|  | Die EU wird am 30. März 1998 mit zehn     ostmitteleuropäischen Ländern und Zypern den Beitrittsprozeß einleiten. Mit Zypern     sowie Polen, Ungarn, der Tschechei, Slowenien und Estland sollen ab April konkrete     Verhandlungen aufgenommen werden. Zypern wird aufgefordert, daß beide Volksgruppen      die türkische und die griechische  in die Verhandlungen mit der EU eingebunden     werden müssen. Mit Rumänien, der Slowakei, Lettland, Litauen und Bulgarien soll zugleich     eine "analytische Prüfung des Besitzstandes" beginnen.
 Der Verhandlungsprozeß mit den elf Beitrittskandidaten wird nach der allgemeinen     Eröffnung auf Außenministerebene mit jedem Staat für sich weitergeführt. Mit dem     harten Kern der Kandidaten  Polen, Ungarn, Slowenien, der Tschechei, Estland und     Zypern  werden reguläre
   Beitrittsverhandlungen geführt, in den Verhandlungen mit     den übrigen Ländern soll festgestellt werden, wie weit die einzelnen Kandidaten bereits     EU-Standards entsprechen. 
 Mit ihrer in Luxemburg beschlossenen Erweiterungsstrategie signalisieren die Staats-     und Regierungschefs, daß die Union für alle osteuropäischen Beitrittskandidaten offen     ist. Der Beitrittsprozeß wird im März gestartet. Kein Kandidat wird ausgegrenzt, alle     sind in einen einheitlichen Erweiterungsprozeß eingebunden, dennoch wird in den     Einzelgesprächen zwischen den Kandidaten unterschieden. Die Slowakei  nach     übereinstimmender Auffassung demokratiepolitisch alles andere als EU-reif  ist     damit der Gefahr des "ausgegrenzt werdens" entgangen. Um die     Nicht-Diskriminierung zu betonen, spricht das Luxemburger Schlußdokument von einem     einheitlichen "Rahmen des Erweiterungsprozesses", der gemeinsam eröffnet und     dann individuell weitergeführt wird. Die Zahl der jährlichen Treffen sichtet sich     danach, wie weit die Entwicklung der einzelnen Länder in Richtung der     EU-Anforderungskriterien fortgeschritten ist.
 
 Mit dem harten Kern der 5+1 beginnen unterdessen echte Beitrittsverhandlungen auf     Regierungsebene, für die Gespräche mit den anderen Ländern wurde der EU-Begriff     "acquis screening" erfunden. Gemeint ist die Abklärung, inwieweit die     Beitrittskandidaten dem EU-Rechtsbestand entsprechen. Die Staats- und Regierungschefs     faßten den Beschluß, keine Verhandlungen mit der Türkei zu führen. Das Land wird     lediglich im März zu einer Europakonferenz eingeladen, bei der über allgemeine Themen     wie Kriminalität, Drogen, Umweltschutz oder Verkehr gesprochen wird, nicht jedoch über     den Beitritt.
 
 Eine Europa-Konferenz, die der Erweiterung nach den ursprünglichen Plänen eigentlich     besonderen Glanz verleihen sollte, wurde auf dem Luxemburger Gipfel dem entgegen immer     mehr zum Instrument der Schadensbegrenzung gegenüber der Türkei, deren Beitritt die     Union für weit verfrüht hält. Die Konferenz soll neben den EU-Staaten und den     Beitrittskandidaten auch Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein sowie die Türkei     einbinden. Der Türkei, deren Beitrittswünsche mit harten Bedingungen zu Minderheiten-     und Menschenrechten sowie zu demokratiepolitischen und völkerrechtlichen Verpflichtungen     de facto auf Eis gelegt wurden, erscheint die Europa-Konferenz zu wenig. Die Schweiz,     Liechtenstein und Norwegen wiederum zeigen wenig Interesse, gleichsam mit der Türkei in     ein Boot gesetzt zu werden.
 
 Nach einem harten Schlagabtausch zwischen Frankreich und Griechenland haben sich die     EU-Staats- und Regierungschefs in Luxemburg dann geeinigt, auf einer Einbeziehung der     türkischen Zyprioten in die Beitrittsverhandlungen zu bestehen. Der ursprünglich eher     unverbindliche Entwurf der Schlußfolgerungen des Gipfels wurde auf Druck Frankreichs     entsprechend verschärft.
 
 Die EU wolle versuchen, über die Beitrittsverhandlungen zum inneren Frieden und der     Aussöhnung der beiden verfeindeten Volksgruppen beizutragen, wird von Brüssel     unterstrichen. Umstritten war bis zuletzt wegen des Widerstands des griechischen     Ministerpräsidenten Costas Simitis die konkrete Formulierung, mit der die     türkisch-zypriotische Gemein-schaft in die Verhandlungen eingebunden werden soll.
 
