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Fatale Ehre für Moskaus nützlichen Idioten

 
     
 
Die Bewunderer des chilenischen Schriftstellers Pablo Neruda rüsten weltweit zu unzähligen Gedenkfeiern zu dessen 100. Geburtstag am 12. Juli dieses Jahres, natürlich auch in Deutschland, wo der "große Hymniker" als Idol und sein Werk als Waffe des "Weltfriedenskampfes" erheblichen Einfluß auf die Nachkriegsliteratur ausübte. Sein Werk darf allerdings nicht davon ablenken, daß er zu der seinerzeit agitierenden international
en Bruderschaft aus Schriftstellern, Künstlern und Gesinnungsgenossen gehörte, die für die kommunistischen Machthaber im Kreml die willkommene und nach Kräften geförderte intellektuelle Speerspitze des "Weltfriedenslagers" im Kampf für den Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt war und sich in dieser Rolle außerordentlich gefiel. Im Jargon ihrer Gegner hießen sie kurz: "Moskaus nützliche Idioten". Der Neruda 1971 zuerkannte Literaturnobelpreis stellte seinerzeit ein nicht unbeachtliches Politikum dar.

In diesen Wochen überschlagen sich von Eutin bis Stuttgart die Kampfgenossen von einst und deren Zöglinge erneut - wenn auch den Zeitläuften entsprechend etwas leiser und weniger wahrgenommen als damals, um mit Lesungen, Lieder- und Filmabenden ihre Hommage loszuwerden und die Botschaft des Dichterheros "rüberzubringen". Prompt entdecken Verlage "bisher unbekannte Schätze der deutschen Literatur" zum Thema "Neruda", die es zum großen Jubeltag (und zum Geschäft) "zu heben gilt". Es werde "ein Fest gefeiert, um "sich daran zu berauschen" heißt es.

Da darf der griechische Komponist und Genosse Mikis Theodorakis nicht fehlen, der Nerudas monumentalen Gedichtzyklus "Canto General" vertont hat, so daß "das Lied von der Schöpfung, des Leides und die Befreiung des Menschen und der Völker in der ganzen Welt" als Volksoratorium in mehreren Orten der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt werden kann und, wie beabsichtigt, schließlich auch die Olympischen Spiele 2004 in Athen erreichen soll.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte der chilenische Schriftsteller Ariel Dorfman schon am 24. März 2004 von einer Hommage anläßlich des bevorstehenden Geburtstages Nerudas berichtet, die von Schriftstellern und Künstlern im Kennedy Center in Washington getragen worden war. Nostalgie der Friedenskämpfer von einst kam auf: Fast war es wieder schön wie einst: Kongreß, Reisen, Begegnungen mit vertrauten Freund- und Liebschaften. Wer damals dazu gehörte, dessen Werke zierten die Publikationslisten des "Weltfriedenslagers", wie Gerd Koenen in seinem Buch "Die Gro-ßen Gesänge" schrieb und fortfuhr: "Die Sowjetunion zahlte, das war schon in den 30er Jahren so, die höchsten Autorenhonorare der Welt. Es gab generöse ,Vorschüsse , die oft sogar weitergezahlt wurden, wenn der Autor mit dem erwarteten Werk nicht überkam. Darin zeigte sich ja eben die moralische und künstlerische Überlegenheit der Welt des Sozialismus - im Vergleich zur kapitalistischen Welt, wo die Schriftsteller sich verkaufen mußten!" Wochen, Monate, Jahre konnte man so in der ganzen Welt herumreisend für den Frieden kämpfen ...

Kein Wunder, daß dann für Neruda in seinem "Canto General" der Westen ein "Kehrichthaufen", die Sowjetunion hingegen "die Mutter der Freien" war. Als Stalin, der rote Diktator, starb, der viele Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hatte, sprach Neruda ihn an:

"Genosse Stalin, ich befand mich am Meer in Isla Negra, ausruhend von Kämpfen und Reisen, als die Nachricht von deinem Tod wie ein Schlag des Ozeans mich traf." Die Trauerbotschaft warf ihn nieder "in einem ungeheueren Aufschrei, als ob die Erde plötzlich zerbarst". Weiter: "Lenin hinterließ das Erbe / eines sauberen Vaterlandes. Stalin füllte es an / mit Schulen und Mehl / Druckereien und Äpfeln. Mensch sein! Das ist das Stalinsche Gesetz! ... Stalin ist der hohe Mittag." "Menschen Stalins! Wir tragen stolz diesen Namen. Menschen Stalins. Das ist die Rangordnung unserer Zeit! ..."

So geht Nerudas Machwerk des Personenkults über mehrere fürchterliche Seiten. Die "epische Größe Stalins", so Neruda, werde nicht verringert durch die "Grimasse Churchills und Eisenhowers". Stalin war "weiser als alle anderen Menschen zusammen", ließ Neruda einen alten Segelfischer sagen und tröstete sich und seine Brüder: "Malenkow aber wird sein Werk fortführen."

Es ist anders gekommen: Gott sei Dank! Wer heute Pablo Neruda zum 100. Geburtstag einen großen Jubeltag bereiten und ein Fest feiern will, um sich zu "berauschen", muß, wenn er denn ehrlich und weise ist, sich vor dem Personenkult hüten, dem sein Idol bei Stalin - warum auch immer - peinlich erlegen ist. Wer andere belehren will, sollte zuvor selbst gelernt haben. Die Geschichte hat, auch für die Verblendeten von einst, Zeit genug dazu gegeben.

 

Pablo Neruda, geboren 1904 in Chile, seit 1923 regelmäßige Veröffentlichungen von Gedichten, 1927-32 chilenischer Honorarkonsul im Fernen Osten, 1935 Konsul in Madrid, 1937 Rückkehr nach Chile, 1949-52 Emigration und zahlreiche Reisen. 1969 wird Neruda zum Präsidentschaftskandidaten der KP aufgestellt. Er verzichtet zugunsten von Allende. 1971 Nobelpreis für Literatur. Pablo Neruda überlebte den Putsch gegen Allende in Chile 1973 nur um zwölf Tage.

 
     
     
 
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