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Es stand ein Mann im Park

 
     
 
Es war eine schöne ruhige Nacht. Still, kalt und dunkel. Bisweilen kam der Mond für ein paar Augenblicke hinter den Wolken hervor. Die Straße war menschenleer.

"Wenn die hier wegen des neuen U-Bahn-Streckenabschnitts erst alles aufreißen", meinte Harry, "dann können wir diese Gegend auch vergessen. Dann geht nichts mehr. Wie spät ist es?"

Enno sah auf seine Uhr. "Fünf vor zwei", sagte er. "Falls meine alte Zwiebel nicht wieder nachhinkt."

"Nichts von dem, was wir heute absahnen", entschied Harry, "werden wir für uns selbst behalten. Es wird alles versilbert. Bis auf zwei vernünftig gehende Armbanduhren. Eine für mich, eine für dich. Die brauchen wir unbedingt. Schließlich verrichten wir Präzisionsarbeit. Hast du den Hammer
?"

"Steckt in meinem Hosenbund", erwiderte Enno.

Sie näherten sich jetzt dem Uhren- und Juweliergeschäft, dessen großes Schaufenster wie immer hell erleuchtet war. Der Taxistand am Ende der Straße war wegen des bevorstehenden U-Bahn-Baus bereits vor vier Wochen verlegt worden. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite lag der Park mit seinen Bäumen, Sträuchern und Bänken sowie dem Standbild irgendeines längst vergessenen Stadtvaters in friedlicher Stille.

Zwei Uhr nachts - jene Zeit, die Harry und Enno in wochenlanger Erkundungsarbeit als die absolut ruhigste für ihr Vorhaben registriert hatten ...

Als sie vor dem Schaufenster standen, zwei harmlos späte Straßenpassanten, sagte Harry: "Los jetzt, nimm den Hammer und ..."

Enno zögerte. "Es ist immer dasselbe", flüsterte er. "Ich höre bereits wieder dieses ekelhafte Heulen der Alarmanlage. Weißt du, ich hätte große Lust, nach diesem Coup hier völlig umzusatteln. Schaufensterknacker - ich weiß nicht! Hältst du das etwa für einen Traumberuf?"

"Es gibt keine Traumberufe mehr!" sagte Harry.

"Bei einer hübschen Millionärswitwe den Swimmingpool in Ordnung halten, das wär n Job", überlegte Enno laut. "Ja, aber nun schlag endlich zu!" sagte Harry. "Okay!" brummte Enno und schwang den Hammer. Dann starrte er überrascht und entsetzt zugleich in den großen Auslagespiegel oberhalb des Samtkissens mit all den Brillantringen und ließ den Hammer wieder sinken. "Hinter uns ...", flüsterte er. "Da steht einer ..."

"Wo?" - "Im Park ... Ein Mann ... Oder träume ich?"

Langsam wandten sich die beiden um. Tatsächlich - Enno hatte recht! Der Mann stand neben einer der Pappeln unweit des Denkmals. Ein großer, korpulenter Mann mit Hut.

Harry und Enno traten, so schnell sie konnten, aus dem Lichtbereich des Schaufensters heraus und tauchten nebenan im Dunkel der Eingangstür eines Blumengeschäftes unter.

Ennos Hammer steckte wieder in seinem Hosenbund. "Vielleicht ist es ein Betrunkener", meinte Harry.

"Aber er schwankt doch überhaupt nicht!"

"Es kann ja sein, daß er am Baum lehnt und pennt."

"Warte mal, jetzt kommt gerade der Mond wieder hinter den Wolken hervor", flüsterte Enno. "Ich bin sicher, er beobachtet uns. Die ganze Zeit schon macht er wahrscheinlich nichts anderes." Langsam spürte Enno die Kälte an sich heraufsteigen. Oder war es die Angst?

"Komm, laß uns die Geschichte hier verschieben", sagte er. "Mir ist die Lust vergangen."

"Wir warten noch zwei, drei Minuten", sagte Harry.

Aber der Mann im Park, wer immer es sein mochte, schien um nichts in der Welt seinen Beobachtungsposten aufgeben zu wollen. Und so meinte Harry schließlich: "Nun gut, jetzt reicht s mir! Und wenn der Kerl nicht gehen will, dann gehen wir eben!"

Enno fiel ein Stein vom Herzen. Ein Stein, dessen Gewicht in etwa dem seines Vorschlaghammers glich.

Am Morgen des darauffolgenden Tages liefen ein paar Kinder in den Park und riefen: "Seht nur, er steht noch immer da! Unser Schneemann, den wir gestern gebaut haben! Und sogar den alten Hut hat er noch auf ..."
 
     
     
 
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