renten- und Entschädigungszahlungen bis heute verwehrt bleiben.

Ähnlich erging es auch den repatriierten Ungarn. Insgesamt gerieten bei Kriegsende fast 650.000 ungarische Soldaten und Zivilinternierte in sowjetischen Gewahrsam. Die meisten von ihnen überlebten die Lagerhaft nicht. Der letzte Gefangene kehrte erst im Jahre 2000 (!) heim, nachdem er in einer psychiatrischen Anstalt jahrzehntelang "vergessen" worden war. Die Repatriierten wurden interniert und diskriminiert, um den bei ihnen durch die harte Gefangenschaft gewachsenen Antikommunismus einzudämmen. Diese Ressentiments wirkten bis 1989 fort und hatten gravierende Folgen für die soziale Absicherung der Betroffenen.

Zum asiatischen Kriegsschauplatz: Nach dem japanischen Kodex galt Kriegsgefangenschaft als ehrenrührig, so daß man sich ihr nötigenfalls durch das äußerste Mittel, den Freitod, zu entziehen hatte. Gleichwohl gerieten Hunderttausende Japaner in alliierte Kriegsgefangenschaft, die meisten bei Kriegsende. Selbst zahlreiche Fälle von Fahnenflucht und Überläufern sind dokumentiert.

Die Japaner, die nach der Kapitulation in der Sowjetunion festgehalten wurden, mußten schlimme Torturen ertragen, was starke antikommunistische Gefühle bei ihnen erzeugte. Nach ihrer Entlassung mußten sie indes erleben, daß vor allem japanische Intellektuelle unter dem Eindruck der amerikanischen Hegemonie in Ostasien mit ihren kommunistischen Peinigern offen sympathisierten. So war es für die aus der Sowjetunion Heimgekehrten schwer, sich zu artikulieren. Diejenigen japanischen Soldaten, die dagegen vor der Kapitulation in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten waren, erfuhren nach ihrer Rückkehr eine jahrzehntelange gesellschaftliche Ächtung. Erst in den vergangenen 20 Jahren beschäftigen sich die Literatur und Wissenschaft mit diesem Thema.

Bemerkenswert ist die Verehrung, die den ehemaligen Kriegsgefangenen in Australien entgegengebracht wird. Während der Erste Weltkrieg in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer präsent ist - die Beisetzung des letzten Gallipoli-Kämpfers beispielsweise erfolgte im Rahmen eines Staatsaktes -, findet der Zweite Weltkrieg ungeachtet seiner historischen Bedeutung weit weniger Beachtung. Die Kriegsgefangenen hingegen bilden hier eine Ausnahme. In japanischer Gefangenschaft starben eben- so viele Australier wie an der Front. Ihr Leidensweg ist durch zahlreiche Spielfilme weltweit bekannt geworden. Sie werden als Nationalhelden verehrt.

Bei den Feiern zum alljährlichen Veteranentag kommt den Kriegsgefangenen daher eine besondere Bedeutung zu, und die Burma-Thailand Eisenbahn, bei deren Bau Tausende australischer Kriegsgefangener ihr Leben verloren, spielt eine zentrale Rolle im nationalen Gedenken. Und die Australier haben auch ihren "Arzt von Stalingrad". Doch anders als in Deutschland ist er hier auch heute noch eine äußerst populäre Figur, der an prominenter Stelle ein Denkmal gesetzt wurde.

Australien weist eine weitere bemerkenswerte Besonderheit auf. Hierher sind in den vergangenen Jahrzehnten Millionen von Menschen aus aller Herren Länder eingewandert. Sie haben im Zweiten Weltkrieg unter den verschiedensten Flaggen gedient, und sie alle eint das Erlebnis des Krieges und der Gefangenschaft.

Deshalb hat der australische Gedenktag seinen nationalen Charakter immer mehr verloren. Vielmehr wird aller ehemaligen Soldaten gedacht, die alle auf die eine oder andere Weise Opfer des Krieges gewesen sind.

Dieser internationale Ansatz war auch kennzeichnend für die Hamburger Historikertagung.

Im 20. Jahrhundert waren Kriegsgefangene vollkommen der Willkür ihrer Gewahrsamsmacht ausgeliefert: Bis auf die Haut abgemagerte bosnische Gefangene in einem serbischen Lager 1992. Viele dieser Männer sollten die Rache der "Tschetniks" nicht überleben
 
     
     
 
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