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Experten sorgen sich um die Landwirtschaft

 
     
 
Agrarexperten aus mehreren Ländern sind in St. Petersburg zu einem Kongreß zusammengekommen, um über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den Landwirtschaftssektor im nördlichen Ostdeutschland und im Baltikum zu beraten. Die Experten waren sich darin einig, daß diese Region bereits jetzt unter ihrer geographischen Nähe zur Europäischen Union
leidet.

Auf den ersten Blick scheint es der Landwirtschaft im Königsberger Gebiet und seinen Nachbarn Estland, Lettland und Litauen gutzugehen. In sowjetischen Zeiten gehörte sie sogar zu den erfolgreichsten Produzenten im Gesamtstaat, obwohl die Landwirtschaft des Königsberger Gebiets nie besonders hohe Erträge erzielen konnte. Dafür war die Vielfalt der landwirtschaftlichen Produktion jedoch größer als in Rußland. Die Sowchosen ähnelten westlichen Bauernhöfen. Nichtsdestotrotz war die Landwirtschaft in keiner Phase der Sowjetära in der Lage, mit jener der EG zu konkurrieren.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfuhr die Landwirtschaft des Baltikums den gleichen Schock wie viele andere Wirtschaftssektoren in der vormaligen UdSSR. Die Anpassung an die neuen Arbeitsbedingungen erwies sich als sehr kompliziert. Ein Trost war in dieser Situation, daß der hohe Standard und die Effektivität der baltischen Landwirtschaft es ermöglichten, mit Rußland zu konkurrieren. 1998 sperrte der große Nachbar jedoch seinen Markt für Importe aus dem Baltikum und versetzte der baltischen Landwirtschaft damit einen herben Rück-schlag.

Die Konkurrenz einer Vielzahl europäischer Mitstreiter, die mit ihren Produkten in den ohnehin kleinen baltischen Markt drängten, führte dort zu einem lawinenartigen Preissturz für Landwirtschaftserzeugnisse. So sank in Estland der Preis für Milch innerhalb eines Jahres um 20 Prozent.

Aufgrund dieser Konstellation waren die baltischen Staaten gezwungen, sich auf den Export ihrer Waren in den Westen umzustellen, wo sie gegen die staatlich subventionierten Agrarprodukte Dänemarks, Belgiens und Deutschlands konkurrieren müssen. Die baltische Landwirtschaft steht vor der schwierigen Herausforderung, bei niedrigem Preisniveau, hohen Kosten und minimalen staatlichen Beihilfen trotzdem Exporterfolge erzielen zu müssen.

Auch für das Königsberger Gebiet war es ein harter Schlag, den russischen Markt zu verlieren. Nachdem Litauen und Weißrußland "Ausland" geworden waren, hatte das Gebiet praktisch keine Möglichkeit mehr, seine Erzeugnisse in Rußland abzusetzen. Um die Kosten, die den Königsbergern für den verteuerten Transport ihrer Waren entstanden, zu kompensieren, wurde das Gesetz über die "Sonderwirtschaftsregion" erlassen, was allerdings zu einer deutlichen Ungleichgewichtung der Agrarsektoren führte: die weiterverarbeitenden Betriebe gewannen, die Bauern verloren. Um die Steuererleichterungen für die Einfuhr von Rohstoffen zu nutzen, wurde preiswertes Schweinefleisch aus dem Westen, etwa aus der Bundesrepublik Deutschland, eingeführt und im Königsberger Gebiet weiterverarbeitet. Das half den Bauern keineswegs.

Auch als die Gebietsadministration im vorletzten Jahr eine Quote für die Einfuhr von Rohstoffen einführte, verlangsamte sich die Entwicklung der Fleischverarbeitung im Gebiet. Selbst eine völlige Veränderung des Gesetzes über die Freihandelszone hätte der Landwirtschaft des Gebiets kaum helfen können. Der Preisunterschied zwischen ihren Produkten und Waren und denen der landwirtschaftlichen Produzenten in der EU ist dafür einfach zu hoch.

Nichtsdestotrotz meinen die Experten, daß es zu früh sei, die Landwirtschaft der Region für verloren zu erklären. Nach Ansicht des ehemaligen Senators Walerij Ustjugow könne man die Nähe zur EU durchaus zum eigenen Vorteil nutzen, indem man Investitionen anziehe. Da die EU neue Märkte brauche, sei sie auch bereit, im Königsberger Gebiet eine vorzeigbare Landwirtschaft mit aufzubauen und landwirtschaftliche Technik und Maschinen bereitzustellen.

Igor Schewljakow, Vorsitzender der Landwirtschaftvereinigung des Gebiets, sieht eine große Chance im Anbau von Raps. Hieran hätten auch die Länder der EU ein großes Interesse. Rapskulturen seien leicht anzulegen, erreichten eine hohe Produktivität, ihre Produkte eigneten sich als biologischer Treibstoff, die Kosten für den Anbau seien niedrig und die Rapsölgewinnung ökologisch unschädlich. Für den Rapsanbau sei die Königsberger Region sogar besonders geeignet: die klimatischen Bedingungen seien ideal, die Lohnkosten wesentlich niedriger als in der EU und die geographische Lage für den Absatz günstig: Königsberg befinde sich im Zentrum Europas. Es existierten bereits Pläne für eine Rapsfabrik, die 25.000 Tonnen Rohmaterial im Jahr verarbeiten könnten. Der Bau solle - unter Beteiligung westlicher Investoren - in nächster Zeit beginnen und in etwa einem Jahr abgeschlossen sein.

Daneben könnte laut Expertenmeinung der Gerstenertrag verbessert werden. Die Nachfrage europäischer Länder nach bearbeitetem Malz ist groß. Die Königsberger Brauerei "Ostmark", die an die Holding "Bierbrauerei Iwan Taranow" übergegangen ist, hat bereits den Anbau von Gerste erhöht. Dies könne für viele ein Signal sein, meint der Generaldirektor der Brauerei, Wladimir Aschichin, und für die Produktion von Gerste dürften sich ohne Probleme europäische Investoren finden lassen. Deshalb sollten Melker ihr bisheriges Arbeitsfeld aufgeben und statt dessen Raps und Gerste anbauen.

Viele Königsberger Politiker sehen in dem Gerangel zwischen Moskau und Brüssel um den Status des Königsberger Gebiets bei der EU-Osterweiterung die einmalige Chance, über die aktive Beteiligung der EU an der wirtschaftlichen Entwicklung der Region zu verhandeln.

Das Fazit des Kongresses ist, daß es die Landwirtschaftsexperten als unerläßliche Voraussetzung für positive Veränderungen ansehen, die Effektivität der Landwirtschaft im Königsberger Gebiet und in den baltischen Ländern zu steigern, was ohne EU-Hilfe nicht zu schaffen sei. Während in den letzten Jahren Estland, Lettland und Litauen schon einige Erfolge hätten erzielen können, habe im Königsberger Gebiet eine Strukturreform der Landwirtschaft bislang noch nicht stattgefunden. MR
 
     
     
 
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