 Griechenland hatte schon gegen den diplomatisch-vorsichtigen Entwurf der     luxemburgischen Ratspräsidentschaft Bedenken angemeldet, nach dem der EU-Gipfel     "begrüßt", daß die zypriotische Regierung auch Vertreter der türkischen     Volksgruppe in die Verhandlungsdelegation "aufzunehmen gedenkt".
 
 Daraufhin sahen sich die Staats- und Regierungschefs gezwungen, sprachschöpferisch     tätig zu werden. Die Vorschläge reichten bei der Aussprache nach Angaben von     EU-Diplomaten von "der Europäische Rat erwartet" über "rech- net     damit", "appelliert" und "wünscht" bis zu "fordert".     Es war Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, der schließlich die Oberhand gewann     und die letztere, verschärfte Formulierung durchsetzen konnte.
 
 Simitis drohte indessen während der Auseinandersetzung, daß er die gesamte     Osterweiterung der EU mit einem Vorbehalt blockieren werde, falls Frankreich sich     durchsetze. Chirac bestand dagegen darauf, daß "auf beide Seiten", also     griechische und zypriotische Türken, Druck ausgeübt werden müsse, sich über die     Verhandlungsdelegation zu einigen. Athen hatte während Monaten die Einbeziehung     türkisch-zypriotischer Vertreter abgelehnt. Doch schließlich mußten die Griechen     auch im Streit um die Teilnahme der Türkei an der Europa-Kon-ferenz einlen-ken.
 
 Nach Angaben des niederländischen EU-Sprechers heißt die endgültige Formulierung     nun: "Der Europäische Rat fordert, daß der Wille der zypriotischen Regierung,     Vertreter der tür- kischen Volksgruppe an den Verhandlungen teilnehmen zu lassen, auch in     die Tat umgesetzt wird. Damit diese Forderung der EU auch realisiert wird, werden die     EU-Präsidentschaft und die EU-Kommission die erforderlichen Kontakte mit Zypern     aufnehmen."
 
 Der mühsam erzielte Kompromiß dürfte jedoch keine wirklichen Folgen zeigen. Der     Führer der türkischen Zyprioten, Rauf Denktas, hat den Vorschlag abgelehnt, eigene     Vertreter in die zypriotische Delegation zu entsenden, die die Beitrittsverhandlungen mit     der Europäischen Union führen soll. "Wenn sie (die EU) unsere Teilnahme wollen,     dann sollten sie unseren Staat anerkennen, es gibt keinen anderen Weg", sagte Denktas     vor Journalisten im türkisch besetzten Sektor der zypriotischen Hauptstadt Nikosia. Die     internationale Gemeinschaft erkennt das von der Türkei besetzte Nordzypern aber eben     nicht als eigenen Staat an.
 
 Die Türkei hat äußerst verärgert auf die Weigerung der EU reagiert, sie in den     Kreis der Beitrittskandidaten aufzunehmen. Sein Land werde die Europa-Konferenz     boykottieren, die es mit den elf anerkannten Bewerbern zusammenbringen soll, sagte     Staatsminister Sukru Sina Gurel nach einer Kabinettssitzung in Ankara. Im Gegensatz dazu     zeigten sich die EU-Mitglieder und die Beitrittskandidaten zufrieden mit den Beschlüssen     des EU-Gipfels in Luxemburg, die den Weg zur Erweiterung nach Osten und Südosten ebneten.
 
 Vor Gurels Boykott-Mitteilung hatte schon Ministerpräsident Mesut Yilmaz darauf     hingewiesen, daß an die Konferenzteilnahme Bedingungen geknüpft seien. Die Türkei lasse     sich keine Vorschriften machen, und deshalb sei die Einladung zur ersten Sitzung im März     in London ohne Bedeutung, sagte er.
 
 Mit der Öffnung nach Osten unternimmt die Europäische Union den größten Kraftakt     ihrer Geschichte. Die Aufnahme von zehn Staaten aus Mittel- und Osteuropa sowie Zypern im     nächsten Jahrtausend wird vor allem finanziell eine Herausforderung. Da verwundert es     nicht, daß beim Gipfeltreffen der Europäischen Union in Luxemburg viel über Geschichte     und auffallend wenig über Geld gesprochen wurde. Das Thema Kosten klammerten die Staats-     und Regierungschefs bei ihrem zweitägigen Treffen weitgehend aus.
 
