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Die Kraft dankbaren Vertrauens

 
     
 
Vor etwa zehn Jahren geschah es irgendwo auf einem Übungsplatz der Bundeswehr, daß eine scharf gemachte Handgranate aus schreck-lichem Irrtum in die falsche Richtung geworfen wurde. Sie flog in einen Splittergraben, in dem ein Feldwebel mit seinen Rekruten in Deckung gegangen war. Ihre Detonation hätte sicher mehrere dieser jungen Soldaten getötet und die anderen schwer verletzt. Doch blitzschnell warf sich der Feldwebel auf die Granate und wurde von ihr zerrissen. Den Rekruten passierte fast nichts außer dem Schreck und dem Entsetzen über den Tod ihres geschätzten Vorgesetzten.

Als ich dies damals las, stellten sich mir ganz bedrängend drei Fragen: Was mag den Feldwebel in den Bruchteilen von Sekunden vor der Explosion zu seinem Opfer bewogen haben Wie hätte ich in seiner Situation gehandelt? Hat diese Tat das Leben der jungen Leute, das ihnen nun nochmals geschenkt war, verändert?

Vielleicht kennen die Älteren unter uns aus dem Krieg oder die Jüngeren aus dem Berufs
alltag, aus dem Verkehr oder anderswoher ähnliche Erlebnisse, verdanken ihr Leben auch einem, nicht immer tödlichen, Opfer anderer. Leben wir nicht alle mehr oder weniger davon, daß andere Menschen aus Liebe zu uns etwas Schweres auf sich nehmen, wodurch wir entlastet und lebensfähig gemacht werden? Mein Bruder und ich zum Beispiel haben die Jahre 1945 bis 1947 in Ostdeutschland nur deshalb überlebt, weil unsere Mutter uns zuliebe damals Ungeheures aushielt und erduldete.

Unser Leben gleicht einem Schießplatz, wo wir in keinem Graben richtig sicher sind. Von vielen Seiten fliegen Geschosse heran, um uns zu treffen, zu verletzen, auszuschalten. Und wir schleudern, wenn möglich, solche Geschosse gerne zurück.

Uns selbst zugunsten anderer aufzugeben, dazu gibt es nicht von Natur aus die Kraft und Bereitschaft; es widerspricht sogar unserem Selbsterhaltungstrieb. So vergiften böse Gedanken die Luft zwischen uns einzelnen, Gruppen, Parteien, Völkern, Staaten und Blöcken. Und solche Gedanken werden schnell zu scharfen Worten, zu Streit, Gewalt, Kampf, Terror und Krieg. In unsere Feindschaften beziehen wir oft auch Gott ein. Wir hadern mit ihm, weil er die Welt und uns Menschen unvollkommen geschaffen habe. Daß er nicht mit Macht und Gewalt das Böse besiegt, die Welt nicht ideal macht. So leben wir mit Gott und den Menschen im verhängnisvollen Kreislauf von Schuld und Vergeltung, wagen und schaffen es nicht, diesen Kreislauf zu unterbrechen.

Aber Gott hat ihn unterbrochen. Er ist nicht als gefühlloser, untätiger Zuschauer - wie es sie unter uns leider häufiger gibt - im Himmel geblieben, sondern hat das menschliche Verderben nicht mehr mit ansehen können. In Jesus ist er zu uns gekommen, hat sich ohne Sonderrechte an unsere Seite gestellt, hat Haß und Gewalt auf sich gezogen, ohne selbst zu hassen und gewaltsam zu werden. Indem er sich töten ließ, statt zu töten, sich für uns Menschen hingab, statt sie auszunutzen, Diener wurde, statt sich Menschen dienstbar zu machen, hat er Gottes Versöhnung wahr gemacht. An Jesu Leben, Lieben, Leiden und Sterben können wir ablesen, wie Gott zu uns steht, wie er uns Schuldige versöhnt, damit auch wir selber versöhnen können. "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung." - So schreibt der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief, Kapitel 5, Vers 19.

Wenn ich anfangs fragte, ob die Soldaten, denen durch den Opfertod ihres Feldwebels das Leben neu geschenkt wurde, ihren Lebensstil daraufhin umgestaltet haben, so sind auch wir selbst dringend gefragt, wie wir nach Jesu Tod für uns leben wollen. Ob auch wir bereit sind, anderen Menschen zuliebe auf etwas für uns zu verzichten.

Nur selten ist es nötig, daß wir uns für andere völlig aufgeben müssen. Aber immer wieder, täglich ein kleines Stück sollten wir etwas von uns persönlich hingeben, damit anderen ihr Leben etwas leichter, erfreulicher, hoffnungsvoller wird. Sollten vergeben, wie Gott uns vergibt. Aus der Kraft dankbaren Vertrauens zu Gott und in versöhnter Verbundenheit mit den Menschen sind wir zu Hingabe und Liebe fähig und erfüllen so den tiefsten Sinn unseres Lebens und unseres christlichen Auftrags.

Wie gut, wenn wir zu Ostern im Blick auf uns selbst mit Paulus sagen könnten: "Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden."

Böse Gedanken werden schnell zu scharfen Worten
 
     
     
 
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