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Deutschland steht vor einem Mentalitätswandel

 
     
 
Viele können die Jahreszahl nicht mehr hören: 1968. Das Jahr steht als Chiffre für eine Generation. Hierüber ist so viel geredet und geschrieben worden, daß sich der ein oder andere am liebsten die Ohren verstopfen würde. So ging es wohl auch Jens Brüning, der ein aktuelles Titelthema des Magazins Focus in seiner Kulturpresseschau für das "Deutschlandradio" rezensierte. Auf fünf Seiten ziehen die Focus-Autoren Michael Klonovsky und Martin Scherer eine Bilanz der 68er. Dieses als Saure-Gurken-Thema des Münchner Wochenmagazins zu bezeichnen war so ungefähr das Dümmste, was Brüning einfallen konnte. Übertroffen wird diese intellektuelle Schlichtheit nur durch die These, bei dem Focus-Artikel handele es sich um einen schwer beleidigten Beitrag. Wer den Text so liest und kommentiert, beweist nur, daß er sich politisch getroffen und entlarvt fühlt. Denn auf wenigen Seiten gelingt es dem Autoren-Duo, die Legenden und Lebenslügen der Protestgeneration so zu beschreiben, wie man es lange nicht gelesen hat.

Zunächst liefern die beiden Redakteure eine Definition: "68er sein bedeutet nicht, Angehöriger einer Generation, sondern Träger eines Zeitgeist
es zu sein, der sich kritisch-antiautoritär-emanzipatorisch gibt und dessen Vertreter sich bei aller karrierebedingten Anpassungsbereitschaft nie von der Idee verabschiedet haben, daß der Kapitalismus das falsche Wirtschaftssystem sei, die Bundesrepublik der falsche Staat und die Deutschen darin das falsche Volk." Diese Verhaltensmuster haben die Revoluzzer von einst bis heute nicht abgelegt. Bundesumweltminister Trittin ließ in seinem offiziellen Briefkopf aus der Zeile "Mitglied des Deutschen Bundestages" das Wort "deutsch" streichen.

Wenn Rot-Grün in wagnerianischer Untergangsstimmung von den Leistungen der vergangenen sieben Jahre fabuliert, kommt dabei häufig nicht mehr heraus als der Verweis auf bestimmte Rechte für gesellschaftliche Minderheiten. Diese "Errungenschaften" mögen positiv oder negativ sein: Ein kohärentes Programm und eine vorzeigbare Leistungsbilanz sieht anders aus. Doch dies verwundert nicht. Denn auch die 68er wußten nicht, wofür sie waren. Sie wußten nur, wogegen: gegen die Familie, den Parlamentarismus, Eliten, bürgerliche Konventionen, Sekundärtugenden und das traditionelle Bildungs- und Erziehungssystem. Ein gewisser Erfolg ist ihnen in dieser Hinsicht auch nicht abzusprechen. Der Generalangriff auf das Leistungsprinzip hat zum Pisa-Debakel geführt. Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg, in denen sich die 68er nicht so breit machen konnten, sind erfolgreicher.

Die seit den 70er Jahren sich ankündigende demographische Kata-strophe ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, daß Ehe und Familie als spießig und reaktionär verzeichnet wurden. Und an dem Beispiel des deutschen Außenministers kann man studieren, daß auch ein teurer Anzug kein Ersatz für eine gute Kinderstube ist, was wohl die Mehrzahl der von Fischer gedemütigten Journalisten bestätigen kann. Die von ihm gedemütigten "Parteifreunde" bei den Grünen sollte man vielleicht vorsichtshalber gar nicht erst fragen.

Auch die Widerlegung von sechs Mythen über die 68er gelingt Klonovsky und Scherer überzeugend. Als erstes die Liberalisierungslüge: 68 bedeutete nach den Worten des Renegaten Gerd Koenen eine "Fundamental-Opposition gegen diese Gesellschaft". Liberal galt als Schimpfwort. Liberale "Scheißer" unter den Professoren durften ruhig in den Selbstmord getrieben werden. Sophie Dannenberg hat in ihrem Roman "Das bleiche Herz der Revolution" die repressiven Züge von 1968 so drastisch wie erhellend beschrieben. Zweitens war mit dem Jahr 1968 auch nicht auf einmal Schluß mit den "restaurativen" Adenauer-Jahren. Die Pille war schon seit 1961 auf dem Markt und erhöhte das Selbstbestimmungsrecht der Frau. 1965 hatten die Stones schon auf der Berliner Waldbühne gespielt und die braven Bürger verschreckt. "Die Apo war Auswurf der Modernisierung, nicht ihr Auslöser", zitiert der Focus den Politologen Franz Walter.

Mythos Nummer drei besagt, die 68er hätten eine ganze Generation vertreten. In Wahrheit haben sie an die 10.000 Menschen eine Stimme gegeben: "Das Etikett 68er scheint eher für eine Clique als für eine ganze Alterskohorte angebracht." Viertens wurde auch die Nazi-Vergangenheit nicht erst 23 Jahre nach Kriegsende "aufgearbeitet". Schon 1946 erschien Eugen Kogons "SS-Staat", bis heute ein Standardwerk über die deutschen Konzentrationslager. Joachim Fest, dessen Buch "Das Gesicht des Dritten Reiches" auch schon 1963 erschien, hat Recht: Die 68er interessierten sich erst für die Hitler-Zeit, "als sie erkannten, daß sich die Nazi-Zeit instrumentalisieren ließ, um Angehörige der älteren Generation aus ihren Posten zu drängen". Wer kennt die Namen Rüdiger Schreck und Klaus Frings? Daß sie wahrscheinlich niemand kennt, entlarvt den Mythos Nummer fünf. Der Tod von Benno Ohnesorg muß bis heute für die These herhalten, daß die repressive Staatsmacht auf die friedlichen Demonstranten mit Gewalt losgegangen sei. "Dagegen sind die Namen Rüdiger Schreck und Klaus Frings - der Student und der Fotograf wurden am 15. April 1968 vor dem Münchner Buchgewerbehaus durch Steinwürfe aus den Reihen der Demonstranten getötet - naturgemäß nicht kanonisiert worden", so der Focus. Und der sechste Mythos von den antiautoritären, freigeistigen und kritischen Revoluzzern wird dadurch widerlegt, daß sie den Personenkult ins Unermeßliche trieben und mit Mao-Bibeln und Plakaten durch die Gegend liefen.

Und die Bilanz? Die 68er ent-deckten die neue Lust am Sex, an der Toskana und an Südfrankreich und am Hedonismus. Die Kosten müssen andere abtragen. Diese Alterskohorte hat noch Vollbeschäftigung erlebt und wird von dem Staat, der ihnen doch immer so verhaßt war, noch eine gute Rente beziehen. Für das deutsche Volk sieht die Sache schon anders aus. Die Deutschen müssen mit dem Mentalitätswandel fertigwerden, der dafür sorgte, daß ihnen die sozialen Sicherungssysteme um die Ohren fliegen, die Demographie kriselt und Leistung geächtet wurde. "Während die Sozialdemokraten ihr Hauptziel, die Reduzierung der Arbeitslosigkeit, dramatisch verfehlt haben, setzen die Grünen ihre politischen Prioritäten in die Tat um: Zuwanderungs- und Staatsbürgerschaftsgesetz, die Homo-Ehe, den Ausstieg aus der Kernenergie sowie, als Rohrkrepierer, das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz", lautet die Bilanz, die der Focus zieht. Dem ist nichts hinzuzufügen.
 
     
     
 
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