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Die Wonne des Schöpfungsmorgens

 
     
 
Der Weg wurde immer sandiger; ich stieß mit jedem Schritt gegen mahlende Sandhaufen, die hell und weiß und gläsern glänzend waren. Fremdes Gestrüpp stand da, grau und sparrig oder glänzend und dünn, mit blanken, schmalen, grünen Blättern. Schlingkraut wuchs darin mit lila und gelben Blüten und roch bitter und widerlich. Feines, dünnes Gras glänzte. Bläulichgraues Gras, hart und breit wie Bänder, starrte aus dem Sand. Halbverweht tauchten grauverwitterte Planken daraus hervor. Schwatzen, Lachen, Schreien, Kreischen, Plätschern. Eine lange Reihe hellgrün gestrichener Buden, grell in der Sonne, nach Harz und Leinen dünstend, stand plötzlich vor uns auf hohem Sand, vor dem hitzeflimmernden blauen Himmel.

Eine dicke, barfüßige Frau mit ganz gelben Haaren und einem Gesicht, blank, flach und braun wie eine Flunder, entriß uns Tante Gretchen und ihr Badezeug. Mutter trug mich ein steiles Holztreppchen hinab, durch den mahlenden Sand, an schwatzenden, lachenden Frauen und Kindern vorbei, die in roten und blauen Badeanzügen dasaßen oder auf blendend grellen Laken lagen. Ein paar alte Damen hielten Sonnenschirme aufgespannt. Ein paar Frauen, ein paar Kinder waren in Unterröcken.

Ich hing auf Mutters Arm, hielt sie umklammert, sah Sonne und Menschen und Sand. Und sah dahinter Frauen und Kinder halbnackt oder glänzend blank und bunt, kreischend und plätschernd in einem kleinen Bezirk, eingefriedet wie ein Fohlengarten, in etwas, was viel blauer war als der Himmel, glänzend blank und glitzernd wie ein Fisch, unendlich groß, hoch wie eine Wand, gebreitet wie ein Tuch, wie eine Wiese. Etwas, was aufglänzend mit kleinen verfließend
en Glasstreifen auf den Sand schlug, immerfort.

"Die See!" sagte ich leise. Mutter nickte. Und ich sah fort von dem lockenden Blauen, Blanken in ihre großen, klaren, blauen Augen, als sie mich langsam niedergleiten ließ in den warmen, weichen Sand. Und der Sand, rieselnd, gleitend, immer wieder alle Lücken füllend, sonnenheiß oben und knisternd trocken,

eiskühl und feucht unten, wenn man mit der heißen Hand darin wühlte, spielte mit mir und lenkte meine Gedanken ab wie ein fremdes, spielerisches, warmpelziges Tier. Mutters kleine, feste Hände warfen einen Berg auf, höhlten eine kleine Kaule aus. Immer wieder wollte er weiß und rieselnd zugleiten mit glitzernden Sandwellchen. Immer wieder warf Mutter kleine, graudunkle, gekrümmte, nasse Sandflocken heraus. Ganz dunkel wurde es in der kleinen Kaule, über die wir uns beugten. Es zitterte da unten, es atmete, es glänzte. Ein kleiner Wasserspiegel strahlte mich an. Und ich folgte Mutters Blick von dem winzigen, scheibenrunden, glänzenden Wasserfleck auf die glänzende, riesige Bläue vor mir.

Kinder kreischten am Seil, lagen auf dem Rücken, schlugen mit den Füßen. Weiß und sprühend rauschte es auf. Naßblanke Gesichter mit gelben Kappen tauchten prustend empor; Tante Gretchen, feuerrot und glänzend, winkte mit nassen Armen. Ein kleiner, brauner, nackter Junge lief klatschend dicht vor uns über den festen, nassen Sand. Klapp, klapp. Spannenhoch, gläsern, grün, mit einem Silberperlenrand, glitt das Wellchen vorüber, lief aus im Sand, überspülte seine Füße. Kleine Steine lagen unter flutender Helle, weiße, bläuliche, rötliche.

