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Dunkelmänner

 
     
 
Es scheint eine verschlagene und geradezu lautlos wirkende Art von Dunkelmänner-Macht im Sinne einer weithin geschlossenen Übereinkunft zu geben, die alle Ereignisse filtert, sofern sie nur einigermaßen objektiv die Nationalgeschichte unseres Volkes in diesem Jahrhundert zu sichten trachten. Egal wie auch immer die Abläufe und Gegebenheiten waren oder sind, im Filter bleibt das Respektable, Achtbare hängen, der geseihte Bodensatz weist immer das Anomale, das herausragend Zynische oder das einmalig Böse auf.

Dieses Spiel, so mochte man hoffen, ließ sich beherzt nur bis zum Tage des Mauerfalls und dem Ende der bolschewistischen Regime betreiben, weil alle vergleichenden und damit entlastenden Argumente im Ernstfall an den Bajonettspitzen der jeweiligen Besatzungsmacht ihr jähes Ende fanden. Doch das Gegenteil scheint der Fall: Als vor einem Jahr der Franzose Stéphane Courtois mit seinem Werk "Schwarzbuch des Kommunismus
" eine längst überfällige Jahrhundertdiskussion auszulösen hoffte, geriet hier sofort allein das Phänomen der bolschewistischen Todesopfer zugunsten der nationalsozialistischen in den Blick.

Sondersendungen in deutschen Fernsehanstalten, die sonst noch die leisesten Darmwinde oder die dreiundzwanzigste Scheidung einer Hollywood-Diva aufwendig registrieren, unterblieben. Man frönte nur kurzzeitig und gleichsam widerwillig pflichtgemäß einer jesuitisch anmutenden Praktik, wonach der kleine Michel Brot und Ratespiele, der schmale Rest exklusive Sendezeiten verordnet bekam. Seit nun (endlich) die deutsche Übersetzung (Piper Verlag) vorliegt, glaubt man leichtes Spiel zu haben, wenn man das Phänomen als bekannt voraussetzt.

So schreibt Prof. Manfred Hildermeier in der "Zeit": "Kennern sagt das meiste wenig Neues. Er wird sich fragen, wie sinnvoll es ist, Daten und Fakten aus verschiedensten Kontexten in einer Form aneinanderzureihen, die auf Erläuterungen verzichtet." Wird sich der Kenner tatsächlich nur um den "Neuwert" kümmern und ansonsten die 70 bis 100 Millionen Opfer, die noch ein Solschenyzin im Blick behält, kalten Herzens übergehen? Prof. Hildermeier schließt seinen Beitrag mit der polemischen Frage: "Wem wäre auch mit der verqueren Logik gedient, daß der Gulag und Pol Pot Auschwitz noch in den Schatten stellten? Den Opfern oder auch nur dem historischen Verständnis?" Verquer aber scheint vorerst nur die falsche Polarisierung von Gulag und Auschwitz zu sein, es geht zunächst nämlich nur um das Phänomen Bolschewismus, das sich bekanntlich lange vor 1933 und blutig in Rußland installiert hat. Zudem bedingt die Offenlegung kommunistischer Verbrechen keineswegs, beliebtes Argument sogenannter "Linker", daß nun der "Kapitalismus" US-amerikanischer Prägung als die Frohbotschaft und die ultima ratio für alle Zukunft und alle Völker verbindlich bleibt (Vielmehr wird der ungehemmte Neo-Liberalismus bald seine Widersacher finden, vermutlich am ehesten im nivellierenden und asozialen "Globalisierungs Internationalismus", der auch den kommunistischen Bewegungen so fremd nicht war). So wähnt der Schriftsteller Peter O. Chotjewitz, er glaube nicht, "daß das ,Schwarzbuch‘ die nächste Weltrevolution verhindern wird", und hält es auch für angezeigt, darauf zu verweisen: "Deshalb müssen wir uns auch immer ein Augenzwinkern dazudenken, wenn ein Bourgeois von der Hungersnot in der Ukraine 1933 erzählt." Die Bauernausrottung in Wahrheit nur eine Fastenkur für überernährte Ukrainer? Man kann einem Poeten vermutlich keinen Nachhilfeunterricht in Sachen geschichtlicher Ereignisse geben, aber daß solch ein Individuum Raum in einer meinungsbildenden überregionalen Wochenzeitung eingeräumt bekommt, läßt auf die Absicht der verantwortlichen Hintermänner schließen, das Phänomen Bolschewismus von einer heilsamen Analyse fernzuhalten.

Richtiger liegt er da zweifellos, wenn er polemisch fragt: "Wer hat mit Stalin Vertraulichkeiten ausgetauscht – in Teheran, Jalta, Potsdam?" Womit sich der Kreis schließt, von dem schon der Dramatiker Friedrich Hebbel 1860 schrieb: "Es ist möglich, daß der Deutsche noch einmal von der Weltbühne verschwindet; denn er hat alle Eigenschaften, sich den Himmel zu erwerben, aber keine einzige, sich auf Erden zu behaupten, und alle Nationen hassen ihn wie die Bösen den Guten."

 
 
     
     
 
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