 "Der Eindruck wurde vermieden, in der EU gehe es zu wie in einem     Krämerladen", sagte ein Diplomat. Aber das kaum durchschaubare Geschäft des Gebens     und Nehmens, das Feilschen um jede Mark, die Besitzstandswahrung wird nicht lange auf sich     warten lassen. "Der europäische Alltag hat uns morgen wieder", sagte er.
 
 Beispiellose Verteilungskämpfe stehen der EU bis zur Verabschiedung des neuen     Finanzrahmens für 2000 bis 2006 ohnehin ins Haus. Auf gut 150 Milliarden Mark     veranschlagt die Europäische Kommission die unbedingt nötigen Hilfen für die Bewerber     in diesem Zeitraum.
 
 Vor allem die als "Club-Med" bespöttelten Süd-Staaten der EU befürchten,     zugunsten der künftigen Mitglieder zu verlieren. Spanien, Wortführer der Gruppe, stellt     die Schätzung der EU-Kommission in Frage, der Finanzrahmen von 1,27 Prozent des     Bruttosozialprodukts (BSP) aller EU-Staaten reiche aus, die Erweiterung zu bezahlen. Die     südlichen Länder betonen, daß sie weiterhin dem reicheren Norden hinterherhinken,     pochen auf ungekürzte Strukturhilfen und erwarten, daß weitere Milliarden an ihre Bauern     und anderen Subventionsempfänger fließen.
 
 Den vermeintlich so reichen Norden hingegen stört es, daß der Kuchen verteilt wird,     bevor er gebacken ist. Die bislang scheinbar grenzenlos freigiebige deutsche Regierung     erwartet von der EU-Kommission im kommenden Jahr eine Überprüfung der Beitragszahlungen.     Finanzminister Theo Waigel wurde auch in Luxemburg nicht müde, den deutschen Nettobeitrag     als eindeutig zu hoch zu beklagen.
 
 "Der Nettobeitrag muß auf jeden Fall gesenkt werden", sagte er. Deutschland     zahlt mindestens 20 Milliarden Mark jedes Jahr mehr in die EU-Kasse ein , als es     herausbekommt. 60 Prozent aller Nettozahlungen werden so in Bonn angewiesen. Alle anderen     14 teilen sich die übrigen 40 Prozent. Das reichste Land der EU, Luxemburg, streicht     allein 1,8 Miiliarden Mark netto pro Jahr ein  4.700 für jeden Luxemburger, mehr     als 2.800 Mark davon aus der Kasse der deutschen Steuerzahler. Dies, obwohl der     Lebensstandart im Großherzogtum weit über dem deutschen liegt, Steuerlast und     Arbeitlosigkeit traumhaft gering sind und statt zinsträchtiger Staatsverschuldung sogar     Jahr für Jahr große Summen vom Staat zurückgelegt werden können. Geld der Deutschen,     das die viel reicheren Luxemburger noch reicher macht und ihnen obendrein ordentliche     Zinserträge bringt. Mit Blick auf die grenzenlosen Begehrlichkeiten nicht nur der     südeuropäischen Nachbarn, die nicht zuletzt von Kohl und Waigel selbst angeheizt worden     waren ("Deutschland muß seinen Beitrag leisten zur Verwirklichung der europäischen     Idee"), kam der deutsche Finanzminister nun zu der Einsicht: "1,27 Prozent des     Bruttosozialprodukts  das ist die absolut Obergrenze." Man wird sehen.
 
 Die Wunschliste der 15 Mitgliedsstaaten bei der geplanten Reform der Agrar-, Struktur-     und Finanzpolitik ist lang, anspruchsvoll und wohl kaum bezahlbar. "Das wird nicht     einfach", sagt der Diplomat. "Aber nicht Europa ist das Problem, sondern Europa     ist da, um Probleme zu lösen."
 
 Wenn im nächsten April Beitrittsverhandlungen mit Polen, Ungarn, Tschechien, Estland,     Slowenien und Zypern beginnen werden, wird sich zeigen, wie gut es die EU wirklich mit den     lange von den Fleischtöpfen getrennten Staaten Ost- und Mitteleuropas meint und: ob     abermals Deutschland auf dem Löwenanteil der Kosten sitzenbleibt. Die Forderungen werden     groß, die Zugeständnisse klein sein. Und dann sind da noch die Bewerber aus der zweiten     Reihe, die noch ein bißchen ärmer dran sind. Auch ihnen wird geholfen werden, wenn auch     weniger. Die Staats- und Regierungschefs aus Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien und     Slowenien machten dennoch beim traditionellen Familienfoto in Luxemburg gute Miene.
 
 
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