"Möchtest du in die See?" fragte Mutter. Und während sie fragte, zog sie schon mein rotbuntes Kleidchen über den Kopf, streifte graue Schuhe und klare, weiße Strümpfe ab. Mit einem leisen Schwindel spürte ich die Wärme, das Gleiten, das Scheuern des warmen Sandes an den nackten Sohlen, zwischen den Zehen.

Irgendwo kreischte ein Kind, entsetzt und maßlos. Ich drehte den Kopf fort und sah starr nach Tante Gretchen, die nun rauschend und ein bißchen schwerfällig aus dem Wasser kam, fremdartig, ohne die vielen Kleider, flammend und glänzend. Nun stand sie über mir. Schön roch sie, salzig wie Fische und so kühl. Ja, so roch es hier überall.

Aber ich zitterte doch, als mein kleiner, heißer Körper plötzlich in ihren glatten Armen war. Und ich sah auf einmal Mutter an der kleinen Sandkaule knien, mit dem roten Lackeimerchen neben sich. Ihre Lippen hatten sich geöffnet, ihre Zähne waren zu sehen. Aber sie lachte nicht und sah mich ganz fest an.

Es rauschte um Tante Gretchens Füße, sie atmete ein bißchen schwer, stieß einen leisen Schrei aus: "Oh, die Steine!" Ich sah hinunter. Und ich sah, daß die Bläue plötzlich grün war. Von einem tiefen, bläulichen, lichtflimmernden Grün. Und daß sie atmete wie eine Brust. Kühler als Schnee, lieblicher als Kornblumen wehte es zu mir empor. Es glänzte blendend in zitternd verlaufenden Ringen. Ganz nah waren bunte Kiesel, fein geharkter, seidiger Sand, als das kühle Atmen sich mir entgegenhob.

Jähes Entsetzen überkam mich. Ich wollte fortlaufen durch den Sand, durchs Gestrüpp, die Linden sehen, Minna, den Pregel! Schreien, laut schreien wie der Junge dahinten. Todeskälte zerschnitt mich, Grauen, Versinken in Eiseskühle und weicher Feuchte, entsetzliche Angst, die mich in schnellendem Stoß wieder hochtrieb.

Und als mein kleiner nasser Kopf wieder emportauchte, gurgelnd in halbersticktem, in schallendes Lachen ausklingendem Schrei - ehe Tante Gretchens kräftige Arme mich hastig herausgezogen, ehe ich auf den weichen Sand flog, in ein sonnengewärmtes Badetuch geschlagen und von Mutter auf der heißen, daunigen Wärme hin- und hergerollt wurde, bis ich nichts war als ein glühendes, kreischendes, zappelndes Bündelchen - ja, in diesem Augenblick sahen meine vom Salzwasser klargespülten Augen über der flutenden Feuchte die Herrlichkeit von Blau und aufstrahlendem Grün, von gleißendem Silber, von purpurnem Saum. Sahen den strahlenden Sand am Ufer, die muschelrosige Schwingung der Dünenküste, hinter silbrig grauem Glaskranz weiches Moosgrün der Kiefernkronen, dunkelnde Erlen. Sah ich - während meine kleinen Glieder zappelnd sich breiteten, das Feuchte teilten und schoben, das mich schaukelnd trug - über mir die flimmernde, vor Licht und Wärme bebende Unermeßlichkeit des Sonnenhimmels. Fühlte mein kleiner, fast zerspringender Körper einen Herzschlag lang die Wonne des Schöpfungsmorgens!

In Auszügen aus "Die See", in Agnes Miegel: "Es war ein Land, Gedichte und Geschichten aus Ostdeutschland", Eugen Diederichs Verlag, 1983
 
     
     
 
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