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Die stille Regie der Ulla Schmidt

 
     
 
Man darf Ulla Schmidt niemals unterschätzen: Die Bundesgesundheitsministerin ist mit allen Tricks des politischen Handwerks vertraut. Zwar wirkt die 57jährige gern so, als würde sie gleich auf "Öllsch" (ihre Aachener Mundart) etwas zum besten geben, aber wehe: Ihre Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen. Ulla Schmidt gilt als durchsetzungsstarkes Exemplar
in der Ministerriege.

Für die große Gesundheitsreform, die beinahe zum Sprengsatz in der Großen Koalition geworden wäre, gilt jetzt der Regierungsbefehl: "Ruhe halten". Feinarbeit am Gesetzestext ist angesagt, und hier fallen die wirklichen Entscheidungen. Ulla Schmidt will der Gesundheitsreform ihren eigenen Stempel aufdrücken. Als gewiefte Taktikerin weiß sie, wer eine Sache aus den Schlagzeilen holen will, muß Schlagzeilen erzeugen, nur andere eben.

Natürlich ist der Vorstoß, Krebspatienten müßten doppelt so hohe Zuzahlungen leisten, wenn sie nicht regelmäßig alle Vorsorgeuntersuchungen absolviert hätten, juristisch nicht zu halten. Aber: Es ist ein Pressecoup wie aus dem Handbuch. Die Urängste der Menschen müssen angesprochen werden - die Angst vor schwerer Krankheit, die Angst Geld oder Besitz zu verlieren, die Angst vor Bestrafung. Schon lief die Berichterstattungsmaschinerie wie gewünscht an.

Nicht schlecht für eine Frau, die bei den Maoisten vom Kommunistischen Bund Westdeutschlands in die politische Lehre ging, sich dann aber seit den 80er Jahren durch alle Instanzen der SPD nach oben durchgenagt hat.

Natürlich müßte allen klar sein, daß Krebspatienten nicht gegenüber anderen Kranken benachteiligt werden dürfen. Auch ist bekannt, daß es - leider - nicht bei allen Tumor-Erkrankungen verläßliche Frühwarn-Indikatoren gibt. Die Diskussion um die Qualität der Vorsorgeuntersuchungen ist ein anderes Ding; zu Recht beschweren sich viele Frauen über nachlässige Auswertungen der Mammographien. Und letztlich: Noch nie hat eine Regelung im Gesundheitswesen 30 Jahre Bestand gehabt - das ist die Zeit, über die Tumore in ihrer Entstehung beobachtet werden müssen.

Im Medientrubel um die Krebsschlagzeilen sind die wirklich wichtigen Punkte im Gesetzentwurf untergegangen, abgesehen davon, daß es in diesem Text kaum einen wirklichen Anreiz zu verantwortungsbewußter Lebensführung, zu vernünftiger Ernährung und damit für einen individuellen Beitrag zur Kostensenkung gibt.

Durch den Gesetzentwurf wird die bewährte Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung abgeschafft. Bisher "gehörte" die Krankenkasse den Beitragszahlern und wurde von ihnen verwaltet, und der Staat hatte keine Mitsprache etwa bei der Prämienhöhe. Jetzt soll dieser Bereich komplett verstaatlicht werden - Ulla Schmidt will die lästige Eigenmacht der - inzwischen sehr professionell geführten - Kassen brechen und ihnen die Finanzhoheit nehmen. Die erste Tariferhöhung "von Staats wegen" über die Schallgrenze von 15 Prozent hinaus wird nicht lange auf sich warten lassen.

Nicht von schlechten Eltern war auch die Sache mit der Anhörung der Sachverständigen. Die bei jedem Gesetzentwurf vorgesehene Beteiligung der Betroffenen hätte vieles zur Sprache bringen können, doch sie fand ohne nennenswerte Beteiligung statt. Ulla Schmidt ließ den Experten ihren 542-Seiten-Gesetzentwurf am Donnerstag letzter Wochen zustellen, die Anhörung war auf Montag angesetzt. So lange kann kein Wochenende sein, um mit den Details vertraut zu werden. Fast alle Sachkundigen blieben aus Protest der Alibi-Veranstaltung fern. Jetzt können die Krankenkassen, Ärztevertreter oder Pharma-Lobbyisten nur noch versuchen, während des Gesetzgebungsprozesses Einfluß zu nehmen.

Wie das Gesetz umgesetzt werden soll, bleibt offen - nicht nur wegen des Generalvorbehaltes von CSU-Chef Stoiber. Vorgesehen ist, das Gesetz noch im Winter zu verabschieden, um es dann zum 1. April 2007 in Kraft treten zu lassen. Der Gesundheitsfonds, die zentrale Beitragssammelstelle unter Staatsaufsicht, soll erst 2009 eingeführt werden. Doch völlig offen ist, ob Ulla Schmidt die notwendigen 308 Stimmen im Bundestag für ihr Gesetz zusammenbekommt. In der Union sieht man den Entwurf mit deutlicher Skepsis, in der SPD rechnet man mit zwei Dutzend Links-Abweichlern. Wortführer Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte seiner Fraktion und Widersacher der Ministerin, möchte den Gesundheitsfonds sogar ganz streichen - auf keinen Fall will er mit "diesem Monstrum" in den Bundestagswahlkampf 2009 ziehen. Sein Traum: In der nächsten Legislaturperiode alles neu machen - nach reiner SPD-Rezeptur.
 
     
     
 
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