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Der einst hochgeachtete Diplomat Horst Groepper ist tot

 
     
 
Am Abend des letzten Tages des vergangenen Jahres ist in seinem Hause in Bad Godesberg Horst Groepper verstorben. Eine schlichte Todesanzeige in der FAZ und in einem Bonner Lokalblatt war das einzige, was die Öffentlichkeit bisher davon erfuhr. Groepper gehörte dem Auswärtigen Amt von 1938 bis 1973 an, war dreimal auf Posten in Moskau, zuletzt als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, leitete zwischendurch die Rechtsabteilung des Amtes. Nach dem Urteil eines deutschen Diplomaten war er "der große alte Mann der deutschen Diplomatie".

Das Auswärtige Amt
gab nur in einem Internbericht den Tod von Groepper bekannt, und die deutschen Zeitungen schwiegen, einen Nachruf in der Welt vom 11. Januar abgerechnet. Bis in seine letzten Tage war Horst Groepper in treuer Hingabe für sein Vaterland besorgt und mühte sich mit allen seinen Kräften für es, wie es kaum von einem zweiten gesagt werden kann. Dem war er in der Zeit des Chefredakteurs Wellems verbunden, und so mancher Beitrag entstammte seiner Feder.

Sein Lebens- und Berufsweg ist sehr stark von einem eigenartigen Doppelschicksal geprägt gewesen. Es war ein deutsches Schicksal. Persönlich früh und immer wieder erfolgreich, war sein Berufswerdegang bis zum Schluß von schmerzlichem Scheitern begleitet. Das eine war Begabung, Konsequenz, wohl manchmal auch Glück, das andere allein Charakter. Zum persönlichen Erfolgsweg gehörte eine glückliche Kindheit, obwohl die Mutter als Kriegerwitwe in "bedrückend schwerer Zeit" drei Kinder allein aufziehen und für ihre Ausbildung sorgen mußte. Der Vater, ein katholischer Münsteraner, war als Offizier in einem holsteinischen Infanterie-Regiment im August 1914 gefallen. Dies belegt, wie stark das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen vor dem ersten Kriege gewachsen, die Spaltung zwischen Katholiken im Westen und evangelischen Norddeutschen weitgehend überwunden war.

"Der grosse alte Mann der deutschen Diplomatie"

Abitur 1927, Studium der Rechte in Tübingen, Bonn und Münster, Referendarexamen 1931, Assessorexamen in Berlin 1934, beide mit lobenswert (gut), alsbald ins Reichsjustizministerium berufen, 1937 (mit 28 Jahren) Ernennung zum Landgerichtsrat beim Landgericht Münster, schon 1938 aber Anforderung durch das Auswärtige Amt. Von September 1939 bis Juni 1941 zum erstenmal bei der Deutschen Botschaft in Moskau, unter dem "As der deutschen Diplomatie", Graf v. d. Schulenburg. Nach Ausbruch des Krieges in der Protokollabteilung, heiratete er 1944 und meldete sich freiwillig an die Front. 1945 amerikanische, dann englische Kriegsgefangenschaft, entging er mit Glück dem Abtransport in französische Kohlengruben. Im September 1945 war er wieder zu Hause in Münster. Von 1947 bis 1953 dort Rechtsanwalt, dann wieder im Auswärtigen Dienst tätig. 1953 Genf, dann Wien, 1956 als Botschaftsrat zum zweiten Mal an der deutschen Botschaft in Moskau, 1960 in der Bonner Zentrale Europareferat, danach stellvertretender Leiter der Ostabteilung. 1962 bis 1966 an der Moskauer Botschaft, danach bis 1973 als Botschafter in Dublin. Danach lebte er 29 Jahre im Ruhestand, in den letzten neun Jahren mit einem Buch über sein verehrtes Vorbild Bismarck und den Rückversicherungsvertrag mit Rußland be- schäftigt, das er drei Monate vor seinem Tod abschloß.

Reiche Gaben zeichneten ihn aus, und das Glück des Tüchtigen begünstigte ihn. Bis zuletzt im vollen Besitz seiner Geisteskräfte, hatte er mit erstaunlichen Kenntnissen die hohe Fähigkeit, ganze Gespräche in Einzelheiten im Wortlaut noch nach Jahren wiederzugeben. Nach der berühmten Faust-Aufführung trug er dem erstaunten Gründgens ganze Passagen vor, die er vermißt hatte, weil sie gestrichen worden waren. Oft zitierte er seine Lieblingsgedichte Fontanes: den "Dank an die Juden" (die ihm zum 75. Geburtstag gratuliert hatten; die märkischen Adeligen nicht) und "Auf Bismarcks Tod". Schenkendorfs "Erneuerter Schwur" (1814) und Bergengrüns "dies irae" (1945) waren ihm stets gegenwärtig. Ein ungewöhnlich aufmerksamer Zuhörer, schaltete er sich bei jeder Gedankenschwäche ein, immer in verbindlicher Weise, meist in Form einer höflichen Frage. Nie verließ man ihn, ohne für lange Zeit reiche Anregung empfangen zu haben und von der Stärke seiner Persönlichkeit bewegt zu sein.

