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Experten an sich

 
     
 
Tag 13 im Krieg am Golf, morgens um sieben, die Welt ist - zumindest musikalisch - noch einigermaßen in Ordnung. Im Klassik Radio, wo Beethoven und Bach als "first class music" angepriesen werden, sich aber desungeachtet besser anhören als das ansonsten übliche Disco-Gekreisch und Trallala, wird auf den RTL-Nachrichten-Einheitsbrei umgeschaltet: "Bagdad erlebte heute Nacht die bislang schwersten Luftangriffe seit Kriegsbeginn
" - "Amerikanische und irakische Verbände lieferten sich die bislang heftigsten Gefechte" - "In aller Welt gab es die bislang größten Proteste gegen den Krieg" - "Frau M. hat die bislang deutlichste Unterstützung, Herr S. die bislang heftigste Kritik an Herrn B. artikuliert".

Diese Litanei höre ich nun schon seit dem zweiten Kriegstag, wenn ich vom Radio zum Fernsehen wechsle, setzt sie sich fort, von Bildern begleitet; man wird das wohl auch noch eine Weile weiter ertragen müssen. Offenbar können diese permanent aufgeregten "News"-Verkünder sich nur noch in Superlativen mitteilen. Alles andere würde im Informationsüberangebot unbeachtet untergehen.

Dieser Krieg ist für die Medienmacher, vor allem die mit Mikrofon und Kamera bewaffneten, zugleich Herausforderung, Chance und Belastung. Herausforderung, weil sich natürlich jeder von ihnen bei der journalistischen Ehre gepackt fühlt - wer will nicht der beste, der schnellste, der aktuellste, der hintergründigste, zumindest aber der originellste unter all den Kollegen sein?

Die Organisatoren des Medienspektakels, vor allem die Radio- und TV-Anstalten, zum Teil aber auch die Zeitungs-, Zeitschriften- und Illustrierten-Verlage, sehen den Krieg, so makaber das klingen mag, auch unter diesem Aspekt: vergleichsweise niedrige Produktionskosten - eine Stunde Gottschalk oder Karl Moik dürfte sie deutlich mehr kosten als die Übertragung etlicher Bombennächte in Bagdad - und zugleich die Aussicht auf spektakuläres Bildmaterial; die schaurig-schöne Kulisse eines brennenden Präsidentenpalastes, die am Horizont im Wüstenstaub entschwindende Panzerkolonne, die auf einem Feuerschweif in den Nachthimmel reitende "Cruise missile", in sparsamerer Dosierung dann das Chaos an der Stelle, an der sie gelandet ist, das sind Bilder, die jede Naturka- tastrophe in den Schatten stellen. Sie werden regelrecht zelebriert, einige besonders eindrucksvolle Sequenzen habe ich auf mehr als zehn Kanälen gesehen, zum Teil fünf- oder sechsmal wiederholt, aber stets als Neuigkeit angekündigt.

Genau hier lauert die Gefahr, die kaum noch zu bewältigende Belastung dieses Medien-Krieges. Auf allen Akteuren lastet ein enormer Druck. Angeblich verlangt das Publikum danach, rund um die Uhr über jeden Schuß und jeden Treffer informiert zu werden. Und wenn es dann, nach zwei Wochen Dauer-Extras, -Specials und -Brennpunkten, gar nichts Neues mehr zu berichten und gar nichts Sensationelles mehr zu wiederholen gibt, dann schlägt die Stunde der Experten. Oft erfährt man gar nicht so genau, für was sie eigentlich "Experten" sind, sie sind eben "Experten an sich", mit dem alleinigen Lebenszweck, sich zu "äußern", wozu auch immer. Einige der Herrschaften mit diesem schönen Beruf erscheinen derzeit so häufig bei so vielen Sendern, daß ich beginne, über allerlei merkwürdige Mutmaßungen zu grübeln: Haben vielleicht auch diese Ex-Generäle und Professoren (wie es Saddam Hussein nachgesagt wird) einen Stab von Doppelgängern, die sie einsetzen, um all ihren honorarträchtigen Expertenmeinungsäußerungsterminverpflichtungen nachkommen zu können? Oder sind sie gar geklont? Peter Scholl-Latour zum Bespiel müßte, falls es ihn wirklich nur einmal gibt, inzwischen zum 30-Stunden-Tag übergegangen sein.

Wozu man diese Experten-Flut eigentlich braucht, ist mir immer weniger klar. Daß der eine dafür, der andere dagegen, der dritte sowohl als auch ist (dies aber mit wilder Entschlossenheit), wissen wir spätestens seit der Wiederholung des 25. Polit-Talks auf Phönix. Wirklich Neues erfährt man nur höchst selten. So letzten Sonntag bei Sabine Christiansen: Da beeindruckte der Exil-Iraker Salar Bassireh, von Beruf Politologe, Publikum und Gesprächspartner mit einer klugen, informationsreichen und auch emotional überzeugenden Analyse - da wurde selbst die sonst so schrille Grüne Claudia Roth ganz still und nachdenklich.

 

Elisa Wachtner macht zur Zeit Urlaub, fernab von den Aufgeregtheiten deutscher und internationaler Politik. Daher erscheint statt seines an dieser Stelle gewohnten politischen Wochenrückblicks in den nächsten Ausgaben ein Blick zurück in die Medien - manchmal, aber nicht immer im Zorn.
 
     
     
 
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