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Erlebnisse eines Babysitters

 
     
 
Meine Nachbarn, sehr nette Leute übrigens, waren zu Freunden eingeladen und fragten mich, ob es mir etwas ausmache, während ihrer Abwesenheit auf ihre beiden Kinder aufzupassen. Natürlich machte mir das nicht das geringste aus. Zwar habe ich mit kleinen Kindern so gut wie keine Erfahrung, aber diese Dinge lernt man ja im Handumdrehen ...

Also herein mit den beiden! Sie kamen auf ihren fahrbaren Untersätzen: Robin, schätzungsweise fünf, samt Kinderbettchen und Susibaby, noch keine eins, in ihrer Wiege. Die Eltern wünschten mir einen schönen Abend, ließen ganz nebenher die Bemerkung fallen, daß es wohl sehr spät werden würde, und verabschiedeten sich. Kaum waren sie zur Tür hinaus, als Susibaby in ihrer Wiege zu weinen anfing. Ich gab ihr sofort das mitgelieferte Fläschchen, aber sie warf es auf den Teppich und schrie weiter.

Inzwischen war Robin aus seinem Kinderbett geklettert, an meinen Schreibtisch
getreten und fragte mich nach meiner augenblicklichen Tätigkeit. Ich erklärte ihm, daß ich zur Zeit an einem Kriminalroman schriebe und kurz vor dem Abschluß des 14. Kapitels stehe. Überhaupt nicht näher darauf eingehend, sagte er: "Fufeu paun!" Er wiederholte es viermal, bis ich begriff, daß ich "Flugzeuge bauen" sollte. Ich ließ mich überreden und faltete aus Zeitungspapier unbekannte Flugobjekte, die wir gemeinsam fliegen ließen. Daß dabei zwei Vasen und das Hochzeitsbild meiner Großeltern väterlicherseits zu Bruch gingen, spielte überhaupt keine Rolle. Leider weinte Susibaby noch immer.

Als Robin an den Flugzeugen keinen Spaß mehr hatte, zeigte ich ihm mein Fotoalbum, was ich sofort bereute, denn er hatte eine Schere entdeckt und zerschnippelte die Aufnahmen meiner letzten Ferienbekanntschaft zu kleinen Fetzen und warf sie ins Aquarium. Als er die Fische eine Weile betrachtet hatte, sagte er: "Muß ma auf Töpfche!"

"So etwas habe ich nicht", erwiderte ich. "Das Klo befindet sich draußen, zweite Tür links."

Susibaby weinte immer noch. Wahrscheinlich bekam sie ihre ersten Zähne.

Als der große Bruder - mit nassen Höschen - zurückkam, hielt er einen früher einmal liegengebliebenen Lippenstift in den Händen. "Hat Mama auch", sagte er. Er malte mir ein paar Kreise ins Gesicht, behauptete, daß es Bälle seien und überredete mich zu einem Fußballspiel. Allerdings sollte ich im Tor stehen, und er wollte mir dann "welche reinpfeffen"!

Als Ball benutzten wir ein Sofakissen. Das Tor befand sich neben meinem Fernseher und dem Telefon. Nach 20 Minuten war das Telefon kaputt. Auch das Sofakissen. Inmitten der herabschwebenden Federn ließ ich Robin und sein weinendes Schwesterchen zurück, ging in die Küche und bereitete das Abendessen vor.

Unser gemeinsames Nachtmahl ist nicht weiter erwähnenswert. Susibaby bekam ein neues Fläschchen, nuckelte zweimal, warf es erneut über Bord und weinte weiter. Robin würgte an seinem Haferbrei herum, während ich ein Steak aß und ein Bier trank.

Später schaltete ich den Fernseher ein, weil ich mir das Interview mit einem bekannten Bundestagsabgeordneten ansehen wollte. Als Robin den Politiker und den Interviewer erblickte, fragte er, ob das "Bettenbauer und Pelle" seien. Für mich war "Bettenbauer" natürlich ein Stichwort und ich rief ärgerlich: "So, nun ist aber Schluß, jetzt geht es ab ins Bettchen!" Als ich ihn dann endlich in seinem Kinderbett hatte, forderte er: "Noch n Märchen lesen!"

Zwar habe ich allerlei Bücher, aber ausgesprochene Märchenbücher besitze ich nicht. Während ich noch im Regal nach etwas Geeignetem suchte, rief Robin mir ermunternd zu: "Aba was mit Hexen!"

In meiner Verzweiflung griff ich "Robinson Crusoe". Ich begann mit dem ersten Kapitel und las und las und las. Robin aber schlief nicht ein - und Susibaby weinte ...

Als Robinson im 11. Kapitel seinem späteren Inselgefährten Freitag begegnete, ging es bereits auf Montag. Dann endlich - kurz nach zwei - klingelte es an der Wohnungstür. Es waren meine Nachbarn. Sie hatten noch Licht bei mir gesehen. Sie betrachteten ihre soeben friedlich eingeschlafenen Kinder und sagten: "Sind sie nicht lieb? So artig ... Sie haben Ihnen gewiß keine Scherereien bereitet."

Nach diesen Erlebnissen als Babysitter denke ich jetzt schon mit der allergrößten Hochachtung an die Mutter meiner künftigen Kinder.
 
     
     
 
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