Indessen - wer die Stationen seines Berufsweges aufmerksam verfolgt, vermutet in der letzten - Dublin, nach Moskau - eine Abschiebung. Und wirklich war es so. Seinem persönlichen Erfolg standen Nichterfolge bei der Lösung der wichtigsten Aufgaben im Beruf gegenüber. Darin nicht nachzugeben, sich nicht auf den bequemen Weg locken zu lassen, war seine Charakterstärke. Tief prägte ihn der Soldatentod des Vaters fürs Vaterland. Nie war für ihn dieses Wort daher sinnleer und nie ohne eine die ganze Person bindende Pflicht. Auf seinem ersten Auslandsposten mußte er "erleben, wie trotz allen aufopfernden Bemühens des Grafen Schulenburg die von der Weimarer Republik mit hohem Geschick geschaffenen Beziehungen zur Sowjetunion in ihr krassestes Gegenteil verkehrt wurden - den Krieg".

Als Botschafter kam er nach Moskau zurück, als, zwischen zwei Perioden der Verhandlungsbereitschaft, sich die sowjetische Regierung in der Wiedervereinigungsfrage völlig versteift hatte. Das kurze Gespräch bei Übergabe seines Beglaubigungsschreibens mit Breschnew zeigt, wie aufrichtig und aufrecht Groepper das gesamtdeutsche Interesse vertrat. Es war damals, noch unter Adenauer, kein Partei- und auch kein Regierungsinteresse.

Als er 1972 bei der Vorbereitung der Verträge von Moskau und Warschau erkannte, daß diese "unserem nationalen Interesse widersprachen und die Verwirklichung unseres Wiedervereinigungsanliegens für die Zukunft nur erschweren konnten", sah er sich außerstande, "an ihrer Ausgestaltung mitzuwirken", und daraufhin wurde der Rechtsabteilung, die er leitete, der Bereich Völkerrecht entzogen. Die Entsendung nach Dub-lin war die Folge, der noch die kränkende Pensionierung vor Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze folgte.

Von da an war Groepper in Vorträgen und Aufsätzen unermüdlich tätig. Er legte immer wieder dar, welche Möglichkeiten unsere Regierung und Parteien besaßen, aber verpaßt hatten, um der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit näher zu kommen. Er warnte vor dem unüberlegten Beitritt zu den europäischen Organisationen, die die Bundesrepublik Deutschland so stark an das Interesse der Westmächte binden würden, das nicht automatisch das unsere war. Bei jeder Station wieder trat er für ein neutrales, dem Westen aber verpflichtetes Gesamtdeutschland ein. Er ging stets davon aus, die Interessenlage der Sowjetunion beziehungsweise Rußlands und der Westmächte zu analysieren. Groepper zitierte westliche Staatsmänner, die die Aufrechterhaltung der deutschen Teilung wünschten, und deutsche, die das - im Gegensatz zum Grundgesetz und zu offiziellen Bekundungen - hinnahmen und dann auch wünschten. Er wies nach, daß insbesondere das weiteste russische Angebot von 1955 nie geprüft wurde, daß die sowjetische Interessenlage weit mehr wirkliches Entgegenkommen erwarten ließ, als von unserer Seite angenommen wurde, daß, in einem Wort, unsere Politiker nie zu denken wagten, wozu sie verpflichtet waren, und deshalb nie imstande, die besondere Lage, in der Deutschland nun einmal ist, zu erkennen und seine wirklichen Interessen zu formulieren und zu vertreten; nicht selten zum Erstaunen der Ausländer. Bei einem Essen wurden ihm von der Gattin eines ausländischen Ministers Elogen über das Ansehen, das Deutschland durch seine wirtschaftlichen Erfolge wieder gewonnen hätte, gemacht. Er antwortete: "Aber wir haben unsere Seele verloren." Da habe sie nicht mehr mit ihm gesprochen.

Nie war er der Auffassung, daß die Wiedervereinigung ein deutscher Erfolg war. Er wußte, und hat es immer wieder gesagt, daß sie nicht mehr gewollt war. Er war ein gläubiger Katholik, der sich nicht scheute, seine Kirche an die nationale Pflicht zu mahnen. Vor wichtigen Entscheidungen sprach er Politiker, Abgeordnete, Kirchenführer an und erlebte meist, daß sie ihr Wort brachen. Das große Glück, daß wir mit Mitteldeutschland wieder verbunden sind, war für ihn unvollkommen, weil unsere Ostgebiete nicht einbegriffen waren. Nach 1994 hat er nicht mehr öffentlich seine warnende Stimme erhoben. Aber unablässig waren seine Gedanken bewegt, um den Boden zu finden, auf dem eine Verhandlung über die Ostgebiete (nie bezeichnete er den jetzigen Osten Deutschlands als Ostdeutschland), besonders den russisch verwalteten Teil von Ostdeutschland, noch einmal möglich werden könne. Nur wenige Monate vor seinem Tod hat er es noch einmal formuliert, mit der gewohnten Gedankenschärfe und Nüchternheit.

Unvergeßlich bleibt das Bild bei dem letzten Treffen vor Augen: ein von Alter, Krankheit und Schwäche gezeichneter Mann, der, seine Hinfälligkeit nicht verbergend, aufrecht steht, mit klaren, aufmerksamen und zugleich gütigen blauen Augen, beherrschtem Ausdruck des Gesichts den Besucher verabschiedet, den er angehört und dem er seine Vorstellung ein letztes Mal klar und knapp dargelegt hat. Wir Ostdeutsche hatten keinen besseren Anwalt. Sein Andenken wollen wir in Hochachtung bewahren. Seine kleinen Schriften zur Deutschlandfrage sollten bald veröffentlicht werden.

Horst Groepper: Ministerialdirigent im Auswärtigen Amt, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau
 
     
     
 
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