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Ein ganz besonderer Ehrentag

 
     
 
Durch das geöffnete Schlafzimmerfenster drang süßlicher Geruch von blühendem Flieder. Der Nachtwind brachte ihn mit hinein. Fast ohne Geräusch war die Nacht. Nur hin und wieder raschelte irgendein Getier.

Frieda Lemke lag noch hellwach in ihren Kissen. Der Schlaf wollte heute überhaupt nicht zu ihr kommen. Links von ihrer Schlafstätte sog und pfiff ein störender Atemstrom durch einen halbgeöffneten Mund. Frieda Lemke stieß mit der Hand sachte zu der Seite. "Herbert, drehe dich bitte um!" flüsterte sie dabei.

Der Mann murmelte etwas im Schlaf, drehte sich aber willig herum. Augenblicklich war auch das störende Atemgeräusch verstummt. Die Frau schmunzelte in sich hinein. Ihr Herbert hatte heute mehr als üblich von seinem Abendschnaps
genossen. Nun schlief er den Schlaf der Gerechten und ließ sich von gar nichts, aber auch reinweg von gar nichts mehr stören. Na, soll er schlafen!

Die Frau gönnte ihrem Mann den Schlaf. Morgen würde es unruhig genug im Hause werden. Aber sicherlich würde es eine beglückende Unruhe für beide sein. Denn morgen war ein Ehrentag für das Ehepaar Herbert und Frieda Lemke. Alle Kinder würden morgen um sie sein. Dazu die Enkel. Und dann, herrje, herrje, die Urenkelchen ja auch noch. Wie hießen sie nur noch alle? Man gibt ihnen heute so merkwürdige Namen wie Pascal und Nicole. Auch solch neumodischer Kram. Früher herrschte wenigstens noch Ordnung. Da hieß man Fritz und Wilhelm oder Erna und Marie, und die Welt war zufrieden. Wiederum lächelte Frieda Lemke stillvergnügt über ihre eigenen Gedanken. Nun ja, heute ist man alt und versteht so manches nicht mehr. Aber man war ja selbst einmal jung, damals.

Mein Gott, wann war dieses "damals" nur? Richtig! Dafür ist ja morgen der Ehrentag. Vor über einem halben Jahrhundert war das "Damals". Und bei ihrem ersten geheimen Zusammentreffen fing alles an. Frieda Lemke weiß es nun wieder, als wäre es erst gestern gewesen: Herbert wartete abends unten am Feldweg auf sie. Und mit wild bewegtem Herzen war Frieda gradewegs über die Wiesen zu ihm geeilt. Über Tag war etwas Regen gefallen und der gesättigten Erde entstieg weißlicher Dunst.

Zaghaft geküßt hatten sie sich aber erst beim Abschied. Jedoch als sie zuvor so verlegen voreinander standen, da hatte Herbert ihr mit leiser Stimme gesagt: "Es sah wunderbar aus, Frieda! - Wie eine Fee aus dem Märchenland bist du durch den Dunst zu mir herangeschwebt. - Und dazu paßt auch genau dein Haar, das die Farbe von reifem Getreide trägt ...!"

Frieda hatte bei Herberts Worten ein dunkelrotes Gesicht bekommen. Außerdem setzte vor purer Verlegenheit ihr Herzklopfen wieder verstärkt ein. Solche Worte waren ihr fremd. Nur in den Büchern, die Mutter in ihrem Nachtschränkchen versteckt hielt, da standen manchmal solche Worte drin. Aber schön war es doch, diese Worte nur für sich gesprochen zu wissen. Frieda hat- te damals ein langdauerndes Prickeln tief unter der Haut gefühlt und ihren Herbert den ganzen Abend über verstohlen von der Seite her betrachtet ...

Es waren glückliche Ehejahre gewesen, damals. Nur, sie waren sehr kurz gewesen. Denn die unglücklichen Jahre eines widersinnigen Krieges kamen dazwischen. Und als ihr Herbert nach vielen Jahren Gefangenschaft zurückkehrte, da blickte die Frau nur noch in die leeren Augen eines gebrochenen Mannes. Viel, viel Zeit, viele gute Worte der Aufmunterungen und unendlich viel ihrer eigenen Kraft waren notwendig, um Herbert zum ersten Mal wieder lachen zu sehen. Jedoch wunderschöne Worte, die sind ihm seit der Zeit niemals wieder über die Lippen gekommen ... Irgendwann in der Nacht, da fiel Frieda Lemke doch noch in den Schlaf. Und was ihr Stunden vorher nur Gedanken vermittelt hatten, das schenkte ihr ein bittersüßer Traum in vergilbten Bil-dern ...

Es würde bei weitem den Rahmen der Geschichte sprengen, wollte man jegliche Einzelheiten dieses Ehrentages in Erinnerung bringen. Aber sogar der Herr Bürgermeister persönlich gratulierte zum Fest der Diamantenen Hochzeit - argwöhnisch beäugt vom Jubilar. "Eck wähl ihm doch nicht!" hatte er schließlich gemeint. "Pssst, Herbert!" mahnte die Frau erschrocken. -

Ach Gott, was wollte der Herr Bürgermeister auch alles wissen, aus ihrem so ereignisreichen Leben. Nur von ihrer Heimat, da wollte der Herr Bürgermeister gar nichts wissen. "Dieser Land-strich ist ja heute nicht mehr Teil des deutschen Staatsgebildes", hatte er süffisant gelächelt.

"... und du warscht ihm auch nicht wählen, Frieda!" - "Wie beliebt der Jubilar zu meinen?" - "Ach Gottchen!" faltete die Frau ergeben ihre Hände, "manchmal da redet mein Mann schon mit sich selber, Herr Bürgermeister." - "So, so ...!"

Aber während der Kaffeetafel, da wäre Frieda Lemke fast gestorben. Vor Glück und vor Verlegenheit zugleich, da wäre sie fast gestorben. Denn plötzlich war ihr Herbert aufgestanden, hatte sich mehrmals geräuspert und war dann zu sprechen angefangen: "Meine liebe Frieda!" hatte er sich zu ihr gewandt, "du hast in all den vielen Jahren mein Leben hell und schön gemacht und du hast ihm Inhalt gegeben. Nur jemand, der dieses nach so langer Zeit noch sagen kenn, der hat in seinem Partner etwas gefunden, was leider nicht allen Menschen beschieden ist ...!"

Ach Gott, ach Gott ...! Herrje, herrje ...! Wo steckt denn nur wieder das Taschentuch? Zum Glück goß sich wenigstens der kleine Gnos, na, das Urenkelchen, dieser .... dieser Pascal, eine große Tasse Kakao über sein weißes Hemdchen. Da mußte ihr Herbert ja schon aufhören zu sprechen, und auch die vielen Augenpaare starrten nicht mehr so auf Frieda Lemke .
 
     
     
 
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