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Die alkoholische Minne zu Ehren Gottes

 
     
 
Beim "Neujahrsbacken" wurde bis 1945 in Orten des Bistums Ermland der Teig mit einigen Tropfen Johanniswein angerührt. Hier, wie auch in anderen Gegenden des deutschen Kulturraums, hatte sich der alte Brauch erhalten, daß am 27. Dezember, dem Festtag des Evangelisten Johannes, in den katholischen Kirchen Wein gesegnet und den Gläubigen gereicht wurde. Eine oder mehrere Flaschen des gesegneten Johannisweins nahm man mit nach Hause, da diesem Wein im Volksglauben heilsame Wirkungen zugesprochen wurden.

Johannes der Evangelist gilt als einer der Schutzpatrone des Weinbaus. In Kirchen berühmter Weinorte findet man oft ein Bild oder eine Skulptur dieses Heiligen. Nehmen wir Rauenthal im Rheingau. In der Turmhalle der spätgotischen Kirche zeigt ein Fenster den Evangelisten mit einem Kelch, aus dem einen Schlange aufsteigt. Wie die Legende erzählt, soll Johannes von einem heidnischen Priester aufgefordert worden sein, vergifteten Wein zu trinken, um die Macht des Christengottes zu erweisen. Als Johannes den Wein trinken wollte, wurde das Gift durch die Gnade Gottes in eine Schlange verwandelt, die so dem Kelche entwich, so daß Johannes durch den Trank keinen Schaden erlitt. Über diesen Legendenbezug kam es zum Weinpatronat des Johannes. Der am Johannistag geweihte Wein hatte für die Winzer entsprechend dem Volksglauben große Bedeutung. In ihren Weinkellern verteilten sie den Johanniswein auf alle Fässer - im festen Glauben, daß nun der Wein vor Verderben bewahrt werde und der Gesundheit derer, die ihn trinken würden, dienlich sei. Bei dieser Bewendung des Johannisweins wird im Brauchtum die Brücke sichtbar zwischen dem Westen und dem Osten unseres Vaterlandes.

Wenn die Gläubigen am Johannistag den geweihten Wein trinken, ist dies ein liturgischer Akzent in der Festfreude der Weihnachtszeit
. Wer die Mythologie unserer germanischen Vorfahren kennt, kann im Trinken der "Johannisminne" unschwer die christliche Überformung einer alten germanischen Kulthandlung erkennen. Bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagte der Priester, wenn er den Gläubigen den Kelch mit Johanniswein reichte: "Bibe amorem Sancti Joannis!" Frei übersetzt heißt das: Trinke und gedenke dabei liebevoll des heiligen Johannes! Denn "amor" steht hier für "Minne". Dieses Wort, das wir aus Begriffen wie Minnesänger und Minnedichtung kennen, geht auf altnordisch "minni" (Erinnerung, Gedenken) zurück. In der Bedeutungsentwicklung hin zum Mittelhochdeutschen wurde dies ein liebevolles Erinnern oder Gedenken, daher die lateinische Übersetzung mit amor / Liebe. Bei den Kulthandlungen der heidnischen Germanen war das gemeinsame Trinken von Met und Bier zu Ehren ihrer Götter sehr wichtig. Die christlichen Missionare erkannten schnell, daß es kaum möglich sein würde, diese Art der heidnischen Götterverehrung zu unterdrücken. Daher bevorzugten sie die christliche Umformung dieser religiösen Sitte. In Skandinavien trank man fortan die Minne Gottes, der Gottesmutter Maria und eines besonders beliebten Heiligen (etwa Martin, Olaf, Erik) anstelle der Minne Odins, Thors oder eines anderen Asen. Im germanisch-deutschen Bereich wurde alles auf die Minne eines bestimmten Heiligen konzentriert wie im Fall der Johannisminne. Bei anderen Gelegenheiten wurden so durch das Minnetrinken geehrt: Michael, Martin, Sebastian, Stephan, Ulrich, Urban und (als weibliche Heilige) Gertrud.

Wenn unsere Vorfahren im Kreis von Bruderschaften, Gilden, Zünften, aber auch in Klostergemeinschaften zusammensaßen und den Johanniswein tranken, hofften sie, dieser Wein werde Freundschaft und Zusammenhalt stärken - Anknüpfungspunkt war das biblische Zeugnis, wonach Johannes als der Lieblingsjünger des Heilands galt. Dank der Fürsprache des Johannes sollte der zu seiner Ehre getrunkene Wein aber auch Gefahren abwenden. Daher reichte man den Johanniswein gerne Brautpaaren, Kranken und Sterbenden. Auch Schiffer und Reisende nahmen gerne den Johannisstrunk bei Abschied und Aufbruch. Die Hochachtung des Johannistrunks war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts so stark, daß selbst der Reformator Martin Luther sich nicht ganz von diesem Brauch distanzieren wollte. Die Segnung des Johannisweins lehnte er ab, nahm aber keinen Anstoß daran, wenn nach alter Sitte beim Aufbruch zu einer Reise feierlich in der Art der Johannesminne Wein getrunken wurde. So nahm er etwa in Jena an der Verabschiedung von Schweizer Studenten teil und fand die Weinzeremonie keineswegs anstößig. Auch benutzte Luther für das Wort "Verabschieden" durchaus noch die Redensart "den Johannestrunk nehmen".

Da aber Luther nichts von einer Weinsegnung am Festtag des Evangelisten wissen wollte, entzog er dem Brauchtum um die Johannisminne letztlich die Grundlage, so daß dieses Weinbrauchtum in den protestantischen Gegenden abstarb. Bis heute findet sich dieses Brauchtum, wenn auch mitunter stark reduziert, in den katholisch geprägten Weinlandschaften des deutschen Kulturraumes. Daß die Johannisminne auch an ethnische Eigenheiten gebunden ist, zeigt sich augenfällig in einer Sakrallandschaft wie Südtirol, wo sich viel altes kirchliches Brauchtum erhalten hat. In deutschsprachigen Gemeinden kennt man den Johanniswein, in spätromanischsprachigen Gemeinden ist er unbekannt.

Für uns heute ist der Evangelist Johannes weniger als Weinpatron denn als Verkünder einer tiefsinnigen Botschaft bedeutsam, die in der Liturgie des Weihnachtsfestes an zentraler Stelle steht. "Im Anfang war das Wort ..." In Goethes "Faust" ringt der gelehrte Sinnsucher um eine angemessene Übertragung dieses Bibeltextes in sein "geliebtes Deutsch". Von diesem Prolog des Johannesevangeliums her könnte sich auch für diejenigen unter uns, die den Glauben an die christlichen Heilsgeheimnisse verloren haben oder den christlichen Glauben nicht kennen, ein Zugang zu dem Heiligen eröffnen, dessen am 27. Dezember gedacht wird.
 
     
     
 
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