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Lebe wohl du wertes Vaterland

 
     
 
Eine Radierung von 1732 kannte jeder Königsberger. Sie zeigte – unter viele anderen Zeichnungen und Stichen gleichen Themas – "Die Ankunft de Salzburgischen Emigranten zu Königsberg in Preußen". J. G. Schreiber hatte si geschaffen.

Was ist zu sehen? In der Ferne hochragende Türme, enge Häuserzeilen, umzingelt vo der Stadtmauer. Über eine endlose verschneite Ebene schleicht der Zug der Geflüchtete ihrer neuen Bleibe zu. Am 31. Oktober 1731 hatte Leopold Anton Freiherr von Firmian Fürsterzbischof von Salzburg, mit dem "Emigrantionspatent" alle über zwöl Jahre alten Protestanten des Landes verweisen lassen. Dies geschah in kaltschnäuzige Außerachtlassung der im Westfälischen Frieden
von 1648 verbürgten Gleichberechtigun von Protestanten und Reformierten mit den katholischen Gläubigen. König Friedric Wilhelm I. gab daraufhin rund 20 000 Salzburgern in Ostdeutschland Siedlungsrecht. Er hat e nie bereut, denn die da seßhaft wurden, bereicherten Kultur und Wirtschaft. Sie ware tüchtig, hatten nicht die Absicht, von Almosen zu leben. Sie kamen sowohl über lang Wanderungen wie auch zu Schiff. Mit 19 Schiffstransporten traten zwischen dem 27. Mai un 8. November 1732 insgesamt 10 780 Emigranten an Land, 11 Landtransporte brachten 553 Salzburger in die Stadt Königsberg.

Trotz aller Pflege und Zuwendungen von Nahrungsmitteln und finanziellen Hilfen starbe bald nach Ankunft viele, darunter 554 Kinder. Die Strapazen hatten sie überfordert. Da galt nicht nur für die Flucht, es galt auch für die Zeit davor. Schauen wir uns davo genauer an. Bei seinem Regierungsantritt in Salzburg anno 1727 schockte Firmian die Zuhörer mit der Verlautbarung, "er werde wie der höchst weise Philipp II. vo Spanien den eingenommenen Thronsitz zur Ehre des wahren Glaubens als einen Platz a Webstuhl betrachten". Die Anwesenden horchten auf. Viele wußten, daß in de Salzburger Gebirgsregionen zigtausend Einheimische der lutherischen Lehre anhingen; die einen heimlich, die anderen offen. An Fimians "Webstuhl" wurde nun ei Leidenstuch für das Salzburger Land produziert. Innerhalb von zwei Jahren wurde Unzählige wegen ihres protestantischen Glaubensbekenntnisses aus ihren Wohnungen Häusern und von ihren Höfen vertrieben; Kinder wurden von den Eltern getrennt zwangsweise zurückbehalten, um sie katholisch erziehen zu können.

Schlichte Bauerngemüter hofften zuversichtlich, im Lande bleiben zu dürfen, wenn si sich offenherzig zum Luthertum bekannten und dem Fürsterzbischof, als dessen Untertanen Treue zusicherten. Gestraft wurden ferner jene, die sich katholisch verhielten, abe protestantisches Gedankengut pflegten. Zu ihrer Erfassung wurden die gefürchtete Religionsexamen eingeführt, denen jedermann unterworfen werden konnte. Diese Verhör dauerten lange: "Nach glaubwürdigen Berichten bis zu 16 Stunden. Steinalte Leut wurden noch dazu herangeschleppt, sie baten oft, man möge es kurz mit ihnen machen. Die Akten wurden schließlich nach Salzburg an die geheime Deputation geschickt, die bestimmt die Strafen; vor allem Geldbußen, Einkerkerung, öffentliche Abschwörung bei feierliche Gottesdienst mit dem Rosenkranz in der Hand, Bußplätzen in der Kirche Nachmittagsunterricht, oft auch Verlegung des Wohnsitzes in die Nähe de Missionsortes" schrieb der Historiker C. Fr. Arnold in "Die Ausrottung de Protestantismus in Salzburg unter Erzbischof Firmian und seinen Nachfolgern".

