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Die deutschen verteidigen ihre Sprache nicht: Frankreichs Kulturminister rügt Bonner Politik

 
     
 
Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache." Dieser Alptraum, dem die "One-World"-Fetischisten heute nachhängen: eine Welt – ein Reich – eine Sprache, ist in der Genesis die Wurzel des wachsenden Hochmuts der Menschen. Die Mißachtung der Gesetze der Natur und des menschlichen Zusammenlebens führte zum Turmbau zu Babel; ein Luftschloß, wie es auch in unseren Tagen die Globalisierungsfanatiker
unter dem Namen "globales Dorf" erneut zu errichten versuchen.

Um diesem Hochmut gegenüber der Schöpfung einen Riegel vorzuschieben, kam der Herrgott einst zu diesem Schluß: "Wohlauf, lasset uns niederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe!" Diese natürliche Ordnung – jedem Volk seine ihm eigene und gemäße Sprache – und damit ein unermeßlicher kultureller Reichtum der Erde, steht heute auf dem Spiel. Die englische Sprache führt von den USA aus einen Kolonialisierungsfeldzug über die ganze Welt.

Immer mehr Völker erkennen diese Gefahr und ergreifen Maßnahmen gegen diese Bedrohung ihrer Identität. Nur die deutschen scheinen eine Ausnahme machen zu wollen.

Selbst die Briten sehen die Ausbreitung des (amerikanischen) Englisch skeptisch. Auch sie sind Leidtragende der Globalisierung. Thronfolger Prinz Charles prangerte bereits den "verderbenden" Einfluß des Amerikanischen auf die englische Sprache an. Nur das in Großbritannien gesprochene Englisch sei "das richtige Englisch".

Die damalige isländische Staatspräsidentin Vigdis Finnbogadóttir warnte 1987 im SDR: "Ich denke an die skandinavischen Sprachen, an Deutsch und Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch und Griechisch. All diese Sprachen sind ernsthaft gefährdet, vom Englischen geschluckt zu werden ... Wir müssen einfach darüber reden, wie wir unsere alten Sprachen erhalten können. Denn die Sprache ist die Identität. Jeder kann das meiste in seiner Sprache geben. Und es ist doch schön, etwas zu geben, zu schenken. Wir sollten uns selbst das 21. Jahrhundert schenken."

Isländisch ist eine der lebendigsten Sprachen der Welt. Die Isländer bemühen sich, jedes neue Wort in ihre Sprache zu übersetzen. Radio heißt utwarp (Rauswerfer); Television haben sie mit sjonvarp (Bilderausschicker) übersetzt. Das amerikanische AIDS nennen die Franzosen Sida, die Isländer Eydmi, die Deutschen Aids. Vigdis: "Wenn wir nicht diese alte isländische Sprache hätten, wären wir nicht das Volk, das wir heute sind, wir würden nur das Land besitzen, wären aber nicht ein einheitliches Volk."

In Norwegen gibt es den "Rat für Norwegische Sprache", der "Behörden und öffentliche Institutionen in sprachlichen Fragen, vor allem im Hinblick auf den Sprachgebrauch in der Schule, im staatlichen Radio oder Fernsehen und im öffentlichen Dienst" beraten und "an der Vorbereitung von Gesetzgebung im sprachlichen Bereich" mitwirken soll (aus §1 des Gesetzes von 1971 über den Rat für Norwegische Sprache). Das geschriebene und gesprochene Norwegisch solle als grundlegender Bestandteil des kulturellen Erbes der Nation geschützt und gepflegt werden.

Die Bedrohung durch die englische Sprache wird nicht nur in Skandinavien wahrgenommen. Der russische Staatspräsident Boris Jelzin beklagte sich erst vor kurzem, daß "ganz Moskau von Reklame in Fremdsprachen überladen" sei. Jelzin gab bekannt, daß sich in Zukunft ein Ausschuß von Fachmännern mit dem Schutz der russischen Sprache beschäftigen solle. Das Russische müsse "gereinigt" werden, denn für die russische Kultur seien "fremde Massenkulturen" unannehmbar. Jelzin zog sogar ein Verbot für fremdsprachige Werbung in ganz Rußland in Erwägung.

Im Februar 1997 verfügte die ungarische Regierung die Ungarisierung der Aufschriften aller Handels- und Dienstleistungsfirmen. Falls es sich um einen Marken- oder Firmennamen handelt, muß diesem eine ungarische Erklärung hinzugefügt werden. Viele Ungarn sprächen keine Fremdsprachen und wüßten deshalb nicht, welche Waren oder Dienstleistungen Firmen mit ausländischen Aufschriften anbieten, lautete die Begründung.

Die einjährige Übergangsfrist des Gesetzes lief vor kurzem ab. Internationale Mineralölkonzerne müssen jetzt an allen ihren Zapfsäulen die Aufschrift "Benzinkút" anbringen, die ungarische Bezeichnung für Tankstelle. Anfang März mußte die Budapester "Don Pepe Pizzeria" schließen, weil sie keinen einheimischen Namen besaß.

Der Bochumer Romanist Professor Franz Lebsanft berichtete von Bemühungen in Spanien, das Internet zu hispanisieren. Zum einen gebe es erhebliche Anstrengungen, eigene spanische Ausdrücke zu etablieren, um über das Internet zu sprechen. Aus "cyberspace" werde so "ciberspacio". Zum anderen werde massiv versucht, auch im Internet selbst die spanische Sprache verstärkt einzuführen, um das Selbstwertgefühl der eigenen Sprachgemeinschaft zu stärken. Eine Folge dieser Bemühungen sei, daß es schon heute für ausländische Unternehmen wichtig sei, sich im Internet auf spanisch zu präsentieren, um auf dem dortigen Markt bestehen zu können.

