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Die Gebeine deutscher Soldaten

 
     
 
Der Volkstrauertag ist eine gute Gelegenheit, einmal innezuhalten und an die Soldaten zu denken, welche einst ihr Leben ließen, um zu verteidigen, was ihnen lieb und teuer war.

Herr Laue, Sie sind im "Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa" zuständig für Ostdeutschland. Wie sind Sie dazu gekommen, in Ostdeutschland nach deutschen Gefallenen zu suchen?

Vor einigen Jahren habe ich Ostdeutschland besucht, weil einige meiner Vorfahren aus Ostdeutschland stammen. Weil ich an Geschichte interessiert bin, besuchte ich auch die Schauplätze der damaligen Kämpfe. Dabei stellte ich fest, daß dort immer noch viele deutsche und russische Gefallene unbestattet liegen.

Und dann sind Sie zu dem "Verein zur Bergung Gefallener" gestoßen. Was ist das für ein Verein?

Er wurde von sieben Leuten aus dem Saarland gegründet. Sie hatten eine Reise ins Gebiet des damaligen Kessels von Demjansk in Rußland unternommen und gemeinsam mit Russen nach ungeborgenen gefallenen Soldaten
beider Seiten gesucht, um sie zu beerdigen.

Sie arbeiten mit Russen zusammen?

Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir meinen, daß wir dadurch auch dazu beitragen, daß sich Russen und Deutsche kennen- und verstehen lernen.

Ihnen geht es offenbar nicht darum, von der Wehrmacht seinerzeit angelegte Soldatenfriedhöfe zu restaurieren, wie es der verdienstvolle Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unternimmt.

Nein; der Volksbund und unser Verein ergänzen sich: Der Volksbund legt die während des Krieges beerdigten deutschen Soldaten auf meist neu angelegten zentralen Friedhöfen zusammen. Wir suchen jene Soldaten, die überhaupt noch nicht beerdigt worden sind, meist Soldaten, die bei den Rückzugskämpfen fielen, oft unbemerkt von den Kameraden, und nicht mehr bestattet werden konnten. Sie wollen wir menschenwürdig zur Ruhe betten.

Wie können Sie diese Gefallenen, von deren Lage kaum jemand weiß, zielgerichtet suchen?

Wir erfahren von Zeitzeugen, wo vermutlich noch unbestattete deutsche Soldaten zu finden sind. Außerdem studieren wir vorher historische Karten, auf denen Verteidigungslinien eingezeichnet sind. Außerordentlich hilfreich sind uns Hinweise von heute in den Gebieten lebenden Russen. Wenn wir auf die damaligen Schlachtfelder kommen, finden wir erstaunlicherweise auch heute nach über 50 Jahren immer noch die Reste von Laufgräben, Schützenlöchern, Geschützstellungen, Unterständen. Inzwischen sind wir so geübt, daß uns der Augenschein sagt: In diesem zusammengeschossenen Unterstand könnten noch Tote liegen. Und deren Überreste bergen wir dann.

Sind Sie berufstätig und unternehmen Sie die Suche in den Ferien?

So ist es. Wir sind alle ehrenamtlich tätig. Unsere Mitglieder kommen aus allen Berufen. Ich zum Beispiel bin Werbekaufmann. Wir bezahlen unsere Arbeit auch aus eigener Tasche.

Werden Sie von irgendeiner staatlichen Stelle unterstützt?

Nein. Wir können unsere Arbeit tun, weil wir private Spenden erhalten.

Was kann man heute nach 50 Jahren noch finden?

In den Laufgräben und Schützenlöchern finden wir immer wieder die Überreste von Gefallenen.

Nur von deutschen? Die Sowjets werden damals doch ihre Gefallenen bestattet haben?

Wir finden sowjetische Gefallene ebenso wie deutsche. Für uns ist es wichtig, daß wir die Gefallenen beider Nationen bergen.

Haben unsere deutschen Gefallenen noch ihre Erkennungsmarken?

Etwa bei der Hälfte der deutschen Gefallenen ist noch eine Erkennungsmarke vorhanden. Leider aber wurden viele Gräber schon von Grabräubern geplündert, die auch die Marken gestohlen haben in der Hoffnung, damit Geschäfte machen zu können. Dann ist eine Identifizierung der Toten nicht mehr möglich.

Was machen Sie mit den Erkennungsmarken?

Wir schicken Sie nach Berlin an die ehemalige Wehrmachtsauskunftsstelle, die heute Deutsche Dienststelle heißt. Dort sind sämtliche Unterlagen über jeden einzelnen Soldaten vorhanden. Man kann aufgrund der Erkennungsmarkennummer herausfinden, wer der Gefallene war.

Und so erfahren die Angehörigen von Ihrem Fund.