Manche, die aus dem berüchtigten Salzburger Gefängnis "Kheuche" wieder an Tageslicht traten, bekundeten "dies Leben sei schon Fegefeuer genug; es sei da Sterben". Die Obrigkeit protegierte das Denunziantentum. Folglich versiegte die unbekümmerte Lebensfreude des Salzburgischen Volkes, das freimütige Miteinander schwan dahin, ein arglistiger Zug prägte viele Gesichter.

Doch die Fanatiker feierten Triumphe. Im Namen Firmians wurde am 26. Dezember 1732 ei Schreiben an Papst Clemens gesandt, das in zeitgenössischem klerikalen Stil die Beteuerung enthielt: "Jetzt ist die Zeit gekommen, oberster Hirte der Kirchen un tapferer Vorkämpfer des katholischen Glaubens, daß Dein Herz sich freue und frohlocke in dem Gott Israels: Die Starken sind zunichte geworden, die Spötter zu schanden. De aufrührerische Haufe ist geschlagen, das faule Fleisch abgeschnitten, das räudige Scha aus dem Schafstall getrieben. Unstet und flüchtig sind jene auf Erden geworden, irrend Sterne, denen das Dunkel der Finsternis aufbehalten ist in Ewigkeit. Jene Häretiker mein ich und Anhänger der lutherischen Sekte, die im Juni 1731 plötzlich und unverhofft sic verschworen, die Larve abtaten, mit der sie katholisch zu sein heuchelten ..."

Die grausame, sadistische Verfolgung der Protestanten, endlich die Austreibung galt in damaligen Europa, das vom Geist der Aufklärung ergriffen war, als ein widerwärtiger Ak fürsterzbischöflicher Machtvollkommenheit. Friedrich Wilhelm I. von Preußen droht – als Gegenmaßnahme – seine katholischen Bürger ebenfalls auszuweisen. Doc auch Katholiken waren über Firmian entsetzt. Papst Clemens distanzierte sich von ihm. I Wien forderte Kaiser Karl VI. den Fürsterzbischof wiederholt zu Mäßigung und Milde auf Es hagelte Proteste und Beschwerden auf die Diplomatenschaft in Salzburg nieder. E nützte nichts. In 32 Zügen wanderten die Salzburger nach Preußen, Hannover, Holland England, ja selbst nach Amerika aus, stets das Exilantenlied auf den Lippen, dessen letzt Strophe lautete:

Lebe wohl, du wertes Vaterland,

Dem ich den Rücken hab gewandt!

Gott sei mit dir und auch mit mir!

Ich reis’ in Gottes Schutz von dir.

Die Vertriebenen, die in den preußischen, sächsischen, thüringischen, fränkische Regionen angekommen waren, wurden enthusiastisch empfangen. Als am 30. April und 1. Ma 1732 ein Zug von 843 Emigranten, Lieder der Reformationszeit singend, in Berlin einzog zeigte sich die einheimische Bevölkerung von Mitleid und Bewunderung überwältigt. I Leipzig rissen sich die Bürger am 13. Juni 1732 buchstäblich um jeden einwandernde Salzburger, wollten ihn beherbergen, beköstigen, boten materielle Unterstützung. Al eine Salzburgerin einen Knaben gebar, wurde er in der Thomaskirche getauft. Die Mutte erhielt Kinderkleidung, Bettzeug und Geld geschenkt. Sie meinte, noch nie "so viel Dukaten" besessen zu haben. In Coburg kam es am 2. Juli zu einem triumphalen Einzu der Emigranten. Als sie sich der Stadt näherten, läuteten die Kirchenglocken. De gesamte Rat der Stadt, die Pfarrer, das Schulkollegium, alle Schulkinder und Schwärme vo Zuschauern strebten zum Stadttor. Dort begrüßte der Generalsuperintendent die Ankömmlinge. Hernach zog man gemeinsam zum Rathaus, zur Quartiersverteilung.