Frankreich besitzt eine lange Tradition der Sprachpflege. Die 1635 von Richelieu gegründete Academie française setzt bis heute Maßstäbe auf diesem Gebiet. Nicht erst der bekannte Kulturminister Jack Lang geißelte den "kulturellen Imperialismus" der Vereinigten Staaten. Auf die Bedrohung durch das Franglais, die englisch-französische Mischsprache, antwortete Kulturminister Bas-Lauriol bereits 1975 mit dem "Gesetz über die Verwendung der französischen Sprache".

Während die "Loi Bas-Lauriol" sich auf die Beseitigung einzelner Anglizismen beschränkte, geht die "Loi Toubon" des Kulturministers Jacques Toubon von 1994 in ihrer vom Verfassungsrat gebilligten Form noch weiter. Der Staat darf beispielsweise vorschreiben, daß Arbeitsverträge, Betriebsregelungen, Gebrauchsanweisungen, Inserate, Werbebotschaften usw. auf französisch verfaßt werden müssen. Er kann verlangen, daß öffentlich subventionierte Kongresse Französisch zur Kongreßsprache haben. Das Gesetz sieht Strafen bis zu 5800 Mark vor. Auf diese Weise wurde versucht, das Herausfallen ganzer Bereiche aus dem Französischen zu verhindern, stellte der Berliner Romanist Jürgen Trabant fest.

Aber was wird eigentlich hierzulande gegen die sprachliche Überfremdung getan? Viele europäische Staaten beginnen sich zu wehren. Deutschland muß sich hingegen den Vorwurf Toubons gefallen lassen: "Die Deutschen verteidigen ihre Sprache nicht gut genug." Sie sprächen zuviel Englisch und täten nicht genug gegen den wachsenden Einfluß der amerikanischen Kultur in Europa. Andere Völker könnten ihrer Sprache mehr Geltung verschaffen, wenn die Deutschen ihre Einstellung änderten.

Die Erkenntnis, daß eine Mischsprache keine Bereicherung mehr ist, sondern ein Warnsignal des Sprachverfalls darstellt, scheint sich erst langsam durchzusetzen. Ein Kennzeichen des mangelnden Selbstwertgefühls und der Mißachtung der eigenen Sprache: In der EU und im Europarat ist Deutsch, die Muttersprache von 100 Millionen Menschen, nicht als Amtssprache zugelassen.

Deutschland fehlt eine Sprachakademie nach dem Vorbild der Académie française, die den verderblichen Einfluß des Gesetzgebers, der Medien und der Großunternehmen auf die deutsche Sprache mildern könnte. Auf den diesjährigen Aprilscherz des Deutschen Verbandes für Post und Telekommunikation, die Telekom wolle Englisch als Amtssprache einführen, sind viele hereingefallen, weil es ohnehin schon fast der Wirklichkeit entspricht. Die Kultusminister streiten sich über die Rechtschreibreform und tun nichts gegen die eigentliche Gefahr. Die Sprachgesellschaften ziehen sich in ihren Elfenbeinturm zurück und kämpfen nicht gegen den Sprachverfall an.

Das deutsche Volk hingegen hat ein scharfes Bewußtsein für das, was mit seiner Sprache geschieht. Das zeigt eine Repräsentativumfrage des Meinungsforschungsinstituts GFM-GETAS unter 2000 Erwachsenen, die das Mannheimer Institut für deutsche Sprache (IDS) in Auftrag gegeben hat.

Demnach empfinden nur 4,8 Prozent die Entwicklung der deutschen Sprache als erfreulich. Als negativ bewerten die Deutschen vor allem die Flut der Amerikanismen. 71 Prozent fordern den Erhalt der Mehrsprachigkeit in Europa, 55 Prozent wollen eine politisch stärkere Stellung der deutschen Sprache in der EU. Die oft beschworenen sprachlich bedingten Verständigungshindernisse zwischen West- und Mitteldeutschen hingegen erkennen 76,4 Prozent nicht. Daß in Deutschland neben der Landessprache auch andere Sprachen wie Türkisch, Serbisch, Italienisch gesprochen werden, findet nur ein Viertel der Befragten gut.

Wenn die etablierten Kräfte nicht in der Lage sind, die deutsche Sprache angemessen zu schützen und zu pflegen, mißachten sie augenscheinlich den Willen des Volkes. Es ist kein Wunder, wenn sich in der letzten Zeit mehrere Sprachpflegeinitiativen gründeten und immer mehr Bürger die Sprachzerstörung nicht mehr hinnehmen wollen. Das von den Einweltlern der Hochfinanz angestrebte "globale Dorf" zumeist unter dem Deckmantel von Weltoffenheit, Kosmopolitismus und Weltbürgertum daherkommend, darf nicht Wirklichkeit werden. Immerhin spendet eine Rückschau in die Geschichte der Völker Trost: der Turm von Babel wurde niemals fertiggestellt. Umgekehrt sind freilich auch schon solche Völker aus der Geschichte spurlos verschwunden, die arglos sich in den Sog fremder Sirenengesänge bringen ließen und darüber den Wert des Eigenen vergaßen. Thomas Paulwitz

 
     
     
 
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