Ja, und zwar nicht nur, wenn sie Suchanträge gestellt haben. Die Angehörigen werden ausfindig gemacht und erhalten auch den persönlichen Nachlaß, falls wir etwas davon gefunden haben.

Die Gefallenen, die sie finden, waren also nicht bestattet?

Nein, weder von den Sowjets noch von unseren Truppen. Sie fielen meist in der Endphase des Krieges, als die Verhältnisse verworren waren. Aber begraben waren die meisten, viele von russischen Zivilpersonen. Wir finden auch manche sowjetischen Gefallenen, die nicht beerdigt waren.

Stoßen Sie auch auf tote Zivilisten, also in Ostdeutschland auf gefallene Flüchtlinge?

Ja, durchaus. Da sie keine Erkennungsmarken trugen, kann man sie nur selten identifizieren.

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge?

Wir haben eine Vereinbarung mit dem Volksbund getroffen über unsere Zusammenarbeit. Die von uns geborgenen Gebeine übergeben wir dem Volksbund, der sie auf seinen Friedhofsanlagen einbettet. Sehr gut ist auch unser Verhältnis zur russischen Organisation "Memorial", die sich um die Gefallenen bemüht. Mit "Memorial" stimmen wir unsere Arbeit ab.

Sie haben mehrmals in Ostdeutschland nach Vermißten gesucht. Wie war das Ergebnis?

1996 konnten wir in Ostdeutschland 25 und 1997 sogar 49 Vermißte bergen. 1998 war es unser drittes Lager.

Seit 1992 haben Sie Fahrten nach Rußland, Ostdeutschland usw. unternommen. Ihre Bilanz ist eindrucksvoll.

Wir haben 715 deutsche Soldaten gefunden und 3587 gefallene ehemalige Sowjetsoldaten.

Wie kommt es zu dieser enormen Zahl sowjetischer Soldaten?

Die meisten haben wir im Raume Demjansk gefunden. Dort lagen vor den deutschen Stellungen Tausende gefallener Rotarmisten, die alle nicht beerdigt worden waren. Jetzt haben wir sie gemeinsam mit der russischen "Memorial"-Gruppe geborgen, damit sie auf russischen Ehrenfriedhöfen beigesetzt werden konnten.

Wie geht es mit Ihnen und Ihren Freunden weiter?

Wir wollen unsere Arbeit fortsetzen, und zwar planen wir, weiter in Ostdeutschland zu suchen, in Wolgograd bei St. Petersburg, um Vermißtenschicksale zu klären und deutschen und russischen Soldaten eine würdige letzte Ruhestätte zu verschaffen.

Und alles zahlen Sie aus eigener Tasche?

So ist es, und aus privaten Spenden.

Besteht Ihre Gruppe nur aus Männern?

Zwei Frauen arbeiten auch mit. Unsere in Ostdeutschland tätige Gruppe umfaßt zehn Personen; das ist am effektivsten. Die übrigen Aktiven unseres Vereins sind in anderen Gegenden Osteuropas tätig. Schön wäre es, wenn wir weitere Teilnehmer gewinnen könnten. Übrigens sind auch Schweizer, Franzosen, Belgier und Kanadier bei uns tätig.

Wie können Ihnen unsere Leser helfen – außer mit Spenden?

Wir sind an Informationen interessiert, die gerade von alten Ostdeutschland erteilt werden können, vor allem von solchen, die noch nach Beendigung der Kampfhandlungen in Ostdeutschland gelebt haben. Wir suchen Informationen über Bestattungsorte von deutschen Soldaten und von Flüchtlingen außerhalb der normalen Friedhöfe. Aber auch Informationen über ehemalige deutsche Friedhöfe wären für uns von Wert, welche wir dann an den Volksbund weiterleiten. Für uns aber sind Angaben wichtig, wo etwa die zurückgebliebenen Ostdeutschland gefallene Deutsche begraben haben oder wo sie im Gelände Kreuze gesehen haben oder andere Anzeichen, die auf Gräber schließen lassen. Auch sind Landkarten aus den Kampfgebieten von großem Nutzen für uns, Karten, die sich noch im Besitz alter Soldaten befinden und in die Ruhestätten von Gefallenen eingezeichnet sind.

Wohin kann man sich mit solchen Informationen wenden?

Wer Angaben machen kann oder wer bei uns mitmachen möchte, der sollte an folgende Adresse schreiben: Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa – Ressort Ostdeutschland – Albrecht Laue. Holstenwall 13, 20335 Hamburg.

Herr Laue, wir wünschen Ihnen bei der weiteren Arbeit Ihres Vereins Erfolg.

Das Gespräch führte OB-Autor U. Meixner.

 

 
     
     
 
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