Der Weg der meisten Einwanderer aber endete nicht in Preußen, Sachsen, Thüringen Franken. Sie zogen weiter in das ihnen angebotene, unendlich weite Siedlungsgebie Ostdeutschland. Viele wurden unterwegs krank, starben, mußten beerdigt werden. Die jedoc ihr Ziel erreichten, fanden eine Bleibe, die ihrer verlassenen Heimat an landschaftliche Eigenwilligkeit nicht nachstand. Gewiß, die Berge fehlten. Dafür aber gab es Wälder die nie eines Menschen Fuß betreten hatte und es gab eine weißsandige Küste, auf de blaugrüne Wellen ausrollten. Die überströmende Hilfsbereitschaft, die tränenreich Rührung, die den ersten Einwanderungszügen gegolten hatte, wird – man darf e vermuten – gleich anderen Zeiterscheinungen bald verebbt sein. Eines aber blieb: die als selbstverständlich empfundene Pflicht zur Hilfe beim Aufbau einer neuen Existenz.

Bemerkenswertes sei hier eingeschoben. Erstens: 1734 wurden auf Wunsch de Preußenkönigs die in Salzburg zurückgelassenen Güter der Emigranten durch eigen beauftragte Kommissäre verkauft und ihm das Geld zur Neuansiedlung der Emigrante überlassen. Zweitens: Durch Kabinettsorder des Königs vom 27. Januar 1740 wurde die Stiftung "Salzburger Anstalt Gumbinnen" in Ostdeutschland errichtet, ein Fürsorgeeinrichtung für die dort siedelnden Salzburger. Dieser Stiftung flossen – neben Kollektengeldern – finanzielle Mittel aus dem Erlös der in Salzbur veräußerten Güter zu. Zahlreiche Emigranten verzichteten auf die Auszahlung zugunste ihrer alten und hilfsbedürftigen Leidensgefährten. Mustergültiges Beispiel eine Notgemeinschaft. Diese Stifung existiert, zusammen mit dem "Salzburger Verein" noch heute. Allerdings nicht mehr im ostdeutschen Gumbinnen, sondern in de westdeutschen Patenschadt Bielefeld.

Firmian blieb noch nach der Massenaustreibung der Salzburger davon überzeugt, nu einen Teil des Glaubenswerkes vollendet zu haben. Immer neue Überwachungs- un Bespitzelungsmethoden wurden ausgeklügelt. Wer ein Buch erwarb, mußte den Besitz von de Obrigkeit erlaubt und bescheinigt erhalten haben. Für Anzeigen wegen unerlaubte Buchbesitzes wurden Prämien gezahlt. Am sichersten lebten zu Firmians Tagen jen Salzburger, die nachweislich weder lesen noch schreiben konnten. Die Anzahl de konfiszierten und vernichteten Bücher erfüllt noch heute mit Grauen. In manchen Orte gingen ganze Bauernbibliotheken, sorgsam gehütete Schätze ihrer Besitzer, in Flamme auf.

Den wirtschaftlichen Schaden, der durch die Bespitzelung, Entwürdigung und Vertreibun von Grundbesitzern, Bauern, Handwerkern, Kaufleuten im Salzburger Land dem Erzbistu entstanden war, mußte Firmian einkalkuliert haben; das katastrophale Ausmaß de langzeitlichen Folgen hatte sich jedoch offenkundig seiner Vorstellung entzogen. In seine freudlosen Land wurden kaum noch Ehen geschlossen; die Bevölkerungszahl sank rapide. Doc mit all diesem Horror hatten die Vertriebenen nichts mehr zu tun. Sie vergaßen ih Herkunftsland nicht, pflegten weiter ihr Brauchtum, ihre Geselligkeit – und gewanne die zweite Heimat lieb.

 
     
     
 
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